Hasselhoff vs. Helmut Kohl: Wer war der bessere Kanzler? – Die Popwoche im Überblick
In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Julia Lorenz die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Serien, welche gesetzlichen Feiertage lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? Die neue Folge zur KW 40 huldigt dem Altkanzler, dem wir die deutsche Einheit zu verdanken haben: ganz genau, David Hasselhoff. Zudem wird das Post-Simpsons-Wirken von Matt Groening neu verhandelt und wer hat eigentlich die Reunion von Seeed durchgewunken? Diese Kolumne schreibt mal wieder einige Strafzettel aus. Sorry, aber wo kämen wir hin, wenn jeder machen würde, wie er wollte!
LOGBUCH: KALENDERWOCHE 40/2019
Diese Woche standen für mich Lesungen in den Power-Metropolen Worms, Saarbrücken und Gladbach auf dem Plan. If you make it there, you’ll make… usw. Persönliches Highlight: auf diesem Trip ins Ungewisse zwei Ikonen treffen. Als Kind wie jetzt noch als Greis bin ich einfach großer Fan von den Bands EA80 und Spermbirds. Einmal neben den heutigen Best Agern dieser Gruppen aufwachen. Be careful what you wish for – aber, hey, ich bereue nichts!
EREIGNIS DER WOCHE: Tag der deutschen Einheit dank David Hasselhoff
Wer feiert die Woche auch Deutsche Einheit? Es ist ja auch immer wieder Wahnsinn! Dieses Jahr habe ich mir das ultimative Gadget dazu gesichert. Vergesst Ganzkörper-Anzüge in Schwarzrotgold, vergesst das Grundgesetz zum Ausmalen, vergesst einen romantischen Zoobesuch mit Angela Merkel. Nein, David Hasselhoff hat mit Hilfe eines regulären Autoren einen Wende-Krimi geschrieben: „Up Against The Wall – Mission Mauerfall“. Hasselhoff spielt beziehungsweise spricht sich selbst, denn wir haben es hier mit einem Hörbuch zu tun (Deutsche Version: William Cohn / #neomagazinroyale). Ein CIA-Agent, abwegige Verwechslungen sowie trashige Dialoge in gesundheitsrelevanter Überdosierung. Aber hey, es ist Feiertag, warum nicht also einfach mal drei Tiefkühlpizzen fressen statt keiner?
Hasselhoff sagt übrigens im Interview zu dieser Veröffentlichung: „Für mich ist der beste Teil des Hörbuchs die Stelle, an der es etwas erotisch wird.“ Ey, glaub ich sofort. Rrrrrr.
SERIENGEBRAUCHSANLEITUNG DER WOCHE: „Disenchantment“
Als die erste Staffel „Disenchantment“ von Matt Groening auf Netflix erschien, ließ ich mich mal wieder auf einem Schild durchs Hater-Dorf tragen. Der Auslöser: Ich kam mit einem unerbittlichen Verriss angefahren. Mein Credo: Die Serie sei nicht lustig, kranke am Format von 30-minütigen Folgen und die Charaktere seien ein Aufguss des Ewiggleichens. Statt dass wie in „Futurama“ der trottelige Fry die coole Leela immer nur halb haben kann, bekommt hier nun der trottelige Elfo die coole Bean auch immer nur so halb. Na, toll.
Als jetzt die zweite Staffel aufpoppte, schaute ich daher nur mal aus Reflex rein und wartete darauf, dass die von Season 1 so verinnerlichte Enttäuschung einsetzte. Doch sie blieb aus. „Disenchantment“ ist ja doch sehenswert, ich habe mich schon wieder mal geirrt? Ärgerlich! So komme ich nie an einen Job bei der TV-Spielfilm.
Das soll mich aber nicht daran hindern, hier meine jüngste Erfahrung zu teilen: Also, neben dem Ausblenden übertrieben hoher Erwartungen muss man bei der Serie einfach bloß kapieren, dass man keine Sitcom schaut. Der Zuweg geht viel eher über einen epischen Fantasy-Plot, der nicht nur Mittel zum Zweck ist. „Wie geht es weiter?“ Wenn man sich diese Frage am Ende einer Folge stellt, hat die Sendung doch schon gewonnen.
Neues Fazit: Ich würde jetzt vielleicht nicht deine Großmutter für Staffel 3 verkaufen, aber habe schon gesteigertes Interesse am Fortlauf der Story.
(Disclaimer: In der vorherigen Popwochen-Ausgabe stellte ich eine Besprechung der Serie „Der Dunkle Kristall“ in Aussicht. Liebe Puppen-Ultras, das ist nicht vergessen und kommt noch!)
https://www.youtube.com/watch?v=Q00bB9o7Eok
MEME DER WOCHE
ALBUM DER WOCHE: Seeed
Seeed
„BAM BAM“
(Warner / VÖ 04.10.2019)
Wenn jetzt überall Trettmann gefeiert wird für seinen außerordentlichen Move, deutsche Texte mit Dancehall und Reggae zu mischen, dann muss man sich aber auch fragen: „Was war eigentlich mit Seeed? Haben die das nicht ähnlich gemacht?“
Stimmt!
Aber da klang es immer eher nach dem prolligen Soundtrack für Desperados-saufende Werber, die auch nach streunenden Katzen treten würden und schon mal Urlaub auf Jamaika gemacht haben. Oder wenigstens auf Malle.
Was ich eigentlich sagen möchte: Herzlich willkommen zurück, Seeed. Was haben wir euch vermisst!
Obwohl – neulich habe ich mir einen ehrlich positiven Satz über die Band notiert, den ich unterschreiben könnte. Er geht so:
„Seeed – nicht ganz so schlimm wie Culcha Candela“.
Könnte ich mir gut als Sticker auf dem neuen Album vorstellen…
DER VERHASSTE KLASSIKER: Selig
Selig
„Selig“
(Epic / Sony / VÖ 28.02.1994)
Als in den 90er-Jahren die Hamburger Schule durch die damals noch intakten Prachtbauten der Subkulturen paradierte, machten wir alle großen Augen und waren schockverliebt. Unsere ganzen bis dato gefickten Lover wie Metal, Punk, Hardcore oder New Kids On The Block kamen einem plötzlich bloß noch vor wie tumbe Übergangshelfer. Schnell abschütteln, ein letzter Kuss im Gehen und dann endlich frei sein für das Label L’Age D’Or und Protagonisten wie Die Sterne, Blumfeld oder Tocotronic. Ich verstehe natürlich, dass allein schon zeitlich nicht jeder diese Erinnerung mitgehen kann, aber lasst euch einfach mal ein auf mein Gefasel in dieser hochveredelten journalistischen Highlight-Rubrik. Wir sind also alle verliebt in Jochen Distelmeyer – und davon bekommt natürlich auch die große Plattenindustrie was mit über ihre Schergen (meist fliegende Affen).
Sie heuert daraufhin Söldner und Mucker-Zombies an, um diesen neuen Trend an sich zu reißen. Im Zuge dieser Geschehnisse werden drei der größten popmusikalischen Elendsversammlungen ins Licht gestoßen: die legendären Zahnarztsöhne der Band Samba, die Lumpen der Gruppe mit dem ultradummen Halbfascho-Namen Nationalgalerie – und die absoluten Könige der Hunderei: Selig.
Statt dass also die ganze Zeit „Sie wollen uns erzählen“ auf VIVA liefe, kommt Selig auf Heavy Rotation. Unvergesslich das gepresste Geblöke des bis heute noch musikterroristisch aktiven Sängers Jan Plewka. Er presst: „Sie hat geschrien heut Nacht / wie eine Krähe im Wind / Sie hat geschrien heut Nacht / wie ein sterbendes Kind“. Wenn das deutsche Texte sind, dann doch lieber wieder schweren Herzens zurück zu „Obladi Oblada“.
Selig bleiben ästhetisch zeitlebens zudem völlig verstrickt in so ein hodenlastiges Seventies-Gehubere. Es sind konterrevolutionäre Agenten mit schlechten Schlaghosen, die Schuld dafür tragen, dass deutschsprachiger Pop heute so ernsthaft deformiert ist.
Gruppe Selig, kauft euch eine Zeitmaschine, reist zurück nach 1994 und löscht euch. Denn erst wenn eure Musik niemals existiert hat, kann ich euch Respekt zollen.
– Linus Volkmann („Musikjournalist“)
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.