Leonard Cohen, Hamburg, CCH
Ein gutaussehender 50jähriger (asketischer Schöngeist, väterlich wie ein Präsident des Weltkirchenrates) auf der Bühne; nicht wenige Altersgenossen im ausverkauften Kongreßzentrum. Verhandelte Themen: Leiden an der Welt, Freude an der Sinnlichkeit, Rebellion kultiviert.
Ob sich Leonard gelegentlich zurücksehnt nach den Freaks der Open-air-Festivals von damals? Handelt es sich bei den anwesenden Damen und Herren gar mehrheitlich um Paare, die Cohen-sei-Dank vor rund eineinhalb Jahrzehnten zusammenfanden („Tonight Will Be Fine“: Leonards Verheißungen als Rumkriege-Stimulanz)?
Der Einstieg ist reif fürs Fan-Bilderbuch: Leonard und seine fünfköpfige Band verpassen dem “ Vogel auf der Hochspannungsleitung“ ein Country- und westerliches Gefieder. „The Law“ überrascht mit verschleierten Reggae-Akzenten.
Beinahe die ganze A-Seite des letzten Cohen-Albums VARIOUS POSITIONS folgt: Leonard goes Nashville, wenn auch nicht so engagiert wie seine Begleiter (keine Fiddle, zwo Gitarren, ein Mädchen am Flügel und sparsam dosierten Synthi- sowie das Rhythmus-Duo der LP, wobei das Schlagzeug hauptsächlich und überaus gekonnt mit den Besen traktiert wird).
Der Sound ist transparent, die Lautstärke selbst in Boxennähe eher konzertant – und die Soli beweisen, daß Leonards Gedichtvertonungen für so was nicht gebaut sind. Vor der Pause noch eines der ausdrucksstarken frühen Lieder: „So Long Marianne“. „An antique song that still sparkies – after a little polishing“. Leider geht beim Polieren die vertraute Intimität ein wenig verloren, aber Klassiker wie die „Story Of Isaac“ rechtfertigen nach wie vor einen halben Konzertabend.
Das gospelnahe „Hallelujah“ scheint dem melancholischen (Un)heilsverkünder besonders am Herzen zu liegen. Ob er gerne mal „heavy“ gegen Vorurteile Marke „Jammerlappen“ antritt? Vielleicht reizen ihn die sarkastischen Zeilen „You don’t care for music, do jah?“, weil sie ihm einen verschmitzten Angriff auf die Kulturgemeinde im Parkett erlauben.
Als die Stimmung nach insgesamt gut zwei Stunden erheblich gestiegen ist, hebt Leonard die Hand zum Gruß: „Goodnight!“ Ohne langes Gezeter kehrt er „for a few songs“ auf die inzwischen dicht belagerte Bühne zurück, steigt wieder ein mit „Suzanne“.
An meine Empfindsamkeit rührt Leonard Cohen allerdings nur mit seinen LPs aus den späten 60ern. Sie haben eine magische Ausstrahlung, gegen die der Sänger heute nur noch einen (nicht einmal unangenehm) müden Mythos abgibt.