Liebestollhaus


Für seinen Film Der Krieger und die Kaiserin arbeitete Tom Tykwer mit starken Typen zusammen: Benno Fürmann, Franka Potente und Skin.

Ja, die Liebe hat es Tom Tykwer offensichtlich angetan. In seinem Kassenknüller „Lola rennt“ siegte das höchste der Gefühle gegen äußere Widerstände, letzt heilt die Liebe in seinem neuen Streifen „Der Krieger und die Kaiserin“ die Wunden seiner beiden seelisch verkrüppelten Helden Sissi (Franka Potente) und Bodo (Benno Fürmann). Die Story: Sissi, Krankenschwester in einer psychiatrischen Anstalt, wird bei einem Unfall von einem mysteriösen Mann gerettet, der danach spurlos verschwindet. Schließlich findet die junge Frau ihn aber doch. Klingt irgendwie nach einer Schnulze, ist es aber nicht. „Herkömmliche Liebesfilme, die nur auf eine Kussszene zusteuern, langweilen mich“, nimmt der Regisseur Zweiflern den Wind aus den Segeln. Darum hat er sich mit „Der Krieger und die Kaiserin“ über sämtliche Konventionen hinweggesetzt. Seine Protagonisten kommen sich, man höre und staune, zu Beginn des Films bei einem Luftröhrenschnitt unter einem Laster näher. „Dieser Augenblick verändert ihr ganzes Leben“, doziert Tom Tykwer.

Verstehe, hier haben wir es also mit einem Wink des Schicksals zu tun. „Das muss jeder selbst entscheiden“, beschwichtigt Benno Fürmann. „Ich persönlich denke allerdings, dass nichts im Leben umsonst passiert. Es lohnt sich immer, selbst auf das kleinste Zeichen zu achten.“ Da kann Franka Potente ihrem Kollegen nur beipflichten: „Ich bin relativ schicksalsergeben. Das hilft dir als Schauspieler enorm. Wenn es mit einer Rolle mal nicht geklappt hat, kannst du dir einreden, dass vielleicht irgendwo ein attraktiveres Angebot auf dich wartet.“ Vielleicht ein Plattenvertrag? „Nee, ich bin weder eine großartige Sängerin noch eine begnadete Texterin.“ Egal. Für den Soundtrack zu „Lola rennt“ durfte sie trotzdem mit Thomas D im Duett singen. „Ich habe mich aber immer dagegen gewehrt, mit ihm live aufzutreten“, gesteht sie. „Da würde ich mich in Grund und Boden schämen.“

Daxu besteht eigentlich nicht der geringste Grund, denn auch ihr neuer Song für den Film „Der Krieger und die Kaiserin“ kann sich durchaus hören lassen. Wenn Franka Potente „Why Don’t You Fly With Me?“ ins Mikro schmachtet, braucht sie sich hinter Kolleginnen wie Anita Lane nicht zu verstecken. Lind wenn sie ehrlich ist, findet sie die Ausflüge in die Musik auch gar nicht mal übel: „So lange ich nicht Whitney-Houston-mäßig singen muss, ist das ganz witzig.“ Vielleicht, ja vielleicht, geht eines Tages sogar ihr großer Traum in Erfüllung: „Einmal bei Nick Cave im Hintergrund trällern.“ Auch in einem seiner Videos in bester Kylie-Minogue-Manier als Wasserleiche zu sterben, wäre nicht schlecht. Sagt sie.

Bis zu diesem Tag X jedoch will sich die Wahl-Berlinerin ausgiebig ihrer Filmkarriere widmen. Um sich auf ihre Rolle als Krankenschwester vorzubereiten, arbeitete sie sogar eine Woche in der Psychiatrie. „Ich bin da als Franka hingegangen. Aber ich hätte lieber als Sissi auftreten sollen“, sinniert die Schauspielerin: „Weil Sissi nichts persönlich nimmt. Als Franka dagegen hat mich die Ablehnung der Patienten gekränkt.“ Mit derartigen Problemen musste Benno Fürmann sich nicht herumschlagen. „Bei mir gibt es immer Parallelen zu meinen Rollen. Wenn ich zu einer Figur keine Brücke schlagen kann, brauche ich die gar nicht erst zu spielen.“ Dass Bodo auf dem Einzelgänger-Trip ist, kann der Berliner durchaus verstehen: „Ich bin auch ganz gerne mal allein. Aber wenn diese Phase vorbei ist, brauche ich wieder Leute um mich ‚rum.“ Zum Beispiel Tom Tykwer. Er und der Darsteller verstanden sich am Set praktisch blind. „Wir haben auf einem unterbewussten Level gearbeitet“, ist sich der Regisseur sicher: „Benno wusste intuitiv, was er zu tun hatte.“

Ähnlich erging es Tom Tykwer mit Skin. Die Skunk Anansie-Frontfrau und er waren bei ihrem ersten Treffen während der Filmfestspiele in Cannes sofort auf einer Wellenlänge. Darum zögerte die Gefühlskino

Sängerin keine Minute, als der Berliner Filmemacher sie für seinen Soundtrack engagieren wollte: Sie sang mit ihrer kraftvollen Stimme „You Can’t Find Peace“ ein. Dass dieses Stück erst am Schluss des Films gespielt wird, macht für Tom Tykwer durchaus Sinn: „Skins Song ist für mich die Seele des Films. Einerseits erlöst You Can’t Find Peace‘ den Zuschauer am Ende von der harten Filmrealität. Andererseits bringt er die düstere Energie meines Streifens auf den Punkt.“ Skin, beim Interview ebenfalls anwesend, nickt zustimmend: „Mein Lied hat sehr zerbrechliche Momente. Es gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt.“

Das trifft auch auf den Film iu. „Er bringt den Zuschauer gefühlsmäßig rauf und runter“, befindet Skin. „Besonders das langsame Erzähltempo hat mich persönlich gefesselt.“ In der Tat hat Tom Tykwer im Vergleich zu „Lola rennt“ bei seinem neuen Werk einige Gänge zurückgeschaltet: „Obwohl ‚Der Krieger und die Kaiserin‘ auf den ersten Blick viel ruhiger als sein Vorgänger erscheint, ist die Stimmung in Wirklichkeit angespannter als bei ‚Lola‘. Die Spannung eines Films wird nicht durch schnelle Schnitte erzeugt, sondern durch intensive Gefühle.“ Der Mann hat zweifelsohne Recht. Trotzdem versuchen viele seiner Geschlechtsgenossen, ihre Emotionen mit allen Mitteln zu unterdrücken. Bodo etwa kämpft permanent einen aussichtslosen Kampf gegen sich selbst. „Zunächst verweigert er sich standhaft einem Perspektivenwechsel“, reflektiert Tom Tykwer seinen Helden. „Bei Bodo fällt erst zum Schluss der Groschen. Da kapiert er endlich, dass er sich ändern muss.“ Leichter gesagt als getan. Doch Bodo kriegt am Ende die Kurve, weil er plötzlich seinem Alter ego gegenübersteht. „Eine Wahnsinnsszene“, platzt Benno Fürmann heraus: „Dass auf der Leinwand Bodos beide Persönlichkeiten aufeinander treffen, finde ich großartig. Da erlebt der Zuschauer hautnah, wie sich meine Figur für ein neues Leben entscheidet.“ Ob die Liebe Bodos Wunden geheilt hat? Klar, diese Theorie kann Tom Tykwer nur unterschreiben: „Ich traue der Liebe allerlei zu. Sie hat meinen Helden aufgebrochen.“

Stichwort Traummann – Johnny Depp dürfte Franka Potente bei ihrem gemeinsamen Dreh für den Film „Blow“ doch auch Magenkribbeln verursacht haben…? „Nö“, macht die Schauspielerin diese Spekulation zunichte, „nur die Mädchen in meiner Umgebung sind hysterisch geworden.“ a, aber Johnny Depp ist immerhin ein Frauenschwarm! Also gut, jetzt muss es wohl doch raus. „Zwischendurch hatte ich schon mal einen Moment, wo ich dachte: ‚Scheiße, das ist jetzt lohnny Depp.'“, gibt die Wahl-Berlinerin zu. „Aber das war’s. Im Grunde habe ich lohnny als Menschen kaum wahrgenommen.“ Bei Tom Tykwer war das ganz anders. Nach den Dreharbeiten zu „Lola rennt“ wurden er und Pranka Potente ein Paar (Foto unten). Unter diesen Bedingungen konnte die Schauspielerin bei „Der Krieger und die Kaiserin“ natürlich nicht ganz so unbefangen wie früher an den Set gehen: „Ich wusste nicht so recht, wie die Kollegen damit umgehen würden. Aber weil wir nicht ständig knutschend in der Ecke standen, gab es da eigentlich keine Probleme.“

Skins Liebesleben Ist dagegen nicht ganz so unkompliziert. „In meinem Leben laufen Beziehungen nicht immer glatt. Aber wenn alles perfekt wäre, würde ich mich schnell langweilen.“ Da scheint die Dame etwas mit Bodo gemeinsam zu haben. Volltreffer, Skin outet sich sofort: „Auch ich bin emotional oft sehr instabil.“ Wer hätte das gedacht – auf der Bühne wirkt die Skunk Anansie-Frontfrau doch immer hochgradig Energie-geladen. „Na und?“ kommt es wie aus der Pistole geschossen. „In jedem von uns steckt doch irgendwie ein Krieger und eine Kaiserin. Mal bin ich aggressiv, mal zärtlich.“ Für Zärtlichkeiten hat auch Sissi viel übrig – nie lässt sie sich von ihren Patienten aus der Ruhe bringen. „Meine Heldin ist für die Kranken wie ein heller Engel, der vom Himmel gefallen ist“, sucht Franka Potente nach einer passenden Beschreibung. Das klingt fast schon märchenhaft. Mit dieser These kann sich Benno Fürmann durchaus anfreunden: „Genau wie im Märchen hat ‚Der Krieger und die Kaiserin‘ eine übersteigerte Realität. In diesem Streifen passieren magische Dinge.“ Skin schaltet sich wieder ein: „Mich erinnert dieser Film an ‚Die Schöne und das Biest‘.“

Diese Assoiiation ist keineswegs abwegig. Trotzdem konfrontiert Tom Tykwer den Zuschauer obendrein gnadenlos mit der harten Realität in einer Psychiatrie. Der eine Insasse verprügelt Sissi grundlos, der nächste verstümmelt sich mit Scherben – wahrlich kein schöner Anblick. „Die geistigen Fähigkeiten dieser Menschen können halt jederzeit ins Negative umschlagen“, kommentiert Tom Tykwer diese Szenen. „Trotzdem sehe ich sie nicht als Schauerkabinett. Für mich ist die Psychiatrie eine reale Lebenswelt.“ Dass sich Tom Tykwer diesem heiklen Thema derart sensibel angenähert hat, ist ihm hoch anzurechnen. Doch den Erfolg von „Lola rennt“ wird er mit „Der Krieger und die Kaiserin“ nicht unbedingt toppen können. „Über die Erfolgsaussichten mache ich mir keine Gedanken, wenn ich einen Film drehe“, winkt der Regisseur ab. „Darunter würde bloß meine Arbeit leiden.“ Welcher Qualitätsmaßstab für den gebürtigen Wuppertaler zählt? „Ich mache Filme für das Publikum. Da ich selbst regelmäßig ins Kino gehe, frage ich mich immer wieder, was mich selbst noch interessieren könnte.“ Ob diese Rechnung bei „Der Krieger und die Kaiserin“ aufgehen wird, werden die Besucherzahlen zeigen. Egal wie dieses Ergebnis ausfallen wird, Tom Tykwer hat zumindest einen wahren Fan erobert: Skin. Was ihr an seinem Streifen besonders gefällt? Dass nur die Liebe zählt. „Die meisten Filme sind heutzutage doch bloß auf Sex zugeschnitten“, wettert die Musikerin. „Tom zeigt dagegen, wie Menschen in bestimmten Situationen über sich selbst hinauswachsen können.“