Leserbrieffälscher, RTL-Flüsterer, Blitzlichtluder: Meine 8 schrägsten Jobs im Pop
Mit der einbrechenden Demokratiedämmerung wird es auch düster für freien Popjournalismus. Linus Volkmann blickt hastig noch mal zurück.

Diese Kolumne erscheint kurz vor der Bundestagswahl 2025. Die Stimmung ist allerorts unfassbar aufgeladen. Auch mir raubt das Thema den Schlaf, dass dieses Jahrzehnt in einem immer obszöneren Zeitraffer Demokratie und Humanismus abschafft. In Amerika sieht man bereits, wie das funktioniert. Ich als Journalist sehe natürlich auch mit Grausen, wie Medien ausgesperrt werden, weil sie nicht grotesk nationalistischen Neusprech (Golf von Amerika vs. Golf von Mexiko) übernehmen. Und das dürfte nur ein kleiner Vorgeschmack auf diese neue „Redefreiheit“ sein, deren Fehlen im Vorfeld stets jammernd eingeklagt wurde.
Ach, ich werde es vermissen, in größeren Medien bunte Pop-Artikel zu verbreiten. Und mir graut davor, stattdessen in ein paar Jahren in zugigen Kellern Flugblätter drucken zu müssen. Per Hand oder mit einem ausrangierten Kopierer aus den 90er Jahren. Nur um dann irgendwann mit wirren Haaren hingerichtet zu werden von steinreichen Autokraten. Aber man kann es sich ja nicht aussuchen, friends!
Daher blicke ich heute noch einmal zurück auf meine ausgedachte „Karriere“ als Popjournalist – my own private Brandmauer gegen Langeweile (und Altersversorgung).
Hinsichtlich der Wahl vertraue ich übrigens vollständig eurer Expertise. Ihr wisst schon, was ihr tut – und danke dafür!
Lustiges Taschenbuch (az)
Mein allererstes Praktikum spült mich zu Beginn des Studiums in ein Frankfurter Stadtmagazin mit dem Namen AZ (Andere Zeitung). Ich habe bereits selbstgeklebte Heftchen rausgegeben, sogenannte Fanzines, und brenne darauf, mich einzubringen in „echten“ Journalismus. Die Redaktion sieht aus wie aus einem Blattmacherfiebertraum: Jeder Schreibtisch gestapelt voll mit unzähligen Papieren, Zetteln, Heften, Kaffeetassen und stinkenden Aschenbechern. Sorry, liebe Lungenflügel unter euch, aber vor der Jahrtausendwende wurde in Büros noch geraucht – und in Redaktionen natürlich besonders.
Einer meiner ersten Einsätze als rasender Reporter verschlägt mich zu dem damaligen hessischen Triathleten Lothar Leder. Ich besuche ihn daheim und schreibe etwas, das ich für eine smarte Reportage halte. Bei heutiger Durchsicht liest es sich allerdings eher wie ein Lustiges Taschenbuch – ohne die Comics. Doch die Rüge dafür erhalte damals nicht ich, sondern der Fotograf. Er hätte mich oberkörperfrei neben dem markigen Muskel-Dude ablichten sollen. Denn – so war offenbar die Idee der Redaktion (man sieht es auch im beigefügten Bild) – der Kontrast zwischen „Hänfling“ (ich) und „Conan“ (Leder) sei als Aufhänger für die Story gedacht gewesen. Ich werde erstmals skeptisch, soll ich hier wirklich geil am Stift ausgebildet werden oder bin ich doch eher als Witzfigur gebucht? Fortsetzung folgt, aber erst noch mal ein paar Jahre zurück …
Irgendwas mit Medien
Noch in der Schulzeit trage ich die FN – die Frankfurter Nachrichten – aus. Was klingt wie kurz vor FAZ, ist allerdings bloß eine Umsonst-Zeitung, die ausschließlich aus Werbung besteht. Zudem bin ich im Gegensatz zur heutigen, fast manischen Übererfüllungs-Attitüde damals einfach noch rechtschaffen faul. Schnell habe ich rausgekriegt, dass es auf meiner Route ein Reihenhaus gibt, das einen Sticker am Briefkasten trägt mit „FN? Ja, bitte!“ und dass es wohl noch ein altes, kinderloses Dämonen-Paar gibt, die sich sofort über eine fehlende Zeitung beschweren beim Verlag. Wer mitgerechnet hat: Ich muss also jeden Donnerstag bloß zwei Zeitungen austragen. Faszinierend, dass ich dennoch bald gefeuert werde, weil mir offenbar selbst das nicht gelungen ist. Nutznießerin meiner Demission von dem Austräger-Job ist übrigens meine Mutter. Ich hatte nämlich die wöchentlich angelieferten Zeitungspakete erstmal im großen Stil in unserem Keller und dem Kofferraum ihres Wagens gehortet. Mit dem Ziel, das lästige Zeug zeitnah zum Papiercontainer zu bringen. Ein Ziel, das ich – wie die zwei auszutragenden Exemplare – ebenfalls schnell aus den Augen verloren hatte.
Leserbrieffälscher (az revisited)
Der Alltag in dieser Redaktion sieht für mich tatsächlich vor allem Folgendes vor: Ich habe die Leserbriefe zu schreiben, die sich im Heft vorn prominent abgedruckt finden.
Okay, Moment mal … die sind also gar nicht echt? Statt empört zu sein, habe ich diffus das Gefühl, nun zur In-Crowd der Wissenden zu gehören. Geil! Ich verfasse also eine Zeitlang die Leserpost. Meist passen so drei auf die halbe Seite, die dafür zur Verfügung steht. Weil ich damals großer Tocotronic-Fan bin, nenne ich in einer Ausgabe die Schreiber der Fake-Briefe Jan, Dirk und Arne und komme damit durch.
PS: Mein Praktikumsgehalt von 400 Mark ist der Verlag mir bis heute schuldig.

Top of the flops
Kurz nach der Jahrtausendwende schreibe ich die Moderationstexte für Ole Tillmann bei „Top Of The Pops“ (RTL). Da ich nicht vom gesprochenen Wort (Radio), sondern vom Text (Spex-Abo) komme, liefere ich begeistert umständliche Zeilen und um die Ecke geschriebene Jokes ab. Ole, das muss man sagen, kämpft tapfer gegen diesen Regierungserklärungs-Swag, den ich ihm jede Woche in den Mund lege. Warum ich diesen Job dennoch etliche Jahre gemacht habe, ist mir bis heute ein Rätsel.
Der weggesperrte Songtext
Jupiter Jones, die freundliche Emo-Rock-Band mit Eifel-Hintergrund trennt sich in den Zehner Jahren von ihrem Sänger. Ich stehe mit dem Rest in gutem Kontakt und es tut mir einigermaßen leid, dass sie mit ihrer neuen Besetzung so dermaßen baden gehen – hinsichtlich Verkäufe und Zuspruch. Meiner Vorstellung nach bräuchten sie unmittelbarere Texte. Etwas Einfaches, etwas Umarmendes. Die Rumpfband heuert mich daraufhin für einen Workshop an. In ihrem Proberaum channele ich Jupiter Jones, um rauszukriegen, wofür sie stehen. Ich erfahre viel, fahre nach Hause – und nun muss ich also nur noch einen Hit schreiben. Nichts leichter als das, oder?
Ich ringe mir einen Text ab über Freundschaft und sich gegenseitig in einen Bach schmeißen. Bei näherer Betrachtung halte ich das pathetische Wortgeklingel aber doch lieber erstmal unter Verschluss. In einer wilden Nacht in dem Trinker-Hot-Spot „Mutter“ in Hamburg schildere ich dem verrückten Soziologen und Shitlers-Musiker Martin mein Dilemma. Er schreibt den Songtext daraufhin auf 7 Bierdeckeln noch mal um. Zuhause setze ich diesen Frankenstein aus gefühligem Kumpelkult und astreinem Wahnsinn zusammen, lese ihn noch mal durch – und beschließe, mich nie wieder bei der Band zu melden.
Blitzlichtluder
Das muss doch ein Irrtum sein, denke ich. Eine mir nicht bekannte Agentur fragt an, ob ich auf dem Reeperbahn Festival bei einer Eröffnungsfeier als „Influencer“ über den roten Teppich schreiten könne. Neben Anreise und Hotel bekäme ich dafür sieben oder achthundert Euro. Ich sage schnell zu, bevor sich bei der Agentur rumspricht, dass ich zu jener Zeit (Ende der Zehnerjahre) kaum mehr als ein paar tausend Instagram-Follower:innen besitze. Selbst ein paar Monate später vor Ort noch halte ich das Ganze für einen Hoax und wappne mich, dass Guido Cantz oder Ähnliches aus einem Busch springt und mich gehässig dafür auslacht, dass ich glaubte, als Seniorenfluencer tatsächlich echtes Geld zu bekommen.
Doch ein solches „Ha-Ha!“ im Nelson Muntz Stil bleibt aus. Ich werde viel eher mit anderen zweifelhaften „Berühmtheiten“ (Namen lasse ich mal außen vor) über den roten Teppich gelotst. Dort muss man an einer Stelle kurz verharren, damit Fotos gemacht werden können. Peinlich! Verkniffen lächle ich in die Kameras, wobei die desinteressierten Fotografen pflichtschuldig abdrücken und bereits danach recken, ob sich aus der Menge an Popularitätsbenachteiligten nicht endlich mal ein tatsächlich bekanntes Gesicht herausschält. Jürgen Vogel, Rita Süßmuth oder zumindest wer von GZSZ.
PS: Später treffe ich vor dem Saal auf den aktuell viel diskutierten Thilo Mischke, der mit einem gemeinsamen Bekannten (vermutlich ist es Matze Hielscher) rumsteht. Mit Thilo hatte ich vor vielen Jahren einen Konflikt wegen dieses schrecklichen Buchtitels „In 80 Frauen um die Welt“. Immer wenn ich ihn seitdem zufällig bei Pro7 in einem Trailer sah, bekam ich schlechte Laune. Jetzt wechseln wir ein paar Worte. Er zeigt sich verständig, als ich noch mal mit dem Buchtitel anfange. Da würde er heute auch nicht mehr dahinter stehen. Ach ja? Na, dann. Gelesen hatte ich es eh nicht. Noch ein paar weitere Sätze, dann trennen sich unsere Wege. Dass ihm sieben Jahre später dieses Buch noch mal so dermaßen auf die Füße fallen würde, ahne ich in dem Moment nicht. Ich sitze stattdessen auf einem markierten Platz und filme Ray Cokes und Charlotte Roche bei der Moderation der Eröffnungsgala. Vertraglich zugesagt habe ich ein paar Insta-Storys, die ich auch motiviert aufstelle. Mein glamouröses Blitzlichtluder-Life endet dennoch mit diesem einen Gig.
Eier aus Stahl
Nach dem Erscheinen eines Textes, in dem ich bei vice.de die Weinerlichkeit des neuen deutschen Popschlagers exponiere, meldet sich jemand aus der Redaktion der Bild- und Tonfabrik bei mir. Jener Laden trägt zu der Zeit Sorge für Böhmermanns „Neo Magazin“. Ob ich diese Gedanken nicht in ein Stück für ihre Sendung verpacken kann, ist die Frage. Klar, why not. Von nun an besuche ich regelmäßig Redaktionssitzungen und erlebe Böhmermann und sein Team in Meetings (es geht in meiner Erinnerung immer vornehmlich darum, ob und wann man wieder was „beim Griechen“ bestellen könnte).
Es scheint damals noch keine erprobte Praxis für einen Beitrag von Dritten jenseits der Redaktion zu geben. So stelle ich immer wieder den Stand meiner Arbeit vor – die interessierte Redaktion hört zu, wünscht sich noch diesen und jenen Aspekt und so geht das über Monate. Mir ist es recht, denn da mir niemand ein Honorar für den Job genannt hatte, berechne ich einfach für jeden Besuch einen Tagessatz von 450 Euro. Irgendwann drängt dann aber doch der Termin der ECHO-Verleihung und so muss alles plötzlich sehr schnell gehen und der Beitrag, der in den Song „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ mündet, erscheint.
Er bringt mir einiges an Fame und Honorar. So kann es weitergehen, denke ich. Doch die Ernüchterung schon beim nächsten Auftrag: Die Buchhaltung hat offensichtlich bemerkt, wie unvorteilhaft das von mir eingebrachte Prinzip der Tagessätze war und von da an wird für solche Beiträge eine vorher festgelegte Pauschale bezahlt.
Schade! Aber einen Präzedenzfall lang war es finanziell mal richtig geil gewesen im Öffentlich-Rechtlichen. Für mich zumindest … Hoffe, die AfD bittet mich nicht nachträglich zur Kasse, wenn sie Ende des Jahrzehnts oder so dann die deutschen „Mainstreammedien“ unter Beifall von Trump und Putin zerschlägt. Habe nämlich schon alles ausgeben!
Löffelchen
Anfang der Nullerjahre. Die Lesung hatte ich in den Sand gesetzt. Mal wieder! Woran lag es wohl diesmal? Keine Ahnung. Würde mich vor Scham gern vergraben, aber muss noch ausharren am Ort des Geschehens. Höchststrafe. Ich befinde mich in einer Szene-Kneipe in Mainz und ziehe mich alsbald zumindest zu den „Pennplätzen“ zurück. Der Ladenbetreiber hat einen Stock über der pulsierenden Kneipe eins seiner Zimmer zur Verfügung gestellt. Schlaf soll meine Schande kurieren oder zumindest vertagen. Ich schließe die Augen.
Irgendwann wache ich auf, da jener Veranstalter mich überraschend löffelt. Er ist offenbar betrunken nochmal aufs Klo gegangen und hatte beim Zurücktorkeln ins Bett vergessen, dass er heute in einem anderen Zimmer nächtigt und ich in seinem Bett liege. Aus Höflichkeit möchte ich ihn nicht auf seinen Irrtum aufmerksam machen – zumal ich doch auch Fan seiner damals recht bekannten Fun-Punk-Band bin. Zum Glück sucht ihn bald seine Freundin, die mit ihm offensichtlich sonstwo in der großen Wohnung schläft. Beide schreien sich ein paar Minuten an, sie zieht ihn am Fuß aus dem Bett. Dann sind sie verschwunden. Danach kann ich lange nicht mehr einschlafen.
Um welche Band es sich handelte, möchte ich aufgrund journalistischer Distanz nicht schreiben.
Anyway hier zum Abschluss ein flotter Fun-Punk-Song von der Mainzer Fun-Punk-Band Die Frohlix.
Löffelchen-Smiley, Euer Linus
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.
