Les Negresses Vertes: Neger aus Überzeugung


An der Hautfarbe jedenfalls lag es nicht. Wenn sich acht weiße Franzosen eigenhändig anschwärzen, dann ist der Name Programm. Aus der Pariser Gosse haben sie bevorzugt jene Stil-Elemente aufgekratzt, die ins musikalische Abseits geraten waren. ME/Sounds-Mitarbeiter Jean Trouillet stellt die traditionsbewußten Querköpfe vor.

Fast ein Fall für das Guiness-Buch: Eine gänzlich unbekannte Band schafft es innerhalb weniger Monate, für ihr Debüt-Album Verträge mit zwölf verschiedenen Firmen in aller Welt zu zeichnen. Die an diesem Deal beteiligten Firmen tätigen wohlgemerkt keine Hinterhofgeschäfte, sondern zählen zu den ersten Häusern am Platze, wie z.B. „Sire“ (Madonna, Talking Heads) in den USA. Und: Sie wurden richtig zur Kasse gebeten. Nennt sich die Band dann auch noch „Les Negresses Vertes“ (Die Grünen Negerinnen), setzt sich aber aus Männern zusammen, die obendrein weiß sind – riecht das schwer nach Hype, oder…? Und doch – die schönsten Geschichten schreibt halt noch immer das Leben … Am Anfang war die Freundschaft von ausgeflippten Individuen aus dem Dunstkreis des „Rock alternatif“, des französischen Rock-Undergrounds. Eines Tages führte ihr exzentrisches Gehabe haarscharf an einer Schlägerei mit einigen Rockern vorbei, die unsere Helden eben als „Ne’gresses Vertes“ beleidigen wollten, weil sie aussahen wie Punks und tanzten wie Schwarze. Nicht die Bohne verärgert, entschloß man sich, den Schimpf nicht nur zum Namen, sondern auch zum Programm zu machen. „Wir habens satt, daß die Schwarzen schwarz sind und die Weißen noch weißer.“ So formulieren sie ihre Absage an den Rassismus, wie er sich auch in Frankreich unter dem Banner der „Nationalen Front“ neu formiert – eine Absage an eine Gesellschaft, die gedankenlos Grenzen zieht zwischen Geschlechtern, Überzeugungen oder ethnischer Herkunft.

Die „Grünen Negerinnen“ stammen aus den Vorstädten von Paris und der südfranzösischen Camargue, wo es schon lange ein multikulturelles Neben- bzw. Miteinander gibt. Kaum einer von ihnen hat sich je um einen schulischen Abschluß geschert; sie zogen es vor, sich mit Jobs durchzuschlagen oder als Vollzeit-Punks abzuhängen. Man entwickelte das Bedürfnis, zusammen Musik zu machen – die Not diktierte die Mittel: akustische Instrumente und ein Park als Übungskeller. Jeder brachte seinen musikalischen Geschmack ein, und so addierten sie Rock. Punk, Musette, Gogo. Walzer, Ska, Flamenco und Rai. dividierten durch spanische Gitarren, Akkordeon, Posaune, Trompete, Percussion und Gesang – und hatten beiläufig einen neuen Stil geboren.

All ihren kosmopolitischen Einflüssen zum Trotz bleiben sie urfranzösisch, bringen Musette (Akkordeonmusik) und Java (Straßen-Walzer mit obszönem Touch) wieder unters Volk. Stile, die man längst verschüttet glaubte und die an die große Zeit des Pariser Films in den Dreißigern erinnern: das ebenso arme wie sentimentale Paar, das zu den Klängen des Schifferklaviers die Nacht durchtanzt, die im Aschenbecher sterbende Gauloise, der nasse Köter im Gulli… Bilder eines Paris, welches noch den kleinen Leuten gehörte. Zeiten als noch keine Fast-Food-Paläste das Stadtbild verunzierten, als noch die Stühle vors Haus gestellt wurden und das Leben auf der Straße stattfand.

Helno, Leadsänger und Texter, über das Selbstverständnis der Gruppe: „Wir sind traditionsbewußte Vorreiter, wir machen etwas, das ich das aktuelle französische Chanson nennen möchte. Ich wohne auf der Straße, und wenn ich ins Bistro an der Ecke gehe, höre ich nicht die Top 50, sondern Tanzmusik aus Nordafrika oder Zaire. Ich selbst bin in Paris geboren, aber das ist eine aussterbende Spezies. In den armen Vierteln kommen die Leute von überall her, und ein jeder bringt seine Musik mit.“

Soul fließt aus jedem Song-Text, und manchmal auch Blut, wenn z.B. eine verhungernde WG ihren Vegetarier verspeist („La Faim Des Haricots“). Es riecht nach Seetang, Romantik und Liebe – aber auch ganz prosaisch nach Pisse: „Es ist sein Hund, der ihn führt, von Pissmarke zu Pissmarke und Tretmine zu Tretmine“, heißt es im Lied über eine arme Haut, die ihren Job verloren hat und nun in einer Metro-Station vegetiert („II“). Ein Hundeleben, vorgetragen aber ohne den hierzulande unvermeidlichen Sänger-Sozialarbeiter-Gestus. Selten wurden solche Geschichten so gut erzählt – in einem genialen Musik-Mischmasch.