Loveparade 2011? Dr. Motte bezieht Stellung


Auf Facebook existiert eine Gruppe, die für den 23. Juli eine Loveparade plante. Dr. Motte hat dazu eine Stellungnahme veröffentlicht.

Dr. Motte, Gründer der Loveparade, hat eine Stellungnahme veröffentlicht, die sich auf die Facebook-Gruppe Love Parade 2011 bezieht. Die Gruppe, deren Veranstaltung mit Stand am Dienstag fast 14.000 Leute zugesagt haben, kündigte für den 23. Juli – einen Tag vor dem Jahrestag der Katastrophe von Duisburg – eine Loveparade an. Mittlerweile zogen die Gruppengründer ihre Ankündigung zurück. „Wir teilen die Bedenken von Dr. Motte“, heißt es auf der Seite.

Zuvor hatte Dr. Motte eine Stellungnahme zur „Love Parade 2011“ veröffentlicht. Darin schreibt er: „Ich sehe keine ordentliche Planung, kein Sicherheitskonzept. Die Sicherheit von Leib und Seele muss immer an erster Stelle stehen.“ Er könne sich nicht vorstellen, dass dass eine neue Loveparade, die zudem auch noch einen Tag vor dem Jahrestag des Unglücks stattfinden solle, irgendjemandem helfe. „Wer hat denn überhaupt die Kompetenz so eine Massenveranstaltung durchzuführen?“

Die Stellungnahme Mottes im Wortlaut:

Für den kommenden Samstag, 23.07.2011, wird auf Facebook für die Veranstaltung „Love Parade 2011“ geworben. Die Initiatoren geben zwar an, dass dies keine offizielle Veranstaltung sei, dennoch ist in der Beschreibung das Datum, die Uhrzeit und der Ort angegeben. Des Weiteren ist die Möglichkeit eingeräumt: „Wenn dieser Status ändert, wird es auf dieser Website veröffentlicht werden.“ Auch ein regionaler Radiosender kündigte bereits eine Live-Übertragung vom Ort des Geschehens an. Angesichts dieser und weiterer Bemühungen ähnlich gearteter Initiativen, sowie des großen Medieninteresses, nimmt Dr. Motte (Matthias Roeingh, Gründer der Loveparade) nun ausführlich Stellung dazu.

Dr. Motte:

„Schon wenige Tage nach dem Unglück letztes Jahr, gingen in unserem Büro die ersten Anrufe von diversen Initiativen ein, die unbedingt eine Fortführung der Loveparade organisieren wollten. Sie baten entweder um meine Unterstützung oder stellten, wie erst kürzlich, sofort klar, sie würden es durchziehen – egal ob mit mir oder ohne mich. Einige teilten mir sogar mit schon Verträge mit diversen Sponsoren zu haben. Dieser ganze Aktivismus zeigt mir zwar einerseits ganz klar, dass ein riesiger Bedarf besteht. Dennoch stehe ich dem Ganzen mit höchster Skepsis gegenüber und kann davor eigentlich nur warnen. Ich sehe keine ordentliche Planung, kein Sicherheitskonzept. Die Sicherheit von Leib und Seele muss immer an erster Stelle stehen.

Doch zunächst stellt sich mir die Frage: Worum geht es denn eigentlich wirklich? Gibt es ein ernsthaftes Interesse an der Kultur der elektronischen Tanzmusik? Die Antworten hierauf lauten meistens: „Aber es muss doch weitergehen!“, „Der Schaller kann das doch nicht entscheiden, das ist doch unsere Parade!“ oder „In Fußballstadien sind ja auch schon Menschen gestorben und es geht weiter!“. Immer wieder muss ich ganz klar feststellen, viele Leute haben leider gar nichts verstanden.

Die Loveparade war immer der Feiertag der elektronischen Musik und die weltweit größte Jugend-Friedens-Demonstration. Unsere elektronische Musikkultur zeichnete sich von Anfang an dadurch aus besonders tolerant, friedlich und vor allem „united“ zu sein. Doch gerade dieses Gemeinsame hat seit dem Unglück 2010 massiven Schaden genommen. Die Katastrophe in Duisburg hat unsere elektronische Musikszene krass gespalten. Und das gerade jetzt, wo eigentlich ein besonderer Zusammenhalt gefragt ist.

Es mag für Einige nostalgisch oder weltfremd klingen, aber ich vertrete immer noch das Motto „We are one family“. Gerade in schwierigen Zeiten sollte eine Familie zusammenhalten, sich gegenseitig Kraft geben und helfen die Schmerzen und die Trauer zu überwinden. Das sehe ich hier aber nicht. Stattdessen gibt es Einige, die entgegen aller Bedenken die Meinung vertreten, es muss unbedingt sofort weitergehen, eine Trauerminute auf einer neuen Parade wäre ja schließlich auch eingeplant usw. Auf der anderen Seite stehen die Gegner, die sich ganz klar gegen eine Loveparade aussprechen. Dieser ganze Streit wird öffentlich im Internet ausgetragen. Und unter diesen Vorraussetzungen soll eine Loveparade weitergehen? Das ist doch paradox! Ich frage mich ernsthaft, wie weit sich unsere Szene schon voneinander entfernt hat, um so rücksichtslos miteinander umzugehen? Wir sind von dem Spirit und dem Lebensgefühl gerade weiter entfernt denn je. Liebevoller und respektvoller Umgang miteinander sieht anders aus.

Wir sollten jetzt lieber darüber nachdenken, wie wir den Opfern, den Angehörigen und Beteiligten helfen können. Sie haben bei diesem Unglück enorme körperliche und seelische Schäden erlitten. Unser aller Interesse sollte daher darin liegen, ihnen alle mögliche Hilfe zukommen zu lassen und sei es nur die Zeit, die sie zum Trauern und zum Verarbeiten brauchen. Wir haben gemeinsam die Möglichkeit an der Heilung zu arbeiten und damit ein Zeichen für die ganze Welt zu setzen. Ich kann mir bei besten Willen nicht vorstellen, dass eine Party mit dem Namen „Love Parade“, die zudem auch noch einen Tag vor dem Jahrestag des Unglücks stattfinden soll, auch nur Irgendjemandem hilft.

Ganz nüchtern betrachtet, abgesehen von all dem Idealismus und dem Mitgefühl, möchte ich auch noch einmal an den gesunden Menschenverstand Aller appellieren: Wer hat denn überhaupt die Kompetenz so eine Massenveranstaltung durchzuführen? Wir konnten doch alle in den Medien verfolgen wie aus der Geburtstagsparty eines Teenagers ein gigantischer Massenauflauf wurde – multipliziert um den Faktor „Loveparade“… Wer wird denn für so eine unvorhersehbare Sache mit unkalkulierbarem Risiko die Verantwortung übernehmen? Sicherlich nicht die Initiatoren der Veranstaltungsseite der „Love Parade 2011“, die sich schon im Vorfeld aus der Verantwortung ziehen, indem sie schreiben: „…tut dies auf eigene Rechnung. Immer darauf achten, den Anweisungen der Polizei und Beamte der Stadt folgen.“

Bevor man überhaupt eine Diskussion darüber beginnt, ob und wie eine mögliche Fortführung einer „Loveparade“ aussehen könnte, muss erst einmal eine ganzheitliche Heilung in Gang gesetzt werden – beginnend mit einer gründlichen und lückenlosen Aufklärung, Trauerarbeit und Traumabehandlung.

Das Eine sollte uns das Unglück in Duisburg wenigstens gelehrt haben: So wie es zuletzt gelaufen ist, kann und darf es definitiv nicht weiter gehen. Diese Veranstaltung hat nichts in den Händen von privaten, business- oder profitorientierten Unternehmen zu suchen. Es müsste ein ganz neues Konzept entwickelt werden, dass die Musik und die Kultur in den Vordergrund stellt, die Sicherheit der Besucher gewährleistet und die Veranstaltung vor Missbrauch und kommerzieller Ausbeute schützt. Aber von Alledem sind wir noch weit entfernt.

Ich kann nur hoffen, dass die Stadt Berlin auf diesen Samstag gut vorbereitet ist, die Veranstaltung sachgemäß geplant und angemeldet ist und Niemand dabei zu schaden kommt.“

Musikexpress Online sprach zuvor exklusiv mit Dr. Motte, dem Gründervater der Loveparade, über die Loveparade-Katastrophe vom 24. Juli 2010, bei der 21 Menschen starben und über 500 verletzt wurden. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland hatte sich erstmals bei den Hinterbliebenen entschuldigt und übernahm „moralische Verantwortung“. Dr. Motte wiederum forderte im Interview: U-Haft für Sauerland und Partyveranstalter Rainer Schaller, die für ihn die Hauptverantwortlichen der Tragödie seien.

„Alle in U-Haft nehmen. Einsperren. Sauerland, Schaller. Stattdessen gibt es nun Bauernopfer, wie die vier Mitarbeiter von Lopavent, gegen die ermittelt wird. Die Auswahl des Lopavent-Personals aber übernahm doch der Geschäftsführer. Also ist auch der verantwortlich. Von daher fordere ich eine klare Schuldzuweisung mitsamt Verurteilung.“

Das Interview führte zu Diskussionen in den Foren des Musikexpress, Rolling Stone und Welt Online.