Leonard Cohen: Jenny singt Lenny
Von Leonard Cohen hat man schon lang nichts mehr gehört. Der Altmeister des traurigen Lieds hatte sich zurückgezogen, wollte von Zivilisation und Großstadt-Rummel nichts mehr wissen. Bis ihm eine nicht unbekannte Dame neuen Auftrieb gab: Jetzt singt Jennifer Warnes die Songs vom alten Cohen.
Der düstere Poet und die blonde Unschuld: Jennifer Warnes (bei uns vor vier Jahren mit dem Cocker-Duett „Up Where We Belong“ populär geworden) singt Lieder von Altmeister Leonard Cohen. Famous Blue Raincoat heißt ihr neues Album, zu dessen Premiere sich die beiden auch kurz in Deutschland sehen ließen. Cohen kam gewohnt zerknittert, bewegte sich wie in Zeitlupe und sah aus, als habe er jahrelang nicht geschlafen. „Stimmt“, nickt der gebürtige Montrealer (Jahrgang 1934). „Ich habe drei Schachteln geraucht und kein Auge zugemacht.“ Die Muse muß ihn ganz schön heftig geknutscht haben, denn er lächelt vielsagend und schweigt, als habe er ein süßes Geheimnis.
So gibt er sich gern: Lang genug glänzte der melancholische Dichter in der Rolle des großen Verführers und war ständig von einem Schwärm taufrischer Mädels umgeben, an deren willigen Körpern er sein wundes Herz wärmen konnte.
„Das ist lange her“, schüttelt der studierte Historiker, prämiierte Lyriker und „Suzanne“-Hitstar sein weises Haupt. Schon vor Jahren hat er sich amerikamüde auf eine griechische Insel verkrochen – und seit Aids ist mit den Ausschweifungen endgültig Schluß.
Auftritt Jennifer. Sie weht herein wie eine frische Brise, umarmt den Maestro, küßt ihn sanft. Glockenhell klingen ihr Lachen und die mehrere Oktaven umfassende Stimme. „Tschuldigung, ich konnte meine Brille nicht finden.“ Jenny kennt bestimmt keine schmutzigen Schimpfworte und verstrahlt jene anständige Zuverlässigkeit, die nur Mütter bewundern können. Früher war die Kalifornierin (Jahrgang 1952) Background-Stimme in Cohens Tour-Band, dann wußte ihre Firma lange nicht, wo man sie nun hinstecken sollte: Pop? Rock? Folk? Country? Mit dem Warnes/Cocker-Welthit ging’s deutlich bergauf, und ihre Kollektion von Cohen-Songs markiert den vorläufigen Höhepunkt. Jenny singt exzellent: Volumen, Farbe, Ausdruck – auf Famous Blue Raincoat (u.a. mit Stevie Ray Vaughan an der Gitarre) stimmt alles. Das findet auch der Songschreiber: „Jahrelang bedeutete mein Name für die Plattenfirmen nur Tod. Jennifer hat mich zum Leben erweckt“, meint Cohen versonnen. Und Jenny lacht.