Leonard Cohen
Ein so bunt gewürfeltes Publikum sieht man selten bei Konzerten: Hippies, mittelalterliche Ehepaare in Schlips und Kragen, ausgeklinkte Freaks und ganz Junge, die alle nur das eine wollen – den total unterkühlten und doch so schmalzig/melancholischen, warmen Songs ihres Gottes Cohen lauschen. Und wer außer ihm kann es sich schon leisten, mit einer Super-Slow-Nummer und zwei langsamen Walzern sein Programm zu beginnen, ohne daß die Leute einschlafen, entsetzt buhen oder den Laden verlassen!? Der sechsundvierzigjährige Kanadier Cohen ist noch immer ein Phänomen, von dem viele meinen, er hat nichts mehr zu sagen, kann keine Botschaften mehr über die Rampe tragen, ist ein Fossil vergangener Tage.
Nichts dergleichen stimmt. Er macht die Leute wie eh und je an und hat sich unzählig viele neue, blutjunge Fans mit seinen Weltschmerz verbreitenden, oft depressiven Songs ersungen. Da steht er mitten auf der Bühne, wie angewurzelt, mit Leidensmine, hängenden Mundwinkeln, die eindringliche Stimme kaum zu einer Melodie formend und begeistert damit sein Publikum mit jedem seiner langsamen Lieder mehr. Und umso reservierter er erscheint, es ist wohl mehr gekonnt gespielte Attitüde, umso heißer werden seine Zuhörer. Unterstützt von einer makellos operierenden Band, in der der Zigeuner-Geiger russischer Herkunft Raffi Hakopian Solos spielt, die einem echt die Tränen in die Augen drücken, so schnulzig-schön, technisch brillant sind sie gespielt. Ob „The Window“, „The Gypsy’s Wife“ oder seine Hymne „Suzanne“, das Lied von der irren Heiligen, alle fesselt, fasziniert. Noch immer arten seine Konzerte zu Happenings aus und so ist es kein Wunder, daß seine Gigs oft drei Stunden und länger dauern. Übrigens waren die neu vorgestellten Titel der in Kürze erscheinenden LP überraschend rhythmisch/rockig. Erwartet uns ein gewandelter Cohen?