Liebling, laß uns singen


Leidenschaftlich lodert ihre Liebe, voll Inbrunst erbeben ihre Stimmen..., doch schon nach drei Minuten ist der (faule) Zauber vorbei. An der Vinyl-Front wird gebalzt und geschmalzt wie nie zuvor - Duette lassen nun mal die Kassen rasseln. Hinter den plakativen Romanzen verbirgt sich natürlich meist knallhartes Kalkül. Werner Burkhardt ging der Geschichte und den Hintergründen des vorgetäuschten Drei-Minuten Orgasmus' einmal nach.

Mit dem Blues hat die Operette zunächst ein-I mal dies gemein: Sie wird immer wieder totgesagt und lebt doch weiter. Im Augenblick tut sie es besonders marktbeherrschend und weltweit durch die Worte, die einst der Zigeunerbaron mit seiner Saffi getauscht hat: „Wer uns getraut? Wer war’s ? Sag du ’s! Der Dompfaff, der hat uns getraut!“

Daß es dieser Tage weniger der Dompfaff als vielmehr der Schallplattenproduzent ist, der die Trauung vornimmt, spielt da mehr am Rande eine Rolle. Die Hauptsache: Duett muß sein.

Erstaunlich ist das schon, wer da seit etwa fünf Jahren miteinander singt, singen darf oder singen muß. Ein völlig neuer Musikzweig – so scheint es will da mit Macht auf einen grünen Zweig kommen, und alle versprechen sich die Erleuchtung durch Mathematik. Denn ein Stern, an den anderen gekoppelt… das ergibt kein Doppelgestirn, sondern eine Milchstraße, deren kommerzielle Kurve steigt und steigt.

Stars, die jeder kennt, gesellen sich zu Stars, die jeder noch viel besser kennt: und nicht selten muß ein besonders glitzernder Komet einen anderen, noch nicht so zugkräftigen aus dem Dunkel ins Helle katapultieren. Kalkül und Hoffnung, Astronomie und Astrologie bestimmen dies galaktische Spiel, und manchmal wird es bitterer Ernst, wird es zu einem ausgewachsenen Krieg für Sterne.

Für Julio Iglesias – und nun hat die Erde uns wieder – ist im Sommer des vergangenen Jahres ein Feldzug in die Wege geleitet worden, dessen Strategie so atemberaubend wie durchschaubar ist. Musikalischkommerzieller Kriegsschauplatz: die Vereinigten Staaten. Ziel der friedlichen, wenngleich heftigen Kampfhandlungen: für den in Europa und Lateinamerika so absatzträchtigen Schmalz- und Gemischtwaren-Händler Iglesias nun auch den amerikanischen Markt zu erobern.

Einer allein schafft das heute kaum noch im fremden Land, das ja auch nicht arm ist an einheimischen Sängern und über eine so ganz andere Musiktradition verfügt. Hilfstruppen müssen her. und die rekrutiert man am besten aus dem Lager der Ureinwohner. Das schlägt Brücken, erleichtert die Gewöhnung und schafft zumal dann Vertrauen, wenn jeder in seinem Land und auf seinem Gebiet schon ganz schön Status und Statur hat.

„Julio Who?“ – diese Frage, die sich das ganze nördliche Amerika seit dem Eintreffen des Troubadors aus Madrid gestellt hat, ist beantwortet, seit die beiden Duos ihren Weg gemacht und dem Sänger eben diesen Weg geöffnet haben. Die Rechnung, die man mit „Julio Goes Country“ und „Iglesias Meets Soul“ aufgemacht hat, ist auch aufgegangen. Die Barrikaden, die den Spanier von den Märkten des weißen Westens und der schwarzen Roots trennen, sind im listigen Handstreich genommen.

Der Produzent Richard Perry drückt das natürlich etwas feiner aus, ist erklärtermaßen überglücklich darüber, daß der Sänger „einen im Amerika von heute kommerziellen Pop-Sound entwickeln und trotzdem sich selbst treu bleiben konnte, seinen Stil nicht zu verraten brauchte. „

Wie jeder weiß, ist Julio nicht der einzige, der zwei Klappen braucht, um eine Fliege zu schlagen. Wer einmal auf den Trichter gekommen, auf der Spur ist, entdeckt sofort in sich eine unbändige Freude am Detektivspielen, will wissen: „Welcher Hintergedanke hat uns denn diese abenteuerliche Paarung beschert?“

Das meiste spricht oder balzt für sich, und man muß nicht Phil Marlowe heißen, um die Lösung zu finden. Mireille Mathieu und Patrick Duffy, auch Audrey Landers und Camillo Sesto sollen die Kontinente wie die Welten von Singekunst und Schauspielerei überbrücken. Stefan Waggershausen läßt sich jenseits der Alpen von der feurigen Muse Alice küssen; und Desiree soll wohl den Absturz des österreichischen Falco bremsen.

Meist liegen die Ziele der Industrie so klar vor unseren Augen und Ohren, wie es vor kurzen in der österreichischen Fernseh-Sendung „Musikszene“ vermutet wurde: „Shakin‘ Stevens und Bon nie Tyler… damit kann man den Einheitsbrei der Musik für Teenies auflockern. Sheena Easton und Kenny Rogers… da kann man Liebesschnulzen neue Facetten geben. Mick Jagger und Peter Tosh mit ,Don’t Look Back’… da kann ein schon bekannter Künstler einen noch nicht so bekannten mit hochziehen. „

Apropos hochziehen I Erstaunlich, wieviel freundschaftliche Hilfestellung Michael Jackson zuteil wurde, ehe er der alles überstrahlende Star wurde. Natürlich hat Diana Ross – Leute aus dem Motown-Stall verlieren nie die Witterung füreinander – 1978 den von den „Jackson Five“ abgenabelten Michael zum Soundtrack fürs schwarze Film-Musical „The Wiz“ ins Studio geholt.

Beim Sprung über den großen Teich, auch über die Ghetto-Barrieren, half dann 1983 Paul McCartney (schon Stevie Wonder – erprobt) als Duett-Partner in „Say Say Say“. Da war drüben Jacksons erstes Solo-Album OFF THE WALL schon ein Millionenerfolg, aber Europa noch keineswegs erobert.

Doch es gibt eine ausgleichende Gerechtigkeit. Michaels Bruder Jermaine wurde dazu vergattert, an der Seite der unsäglichen Pia Zadora den Video-Wüstenscheich à la Rudolph Valentino zu machen und, eine Art Nurejew mit Pigmenten, etwas vom Glamour und Abenteuerrausch aus alten Hollywood-Zeiten in unsere Wohnstube zu bringen. Wie tröstlich, daß der Treibsand des Vergessens sich schon jetzt über das Lied und die Dame legt.

So könnte ich noch lange weiter maulen. Aber: Gemach, gemach, und das aus zwei Gründen. Zum ersten — und das ist ein sehr persönlicher Grund finde ich es nach 30 Dienstjahren an der Schreibmachine albern, wenn ich immer noch und auch hier schon wieder jemandem die Maske herunterreiße und dahinter das Gesicht eines Menschen entdecke, der mit seiner Arbeit Geld verdienen will. Zum anderen – und nun wird es wieder allgemeiner – ist es historisch gesehen einfach Blödsinn, wenn man tränenüberströmt klagt, daß früher alles schöner und jedes gemeinsame Wirken von Stars ein Herzensbündnis gewesen ist.

Es ist schon ein paar Wochen her, da veranstaltete der NDR eine Talk-Show zum Wochenende und hatte sich den Star-Kult als Thema ausgekuckt. Nach einleitendem Geplänkel, etwa über die Gage des Operntenors Domingo, kam man schnell zur Sache, wandte sich der Frage zu, wie weit beim Star denn so die Identität von Image und wahrem Charakter geht. Spielt er vielleicht auch im Privatleben eine Rolle?

„Aber natürlich“, brauste da Geza von Cziffra, der Filmregisseur aus Deutschlands, sagen wir mal: besonnter Vergangenheit, auf. „Ein Star mußte zunächst einmal Opfer bringen, und vor allem galt das für jene Stars, die für das Publikum zu Traumpaaren aufgebaut waren.

Lillian Harvey und Willy Fritsch zum Beispiel hatten eine feste Klausel in ihrem Vertrag: Sie mußten, ob sie nun wollten oder nicht, als Liebespaar auftreten, gemeinsam Premieren besuchen, sich zweimal wöchentlich in einem Uraufführungs-Kino sehen lassen. Das waren sie ihrem Ruf als Traumpaar der Nation einfach schuldig. „

Das Traumpaar, weder vom Dompfaff noch von einem anderen Geistlichen abgesegnet, hat uns dann auch unser Wirtschafts-Wunderland der fünfziger Jahre beschert. Unvergessen bleiben Gitte und Rex. Daß aber beide Partner bis ans Klassenziel der künstlerischen Reife vorgedrungen, erwachsen geworden sind, hat man nur an Conny und Peter beobachten können. Sie begeistert heute das Münchner Theaterpublikum als Maria Stuart (E!) und „My Fair Lady“(U!). Auf ihm ruhen wohlwollend die „Tausend Augen“ auch der verwöhntesten Cineasten.

Still geworden aber ist es um die kleine Anita, die sich, während ihr ein Teddy nach dem andern auf die Bühne gereicht wurde, für die Dauer eines Duo-Hits mit Roy Black verband.

Doch von Ella und Louis spricht auch heute noch jeder. Goethes schönes Wort „Amerika, du hast es besser“, in diesen unseren Tagen ja nicht mehr von klassischer Endgültigkeit… voll kann es immer dann ins Schwarze treffen, wenn sich die Großen des transatlantischen Show-Business zu einem, und sei’s: verordneten Rendezvous zusammenfinden. Hier soll nicht undeutsch das Fremde verklärt und schon gar nicht zum x-ten Mal die Genialität von Genies gerühmt werden.

Nein, mir geht es – durchaus mit einem Blick auf das Heute um eine Antwort auf die Frage, warum die Duette zwischen Ella Fitzgerald und Louis Armstrong in der Jazzwelt so kommerziell geworden und in der kommerziellen Welt so frisch geblieben sind.

Wenn hier nie der Eindruck von Peinlichkeit aufkam, dann deshalb, weil Ella wie Louis in dieser Talmi-Welt nie so taten, als ob; uns nie das turtelnde Täubchen oder den röhrenden Platzhirschen vormachten. An die Stelle der angeknipsten sexuellen Hörigkeit tritt die profesionelle Hochachtung. Voller Sympathie füreinander machten sie sich an die Heidenarbeit, alten Evergreens wieder frisches Grün abzuluchsen.

Anfänger und hochgepushte Sternchen schaffen das nicht. Da muß man schon wer sein. Mit dem Instrument, mit der Stimme oder mit der als Instrument genutzten Stimme kommentiert der eine Gesprächspartner, was der andere gerade erzählt. Mal tut er das liebevoll, mal ironisch, manchmal natürlich auch liebevoll ironisch. Kein Drei-Minuten-Porno läuft da ab, gierig beäugt von den Männern des Marktes. Zwei Eingeweihte vertiefen sich ins schöne Gespräch.

Und dies „schöne Gespräch“ ist auch heute noch nicht verstummt, ist auch von PR-Lärm unserer Duett-Strategen nicht völlig zum Schweigen gebracht worden. Denen ist natürlich das pflegeleichte ad-hoc-Pärchen lieber… durch den Weichzeichner verschönt, der Boutique entstiegen, in die Disco abtauchend.

Aber es gibt neben dem gestylten Nichts eben auch die Doppelbotschaft, der zu lauschen sich lohnt. Es lohnt sich vor allem dann, wenn diese Botschaft ohne Pathos und Bombast vorgetragen und dadurch glaubwürdig wird.

Daß es auf dem Klavier neben den weißen auch schwarze Tasten gibt, ist ein Faktum. Wenn aber Paul McCartney und Stevie Wonder von „Ebony And Ivory“, also von „Ebenholz und Elfenbein“ singen, verwandelt sich das Faktum in Poesie und in eine stolze, fordernde, auch mit Gospelzungen redende Hoffnung.

Unterhaltung, die einem nicht die Schamröte ins Gesicht treibt… auch sie hat uns der Zwiegesang, der überall herumgeht, ins Haus getragen.

Historiker der weltweiten Duo-Bewegung sind übereingekommen, daß der Boom 1979 mit den zusammengespannten Talenten von Donna Summer und Barbra Streisand begann. Mir soll’s recht sein – enthält dieses Lied doch im Kern schon Soll und Haben des ganzen Unternehmens: Neue Märkte und Kontinente sollen erobert, aber auch Rassenschranken niedergerissen werden. Es muß nicht immer der Liebeskasper um das Schmusekätzchen balzen. Nicht nur erotische Spannungen bringen die Scheibe zum Knistern. Auch aus rein musikalischen, an die Persönlichkeit oder das Genre gebundenen Gegensätzen lassen sich Funken schlagen.

Aber: Gibt es überhaupt noch viel zu verkoppeln und zu verkuppeln? Schon kauen die Kreativen auf den Nägeln, werden zündende Ideen rarer. Der Summer-Streisand-Titel, mit dem alles begonnen haben soll, könnte sehr schön auch alles beenden… „Enough is enough“!