Leonard Cohen: Bilder im Bauch
Melancholisch war er immer, doch diesmal sieht Leonard Cohen schwarz: Der Blick in die Zukunft schlägt ihm voll auf den Magen.
„Als die Mauer fiel, wußte ich gleich, daß das ein furchtbares Durcheinander gibt“, sagt er trocken. Er ahnte es sogar noch früher: Mit seiner Prophezeiung „First We Take Manhattan, Then We Take Berlin“ hatte der 58jährige schon vor Jahren den Zusammenbruch des Sowjetimperiums vorweggenommen.
Sonderlich glücklich, das Malheur geahnt zu haben, ist er trotzdem nicht. Die Zukunft der Welt malt der notorische Melancholiker in den düstersten Farben: „The Future“ heißt Cohens neues Album, das neben apokalyptischen Politsongs allerdings auch eine Reihe intimer Liebeslieder enthält.
„Vielleicht sollte ich dieses Land schleunigst wieder verlassen“, murmelt Cohen. Die Renaissance des Rechtsradikalismus in Deutschland macht dem Kanadier jüdischer Provenienz schwer zu schaffen. Unsere Nazi-Vergangenheit war für ihn stets präsent, auch in jenen Tagen Anfang der Sechziger, als der Schriftsteller Leonard Cohen noch gar nicht daran dachte, seine verbalen Visionen zu vertonen.
„Die Leute können mit der Freiheit nicht umgehen. Sie haben sogar eine Scheißangst davor. Wenn sich dann noch die soziale Situation verschlechten und zudem die kulturelle Luft dünn ist, dann nehmen junge Leute diese bequemen extremistischen Positionen ein. Einfache Lösungen sind erfrischend, naheliegend und verlockend …“
Die Epoche, als man meinte, die Welt noch mit einem vollmundigen Protestsong aus den Angeln heben zu können, ist endgültig vorbei. Trotz der vielfachen politischen Bezüge in seinen Texten erschaudert Leonard Cohen bei dem bloßen Gedanken an Lieder mit expliziten Botschaften: „Politsongs machen die Welt nur noch schlechter. Zum Beispiel die unsäglichen Songs über den Regenwald in Brasilien: Es gibt nichts Langweiligeres als solche ausgelutschten Slogans. Da höre ich lieber ‚I Found My Thrill On Bluebery Hill‘: Das hat Wahrheit.“
Nicht einmal Stellung beziehen will Cohen in seinen Liedern – nur darstellen, was ist und vor allem, was er empfindet: „Ich bin der Mistkäfer, der unter den Misthaufen kriecht und seinen Bericht von dort in Musik kleidet.“
In eine immer zeitgemäßere Musik, denn es hat sich viel getan bei Cohen, der nach eigenem Bekunden früher nur ungern Musik hörte. Heute überrascht der einst so karge Folkie mit opulenten Arrangements und fetten Computerklängen. „Das liegt an meinen Kindern“, sagt Cohen und lächelt. „Dadurch höre ich gezwungenermaßen auch die Popmusik von heule. Mein Sohn Adam hat sogar bei meinen Aufnahmen mitgemacht – bei dem Stück „Democracy“
Was die Kritiker schreiben, nimmt Cohen nur gelegentlich zur Kenntnis. Aber an liebevoll recherchierten Büchern wie dem Band „So Long. Leonard“ des deutschen Autors Christof Graf hat er seine helle Freude. Vor allem an dem ausführlichen Anhang, der jedes Livekonzert seiner Karriere minutiös dokumentiert. Hauptkritikerin ist ansonsten seine Tochter Lorca, die derzeit mit Papa Cohen zusammen in Los Angeles wohnt und „ohne falsche Rücksichtnahme sagt, was sie beim Hören meiner iongs empfindet“. Auch der expliziten Lovesongs. die ein Gegengewicht zu den politisch motivierten Liedern bilden sollen.
„Das stimmt“, nickt Cohen. „Ziel meiner Arbeit ist es ganz definitiv, die Säfte zum Fließen zu bringen. Denn im Grunde machen wir alle das, was Madonna macht. Nur – mein Album ist viel erotischer als das von Madonna. „
Warum gerade Madonna? Weiß er auch nicht, aber er hat sich ihr neuestes Video angesehen – und das hat ihn, den für erotische Reize so Empfänglichen, „gar nicht angemacht“.
Früher erklang Cohens rauchige Stimme in den mit Räucherstäbchen vernebelten Zimmern buntgekleideter Hippiemädchen. Heute – so meint der gereifte Lebemann zumindest – hören nicht nur weibliche Verehrer seine Lieder. Doch aus seiner Neigung für das schöne Geschlecht macht Cohen, derzeit mit Filmschauspielerin Rebecca De Momay liiert, kein Geheimnis. „Nur in Frauen finden wir Männer unsere Erfüllung. Daher kommt doch immer wieder mein Bedürfnis, Liebeslieder zu schreiben. Das machen wir doch nur. um ein Lächeln in das Gesicht einer Frau zu zaubern. Dafür macht man doch alles – immer und überall.“