Kolumne

Linus Volkmanns Popkolumne: Ein Herz für Autogrammjäger!


Eine Begegnung mit dem Lieblingsstar. Eine analoge Unterschrift als Beweis dafür. Linus packt aus über das Menschheitsthema Autogramme.

Zuletzt hatte ich an dieser Stelle ein Thema, das auf sehr viel Resonanz stieß. Es ging um kurioses Band-Merch, das es zu kaufen gibt und jenes, das man selbst sogar besitzt. Dieser Text hier widmet sich einem ähnlichen Aspekt von Fankult, vielleicht ist er noch etwas aufgeladener, da mit ihm meist ein direkter Kontakt mit dem Act verbunden ist: Das Autogramm!

Ich erinnere mich noch, dass jenes in meiner Adoleszenz in der Punkszene die Peinlichkeit schlechthin darstellte. Wer cool war, pochte auf eine No-Star-Bewegung. Die Bühne gehöre allen und das Anhimmeln war etwas für bürgerliche Spießer und ähnliche Loser. Das leuchtete mir dereinst total ein, heimlich hätte ich mir dann aber doch immer gern mal eine Unterschrift meiner Lieblingsbands besorgt. Ganz leer ausgegangen bin ich über die Jahrzehnte aber auch nicht. Hier ein paar Autogramme, die ich besitze und die jeweilige Story dazu. Viel Spaß!

Es lebe der Sport

Warum lügen? Die ersten Autogramme bekam ich natürlich beim Fußball. Mein Vater war Fan des bis heute bekannten Vereins Eintracht Frankfurt. Er nahm mich mit zu etlichen Heimspielen. Ich fand es dort gruselig und faszinierend. An einem Nachmittag herrschte eine Art Tag der offenen Tür – oder des offenen Stadions? Jedenfalls liefen die Spieler random über den Rasen und man konnte ihnen Unterschriften abtrotzen. Als Kind war ich sehr schüchtern und ängstlich und ich erinnere mich noch gut, dass ich fast ohnmächtig wurde bei der Überwindung, die es mich kostete, diesen Männern mein aktuelles Panini-Sammelalbum hinzuhalten. Offensichtlich kamen aber einige Signaturen zusammen. Gut gemacht, kleiner Linus!

A View To A Kill

„Du möchtest ein Autogramm, Kleines? Für wen soll ich es signieren?“
„Öhhh, eBay?“

Dieser Dialog stammt aus einer frühen Folge der Serie „Futurama“. Ich habe ihn im Jahre 2000 auch der britischen Synthie-Pop-Band Duran Duran erzählt. Daher steht auf meiner signierten Platte ARENA neben den Namen der Band nun auch für alle Ewigkeit „NOT FOR SALE“ drauf. Die Engländer hatten hinter diesem Gag vermutlich schon einen gewissen Ernst gewittert – und wollten sichergehen, dass ich mich nicht auf ihrem Deckel im gerade ausgebrochenen Internethandel bereichere.

Aber mal ganz von vorn: Zurück bis in die Achtziger. Figuren wie Limahl, Boy George, Annie Lennox, Pete Burns (Dead Or Alive) oder auch Nick Rhodes (2. von links) haben die klassischen Geschlechterbilder, die mir in Schule, Provinz und Familie begegneten, offensiv verdreht. Männliche und weibliche Zuschreibungen laufen völlig selbstverständlich durcheinander. Aufregend fand ich das. Ich erinnere mich noch daran, wie mein Vater Boy George als eine sehr hässliche Frau wahrnahm. Er hatte offensichtlich keine Ahnung. In dieser Pop-Welt besaß ich intuitiv und generationsbedingt mehr Durchblick als die Eltern? Hey, allein das ist ja Benzin, wenn man in der Pubertät steckt.

Viele Jahre später: Im Jahre 2000 jedenfalls werde ich Redakteur beim Intro-Magazin und Duran Duran haben gerade wieder ein Comeback. Keine große Sache im Nachhinein, sondern wie die meisten Reunions einfach ein Apropos, anhand dessen man sich als Fan noch mal ans Früher erinnern kann. Wie das Album 2000 hieß, musste ich nachschlagen: POP TRASH (Eine Woche in den deutschen Charts – auf Platz 80). Auch wenn ich gern wie ein „echter Journalist“ (Caren Miosga, Kent Brockman) wirken will, nehme ich zum Gespräch im Kölner Hotel Wasserturm (normalerweise nur was für reiche Leute, burn baby burn) meine Duran-Duran-Platte mit. Denn ich will deren Unterschriften. Ich liebe es, Stars anzuhimmeln, wie ich es als Kind tat und wie es im Punk später verpönt war.

Duran Duran sind sehr freundlich und zugewandt. Mir erschienen sie damals wie aus einer anderen Zeit gefallene bunte Greise, Simon Le Bon ist zur Jahrtausendwende 42 Jahre. Oops! Nun ja, Schwamm drüber. Der Glanz, den die Band abstrahlt, ist noch warm. Ein bisschen „A View To A Kill“ – und irgendwann geht Sänger Simon Le Bon pinkeln, wir anderen sitzen da und hören es plätschern. Bisschen awkward für alle. Aber ich weiß in dem Moment plötzlich, dass ich diesen Augenblick in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen werde. Die Autogramme hätte es daher gar nicht gebraucht für die Erinnerung. Ich bin trotzdem froh, sie zu haben.

Die Unterschrift von Gaby Glockner

Bei diesem Autogramm handelt es sich offensichtlich nicht um eine Musikerin, wenngleich sie sicher widersprechen würde. Denn sie hatte sehr wohl Ambitionen dahingehend und auch schon ein paar Schritte im Chanson getätigt. Es stammt von Veronika Neugebauer, man kennt sie vor allem daher, dass sie die Stimme von Gaby Glockner bei TKKG war. Diesen Oktober jährt sich ihr Todestag bereits zum fünfzehnten Mal. Sie starb im Oktober 2009 an Krebs.

Als ich ihr begegnete, es muss Mitte der Nullerjahre gewesen sein, war das noch überhaupt nicht zu ahnen. Ihr ging es gut, krass, wie schnell sich alles ändern kann. Aber darüber schreibe ich nicht, sondern über die Story zu dieser Unterschrift. Wie schon erwähnt war ich in jener Epoche Redakteur beim mit dem Musikexpress verfeindeten Intro-Magazin (okay, ganz so schlimm war es nicht) und sah zu, dass mir der prekäre Job ermöglichte, auch mal meine ganz persönlichen Stars zu treffen. Und da ich aus einem fragwürdigen nerdigen Spleen verstrickt in das reaktionäre TKKG-Universum bin, wollte ich unbedingt mal mit „Gaby Glockner“ sprechen. Den Redaktionskolleg:innen verkaufte ich die Nummer unter Veronikas (eher marginalen) Synchronsprecherinnen-Fame. Immerhin hatte sie einige Male Winona Ryder synchronisiert. Das reichte, die anderen stellten keine weitere Frage, diese Narren!

Im Interview redete ich mit Veronika dann tatsächlich über Sachen, die vielleicht nicht die Leser:innen aber eben doch mich brennend interessierten. Schon als Kind wurde sie die bis heute sprichwörtliche Bullentochter „Gaby Glockner“. Doch mit dem Sprecher des Tarzan (später Tim) Sascha Draeger kam sie nicht gut aus. Man hört das natürlich nicht auf den Kassetten beziehungsweise im Streaming, aber eine verrückte Vorstellung, dass das spießige Saubermann-Pärchen Tarzan und Gaby sich in echt gar nicht recht leiden konnte.

Irgendwann Mitte der Achtziger, so erzählte es Veronika, war sie mit den Eltern in der Phono-Abteilung des Kaufhauses unterwegs und entdeckte neue TKKG-Folgen (44-52). Die Gaby wird darauf gesprochen von „Klößchens“ (also Manou Lubowskis) Schwester Scarlet. Man hatte die kleine Veronika ausgebootet – und ihr nicht mal Bescheid gesagt im Vorfeld, wie sie sich erinnert. Doch die Macher der Firma Europa hatten nicht mit der Treue der Kids gerechnet. Ein analoger Shitstorm ging auf das bis heute aktive Kassetten-Label Europa nieder. Für die nächste Staffel wurde Veronika „auf Druck der Straße“ wieder einbestellt. Keiner im Laden, so erzählte sie im Interview, verlor je ein Wort mit ihr über ihren kurzzeitigen Rauswurf. Die Human-Resources-Abteilung bei der Firma Europa geht heute hoffentlich anders mit ihren Mitarbeiter:innen und Talents um.

Im Nachklapp des Interviews schickte sie mir ein paar aktuelle TKKG-CDs der Reihe, schön unterschrieben.

PS: Kurz darauf engagierte ich sie als Sprecherin für die Hörspielversion meines Ladenhüter-Projekts „Robbe & Bürzel – zwei Herzen tanken super“, da war so einiges los mit Veronika, mir und meiner Clique – aber das, das ist eine andere Geschichte.

Wir warten auf die Lindenstraße

Der Partner der Moderedakteurin jenes Intro-Magazins, bei dem ich einst arbeitete, war ein stiller Junge. Man hörte allerdings, er sei „in echt“ Cutter bei folgenden interessanten deutschen TV-Produktionen: „Stromberg“, „Tatortreiniger“ und „Lindenstraße“. So ist zu erklären, dass ich seit einem Geburtstag stolzer Besitzer von Autogrammen des wichtigsten deutschen Serienpaars überhaupt wurde. Hansemann und meine Taube, alias Vater Beimer und Mutter Beimer, alias Marie-Luise Marjan und Joachim Luger.

Die Autogramme der Anderen

Mit zwölf Jahren (!) besuchte Zeichnerin Kwittiseeds ein Konzert von The Housemartins in der Batschkapp in Frankfurt. An ihrer Seite nur ihr zwei Jahre älterer Bruder und dessen Freunde. Mit welcher Auslegung von Jugendschutz das alles in Einklang stehen soll, scheint heute mehr als fraglich. Nichtsdestotrotz oder auch gerade deshalb erlebt das junge Mädchen einen prägenden Abend in Proto-Brit-Pop. Am Ende des Konzerts sucht die nahbare Band den Kontakt mit den Fans. Jene Kwittiseeds versucht daher nun tatsächlich Sänger Paul Heaton anzusprechen. Vergebens, da kommt sie nicht dran, dafür aber an den dick bebrillten Gitarristen Stan Culimore. Auch gut, aufgrund der Sprachbarriere einigt man sich einigermaßen nonverbal und gestisch auf ein Autogramm. Kwittiseeds führt allerdings nichts Signierenswertes mit sich und hält ihren Unterarm hin. Auf den schreibt Stan seinen Namen. Nach 38 Jahren ist die Schrift nun doch verblasst, die Erinnerung daran aber hält ewig – und findet hier ihre Würdigung. Als Beweis für die Existenz des Abends hält die Signierte ein Bootleg in Ehren (siehe Foto). Einer der Freunde ihres Bruders hat damals das Konzert der Housemartins illegal mitgeschnitten. Heute ist er Polizist.

Autogramme direkt auf Leute, direkt auf Körperteile

Sich den Leib unterschreiben zu lassen, das besitzt für mich immer den Ruch einer hochtoupierten Glamrock-Band aus den Achtziger-Jahren. Und schnell landet man da bei dem Machtgefälle von männlichem Star und weiblichem Fan. Namen auf Dekollettés schreiben, puh! Körper gegen Fame. Naja, wenn es einvernehmlich ist – für mich allerdings wäre das nichts. Da fällt mir plötzlich ein, dass ich das ja selbst mal gemacht habe. Bei einer Lesung in Siegen. Ein Junge wollte ein Autogramm, hob sein T-Shirt an. Ich war sofort interessiert und tat, wie mir geheißen. Das erzähle ich vor allem, weil ich weiß, dazu muss es irgendwo bei mir auf Facebook doch auch noch ein Foto geben. Na, wenn ich das jetzt nicht noch mal rauskrame – wann dann!

Autogramme direkt auf Leute (2)

Bei der Suche fiel mir auch dieses Bild in die Hände. Es zeigt den leider Ende des letzten Jahres verstorbenen Musiker Torsun von Egotronic. Mit jenem bestritt ich eine – für die Maßstäbe des bürgerlichen Literaturbetriebs – eher wilde Lesereise im Jahre 2014. In der kontroversen Wagnerstadt Bayreuth verlangte eine Besucherin von Torsun ein Autogramm auf die neuen Sneakers. Auch er ließ sich nicht lange bitten …

Die zwei jüngsten Autogrammkarten

Bevor ich zum Schluss komme und euch anregen möchte, eure Autogramme aus alten Kisten zu kramen, hier noch die beiden jüngsten Stücke meiner kargen aber biographisch sehr aufgeladenen Sammlung. Es sind diese hier. Stefanie Schrank (neues Album SCHLACHTRUFE BRD) und Lulu & Die Einhornfarm.

Und jetzt kommt ihr. Zeigt eure irgendwann mal erbeuteten Unterschriften euren Lieben, euren Friends auf Social Media – und wenn ihr mich und den Musikexpress dabei verlinkt, können wir auch mitschauen! Danke schon mal.

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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