Lilith Fair


SOMMER 1998: DIE EMANZIPATION entläßt ihre Kinder. Sarah McLachlan ruft unter dem Motto „A Celebration of Women in Music“ zum zweitenmal zur „Lilith Fair“auf. Ihr Ruf verhallt nicht ungehört: Dabei ist alles, was eine CD zu verkaufen hat und irgendwie weiblich ist – egal wer, was und wofür. Wie das Beispiel der englischen Triphopper Morcheeba zeigt, kann sich eine Männerband schon allein dadurch qualifizieren, daß ihr eine Frontfrau vorsteht. So paart sich für zwölf Wochen der engelsgleich schwebende Pop McLachlans mit dem moralisierenden Lehrerinnencharme von Natalie Merchant, mit dem Schulmädchen-Sexappeal von Heather Nova, mit einem Comebackversuch von Sinead O’Connor, mit dem lebensfrohen Rap von Missy Elliott, mit dem Intellektuellenhiphop Imani Coppolas, mit dem politisch korrekten Lesbenfolkrock der Indigo Girls und so weiter und so fort -jeden Abend zwischen zehn und zwölf Acts auf drei Bühnen. Und weil die moderne Frau über Geschäftsinn und Sportsgeist verfügt, macht sich McLachlan das olympische Motto zu eigen: schneller, höher, weiter. Allein die Logistik des Wanderzirkus stellt alles Dagewesene in den Schatten: Die Größe der USA, 142 beteiligte Musikerinnen (ohne Begleitbands) und 57 Auftritte von Mitte Juni bis Ende August erzwingen eine fließende Organisation. Permanent ist nur Gründerin McLachlan auf „Lilith Fair“ dabei, alle anderen Künstlerinnen nur etappenweise. Mit ihrer cleveren Idee hat McLachlan offenbar den Nerv der Zeit getroffen. Der Erfolg des Unternehmens übertrifft alle Erwartungen. McLachlan ist lange genug im Business, das zu wissen. Und deswegen wirkt sie auf der Bühne gelegentlich zu perfekt und pathetisch, zu affektiert und glatt – sie ist eine Frau, die sich an die Regeln hält. Entsprechend zwiespältig ist ihr Auftritt: Wenn sie am Piano mit Hingabe „Adia“ singt, ist das hochmusikalisch und bohrend intensiv. Dann aber tuckert bei Uptempo-Songs wie „Sweet Surrender“ neben Schlagzeug (und fünf Bandmitgliedern) auch noch dieser billige Drumcomputer mit – sicheres Zeichen für überbordende Perfektion!

Der schöne Aspekt daran: alle Auftritte der monströsen Talentschau finden pünktlich statt. Das Publikum ist freundlich und frisch gewaschen. Es gibt keine peinlichen Wunderkerzenorgien während der Balladen, keine dichten Marihuana-Schwaden, keine Schlägereien Betrunkener, kein Bodysurfing oder Moshpitting pubertierender männlicher Fans. Mit anderen Worten: Hier geht es zivilisiert zu. Das kann man entsetzlich langweilig oder angenehm entspannend finden, je nach Standpunkt.

Trotzdem sei eine Prognose gewagt: Der Jahrmarkt der Lilith (eine Talmud-Dämonin in Menschengestalt, die der Sage nach dem Lüstling Adam zu dessen großem Mißfallen den Geschlechtsverkehr versagte) wird noch die nächsten drei Sommer lang hier auf Erden stattfinden und dann aufgrund sinkender Zuschauerzahlen ebenso für immer in den Himmel hinaufsteigen wie das legendäre Konzertereignis namens „Lollapalooza“. Sitzend zu Liliths Rechter: Sarah McLachlan.