LGoony im Interview: „Ich würde Mark Forster sofort gegen Rihanna eintauschen!“
„Die Deutsch-Rap-Szene verliert ihren Glanz, sobald du Teil davon wirst“: Ludwig Langer aka LGoony im ME-Gespräch über angreifbare Kunstfiguren, manipulative Protestbewegungen und darüber, wie wir in Zukunft Musik hören werden.
Er kennt die Formel zum Erfolg, doch macht es anders als der Rest: So beschreibt LGoony seine Strategie im Song „Allein gegen Alle“. Das Konzept scheint aufzugehen. Seit 2014 brachte Ludwig Langer aka LGoony fünf Soloalben heraus und setzte sich mit seinem Stil schon immer bewusst vom dominierenden Sound im Deutschrap ab. Warum diese Szene oft nur von außen so glanzvoll erscheint, erzählt der Musiker in unserem Interview. Wir sprechen über angreifbare Kunstfiguren, manipulative Protestbewegungen und darüber, wie wir in Zukunft Musik hören werden. Außerdem verrät uns der Rapper, wie er die Zeit während des (ersten) Lockdowns genießen konnte und warum seine Musik irgendwann eher nach Pink Floyd und den Beatles klingen könnte als nach Cloud-Rap.
Seinen flauschigen Fellmantel, in dem sich LGoony zuletzt gerne in Musikvideos zeigte, hat er heute zu Hause gelassen. Der Rapper kam für die „Arte Tracks Night“ im Oktober 2020 von Köln nach Berlin und sitzt nun in seinem rosa Hoodie vorm Spiegel in seinem Hotelzimmer. Hier bereitet er sich auf seinen Auftritt vor – beziehungsweise wird vorbereitet. Ein Stylist breitet seine Utensilien auf dem Bett aus, ich krame meine Notizen hervor und starte das Diktiergerät. Es kann losgehen. Die erste Frage kommt allerdings nicht von mir. „Wie trägst du deine Haare normalerweise?“ will der Stylist wissen. „So!“, sagt Langer, zieht seine Haare hoch und legt sie zur Seite. „Aber diese Frisur ist ein bisschen schwierig, glaub ich.“ Als der Musiker unter einer Haarspray-Wolke wieder atmen kann, drängt sich direkt eine erste Frage auf.
Ludwig, was ist an Rihannas Leben besser als an dem von Mark Forster?
Ganz klar: der Glamour. Aber du spielst ja auf das Intro zu meinem Song an – das ist spontan entstanden. Ich hab nichts gegen Mark Forster persönlich. Okay, seine Musik ist schrecklich! Aber er ist bestimmt ein netter Typ. Nur seinen Lebensstil stelle ich mir nicht ansatzweise so luxuriös vor wie den von Rihanna. Ich würde sein Leben jederzeit gegen das von ihr eintauschen.
Du willst nicht, dass man Deine Musik ironisch hört. Aber wie viel Ironie steckst Du selbst in Songs wie „Rihanna“?
Gar nicht so viel, wie die Leute im ersten Moment vielleicht denken. Ich habe mir mit LGoony diese Kunstfigur geschaffen, die alles machen kann, was sie will. Was rüberkommt wie Ironie sind in Wirklichkeit nur spontane Ideen. Dinge, die mir einfach so in den Sinn kommen.
Ist es von Vorteil, sich so eine Kunstfigur zu erschaffen, wenn man in der Öffentlichkeit steht?
Auf jeden Fall. Ich glaube, jeder Mensch ist auf eine gewisse Art eine Kunstfigur. Vor allem als Künstlerin oder Künstler gibst du nur bestimmte Sachen preis, das ist sehr selektiert. So baut sich jeder gewollt oder ungewollt sein Image auf.
… und macht sich dadurch weniger greifbar?
Genau, und auch interessanter.
Diese Ungreifbarkeit macht ja auch unangreifbarer.
Das spielte bei mir nie eine Rolle. Ich glaube, ich bin immer noch genauso angreifbar wie vorher. Mir geht es eher darum, durch meine Kunstfigur einen Rahmen zu schaffen. Ich mag es, wenn Musik in einem Kontext stattfindet. Deswegen bin ich auch noch so ein ganz klassischer Album-Hörer zum Beispiel. Auch wenn das immer mehr aus der Mode kommt.
Das mit der Mode in Bezug aufs Musikhören ist gar nicht so leicht. Es gibt eine starke Tendenz zum schnellen Streaming, gleichzeitig steigen die Absätze für Schallplattenverkäufe seit 2007 wieder enorm an – sogar während der Corona-Krise.
Ich glaube, bald wird sich niemand mehr für Schallplatten interessieren. Die Zukunft besteht aus Playlists.
Woran liegt das Deiner Meinung nach?
Das ist sehr komplex. Unter anderem verliert Musikjournalismus an Einfluss. Damit bricht diese Instanz weg, die Musik einordnet und vorstellt. Die Leute entdecken ihre Musik jetzt eher übers Streaming. Dadurch bekommen Playlists einen so großen Stellenwert wie zuvor Musikjournalisten und damit auch die Macht, Sachen zu platzieren wie wiederum zuvor das Radio.
Wie bewertest Du das?
Ich finde es schade, dass Musikjournalismus unwichtiger wird. Das ist auf jeden Fall ein Verlust. Aber es liegt auch daran, dass es immer weniger Musikjournalisten gibt, die wirklich Ahnung haben und kritisch sind. Irgendwie auch verständlich, es ist halt ein brotloser Job. Doch dadurch liegt die Kontrolle allein bei den großen Playlists und die sind natürlich maximal unkritisch. Und meisten ziemlich schlecht.
Wäre es also eine große Kränkung für Dich, irgendwann auf dem Cover der einflussreichen „Modus Mio“-Playlist zu sein?
Naja, es gäbe zwei Möglichkeiten, warum ich das Gesicht der Modus Mio wäre: Entweder hätte ich mich dem gängigen Sound angepasst. Das wäre ein Problem. Oder aber ich hätte Leute mit meinem Stil inspiriert. Dann kann mein Sound auch gerne in so einer Playlist stattfinden. Aber momentan klingt das ja alles noch sehr eintönig da.
Für viele klingt allerdings auch Cloud-Rap ziemlich gleich.
Klar, aber das liegt daran, dass es halt ein Genre ist. Wobei ich gar nicht weiß, was die öffentliche Meinung unter Cloud-Rap versteht.
Auto-Tune und Synthesizer vielleicht?
Ja, wahrscheinlich. Dabei geht es vor allem um wolkige, atmosphärische Beats. Das war gar nicht so Synthesizer-lastig am Anfang. Auch Auto-Tune ist nicht zwingend ein Bestandteil. Aber ich habe da schon so viele verschiedene Definitionen gehört. Mal wurde Money Boy genannt, mal A$AP Rocky…
…und ganz besonders oft auch: LGoony.
Ja, das stimmt. Das liegt daran, dass ich mich schon früh mit amerikanischem Rap auseinandergesetzt habe, der dann meine eigene Musik inspiriert hat. Dadurch war ich einer der ersten, der bestimmte amerikanische Stilmittel und Einflüsse in den Deutsch-Rap übertragen hat.
Orientierst Du Dich immer noch am amerikanischen Sound?
Ich höre momentan nicht mehr so gerne Rap. Das liegt vielleicht auch am Streaming, aber ich finde, Rap-Alben werden immer schlechter. Ständig kommen neue Sachen raus, es gibt eine riesige Quantität ohne konstante Qualität. Rap ist ein Fast-Food-Genre geworden.
Was hörst Du denn stattdessen?
Ich steh momentan eher auf Popmusik. Die ist meistens durchdachter und ausgearbeiteter als irgendein Freestyle-Rap, wo einfach Auto-Tune drauf gelegt wurde und irgendein schrecklicher Beat, der einfach nur klingt wie jeder andere Beat.
Früher warst Du großer Fan von den Beatles und Pink Floyd. Könntest Du Dir vorstellen, irgendwann auch selbst Richtung Rock oder Poprock zu gehen?
Klar, warum nicht? Ich will auf jeden Fall noch verschiedene Musikstile ausprobieren. Rap sind meine Wurzeln, aber ich entwickele mich schon jetzt immer mehr davon weg.
Kannst Du Dich mit Deinen musikalischen Anfängen dann überhaupt noch identifizieren, oder war das bis hierhin wirklich „alles nur Demo“?
Ich höre jetzt Fehler, die ich früher nicht erkannt hätte oder die mir egal waren. Aber es ist immer wieder lustig, mir meine alten Sachen reinzuziehen. Ich stehe auch hinter allem, was ich gemacht habe. Gleichzeitig merke ich, wenn ich mir jetzt einzelne Songs von früher anhöre: Wow, das war wirklich eine komplett andere Zeit damals!
Kommt Dir diese Zeit sehr weit weg vor?
Das ist ganz komisch. Teilweise kommen mir Events von vor fünf Jahren so vor, als wären sie vor fünf Monaten gewesen. Doch manchmal passiert so viel, dass eine Woche sich wie ein Jahr anfühlt.
Dass sich Zeit wie eine Ziehharmonika anfühlt, empfinden auch viele während der Corona-Pandemie. Wie hast Du als Künstler die Corona-Beschränkungen erlebt? Hat Dich das eher gelähmt oder ganz neue Prozesse in Gang gesetzt?
Alles hat sich komplett verändert, aber das lag nicht nur an Corona. Da sind Dinge im Privaten passiert, die ziemlich schwer zu verdauen waren.
Wie bist Du damit umgegangen?
Vieles habe ich in meiner Musik verarbeitet. Und ich habe endlich Dinge gemacht, für die in den letzten Jahren kaum Zeit war.
Warst Du auch einer von denen, die in Quarantäne plötzlich eine neue Sprache gelernt haben oder so?
Nein, aber stattdessen bin ich viel durch die Gegend gefahren, habe alte Freunde besucht. Dazu hatte ich in den letzten fünf Jahren kaum Gelegenheit. Das war seit Langem der erste Sommer, den ich ganz für mich hatte. Keine Shows, keine Festivals. Es war schön, Menschen mal ohne konkreten Anlass zu sehen.
Während des Lockdowns war es bestimmt von Vorteil, dass die Leute mit denen Du eng zusammenarbeitest, also die Lichtgang, auch gleichzeitig Deine engsten Freunde sind, oder?
Das ist immer ein riesiger Vorteil! Viele aus meiner Crew kenn ich seit der Schulzeit. Mit anderen arbeite ich seit Beginn meiner Laufbahn zusammen. Dadurch kennen und vertrauen wir uns auf einer viel tieferen Ebene.
Kannst Du Dir vorstellen, dauerhaft auf Live-Shows zu verzichten und Musik nur noch im Studio zu machen?
Am liebsten lebe ich beide Facetten aus. Seit das Virus ausgebrochen ist, habe ich zwei Sitzplatzkonzerte gespielt und das waren echt schöne Erfahrungen. Es pusht dich, die Reaktion der Leute direkt zu erleben. Aber ich kann mir auch vorstellen, Musik in einem Raum nur für mich zu machen und nachträglich an die Öffentlichkeit zu bringen. So habe ich ja auch angefangen.
Damals hast Du Musik tatsächlich nur für Dich gemacht. Mittlerweile verdienst Du Dein Geld damit. Verändert sich die Leidenschaft für Musik, wenn das Hobby zum Beruf wird?
Kein bisschen. Ich mache Musik nur, wenn ich Lust darauf habe. Ich habe das Glück, dass ich damit ganz erfolgreich bin, ohne mich zu verstellen. Doch ich würde mich und meine Musik auch nie für Geld verändern.
Geld – oder eher die Abwesenheit von Geld – war in der Musikbranche in den vergangenen Monaten ja ein großes Thema.
Klar, aber nicht nur in der Musikbranche. Künstler sind nicht die Einzigen mit Existenzangst. Es ist schwer zu sagen, wer jetzt welchen Anspruch auf wie viel Geld hat.
Das hat einige Diskussionen angestoßen darüber, ob Menschen mehr nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft bezahlt werden sollten.
Aber wer definiert denn den Nutzen für die Gesellschaft? Das sieht jeder anders. Aber natürlich sollte jeder Mensch gerecht verdienen und von seinem Beruf leben können, ohne sich mit drei Nebenjobs über Wasser halten zu müssen.
Wie siehst Du denn den Nutzen von Musikern für die Gesellschaft?
Ich glaube, Musik ist wichtig für die Menschen. Wir brauchen Musik. Aber Musiker brauchen wiederum eine Hörerschaft. Deswegen ist dieser Job per se schon sehr ungewiss und unausgewogen.
Dass im Deutschrap Deiner Meinung nach nicht unbedingt die Besten die mit der größten Hörerschaft sind, hast Du ja schon oft deutlich gemacht. Aber wie hat sich Dein Bild von Deutschrap geändert, seitdem Du selbst Teil der Szene bist?
Von außen wirken diese Leute immer so unantastbar, wie richtige Stars. Doch sobald man selbst drinsteckt, verliert das Ganze seinen Glanz. Ich hatte viele negative Begegnungen mit einigen aus der Szene und will mit manchen echt nichts mehr zu tun haben. Von anderen hätte ich wiederum nicht gedacht, dass das in Wirklichkeit so bodenständige Leute sind.
In „Allein gegen Alle“ sagst Du: „Was mich antreibt, war schon immer der Protest“. Es formieren sich in diesen Monaten und Jahren verschiedene Protestbewegungen weltweit. „Black Lives Matter“, „Fridays For Future“, aber auch Demos gegen die Corona-Maßnahmen. Würdest Du Dich einer Protestbewegung anschließen und wenn ja, welcher?
Das ist das Problem bei Bewegungen. Sie können gute Motive wie Klimaschutz haben oder so absurde wie Corona. Aber auch innerhalb dieser Bewegungen schließen sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Motivationen zusammen. Deshalb weiß man nie so genau: Vertrete ich hier im Endeffekt wirklich noch meine Interessen? Oder lasse ich mich vor einen Karren spannen?
Man sollte also darauf achten, nirgendwo einfach blind mitzulaufen?
Genau. Ich finde es wichtig, seine Meinung zu sagen. Und solche Bewegungen wie „Fridays For Future“ halte ich natürlich auch für eine gute Sache. Aber man muss vorsichtig sein, dass man dadurch nicht instrumentalisiert wird.
Inwiefern?
Zum Einen von den Leuten, die solche Bewegungen initiieren. Da muss man sich fragen: Sind deren Motive auch meine Motive? Vor allem aber muss man sich bewusst sein, dass man von der Gegenseite instrumentalisiert wird, die einen dann leicht zum Feindbild stilisieren. Und dann ist man deren Gehetze ausgesetzt.
Dass Deine geplante Tour „Go Green“ heißt, hat also keinen spezifischen Klimabezug?
Go Green spielt auf ein Projekt an, das eigentlich dieses Jahr gekommen wäre. Dabei geht es vor allem darum, rauszukommen, ins Grüne zu gehen. Tatsächlich hab ich da aber auch mit der Klima-Thematik gespielt.
Nach Frost Forever kommt jetzt also der grüne Frühling?
So war es geplant. Doch jetzt ist erstmal wieder Winter und das Ganze liegt wortwörtlich auf Eis.
Dafür hat es mit „Juni“ ein Track auf die Platte geschafft, in dem du ja auch einen sehr schönen Sommertag beschreibst.
Das muss gar kein Sommertag sein. Es kann auch ein Wintertag sein. Es fühlt sich einfach an wie Juni.
Und wie fühlt sich Oktober an? Wie würde so ein Song klingen?
Momentan fühlt sich der Oktober nicht sehr schön an. Regnerisch. Grau. Die Stimmung ist nicht Juni, eher Januar. Dieser Herbst zieht die ganze Energie, die sich über den Sommer aufgebaut hatte, wieder raus. Es wäre ein sehr trister, depressiver Song.
Wenn wir jetzt zum Schluss schon schön dramatisch werden, dann richtig! Du wirst an der Arte-Kampagne „Es wird Zeit“ teilgenommen haben, die sich mit Politik, Gegenwart, Zukunft und – ja, auch mit Apokalypse beschäftigt. Wie würdest Du Deinen letzten Tag auf der Welt verbringen, ob Juni oder November? Meditieren, eine Party schmeißen, ein letztes Lied komponieren..?
Ich würde vermutlich Sex haben.
In diesem Moment geht die Tür zum Hotelzimmer auf und LGoony wird für seinen Auftritt abgeholt. Am 27. November wurde die Aufzeichnung des Events „Es wird Zeit“ auf ARTE erstmalig ausgestrahlt. Die Veranstaltung steht im Zusammenhang mit einem gleichnamigen Umfrage-Projekt, an dem sich Menschen aus aller Welt seit Mai beteiligten. Im Fokus standen Fragen zur Zukunft unserer Umwelt, unserer Demokratie und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Neben LGoony waren auch der britische Rapper Che Lingo, die Klimaschützerin Luisa Neubauer und die Journalistin Esra Karakaya zu Gast.
Seht hier LGoonys arte-Auftritt im Stream: