Leo Kottke
Als ich Leo Kottke das erste Mal auf der Bühne sah, waren ihm gerade beide Gitarren abhanden gekommen, genauer gesagt: Sie waren gestohlen worden. Etwas mißmutig absolvierte er daher das Vorprogramm für Loggins & Messina auf dem geliehenen sechssaitigen Instrument seines Roadmanagers. Das war vor drei Jahren in Los Angeles. Die Geschichte erfuhr ich aber erst jetzt, bei einem Interview vor Kottkes Auftritt in Hannover. Diesmal hatte er seine 6- und 12Saiten-Gitarren dabei, und einem erfolgreichen Konzert stand nichts im Wege. Überhaupt entfachte der große „Country Picker“ aus den USA überall im Verlauf seiner jüngsten Deutschland-Tournee Begeisterungsstürme: Kottkes Fan-Gemeinde in der Bundesrepublik wächst noch immer.
Mit „Buckeroo“, einer flotten Nummer von seiner neuen LP, eröffnete Leo sein Konzert in Hannover; es folgte eine bunte Mischung von Songs und Instrumentals älteren und neuen Datums: „Hear The Wind Howl“, „Airproofing“, „Louise“, „Eight Miles High“ (bei ihm nur noch vom Titel her als Byrds-Komposition zu erkennen), „Busted Bicycle“ und natürlich der ironische Titel („I’m the guy that didn’t marry pretty…“) „Pamela Brown“. Kottkes Stimme ist angenehm gereift; keiner denkt mehr daran, daß er selbst vor Jahren sagte, sie höre sich an „wie ein Gänsefurz an einem warmen Sommertag“.
Die saftigen Kommentare allerdings hat er beibehalten: Als er während einer sehr leisen Passage unterdrücktes Husten im Saal vernahm, unterbrach er seinen Vortrag und riet, doch „ruhig zu husten“, denn den Reiz zu unterdrücken, könne böse Folgen haben: „You tear yourself another asshole!“ Diese nur sehr vordergründige Rauhbeinigkeit zeugt zwar einerseits davon, daß Leo im hinterwäldlerischsten Winkel der USA (Muskogee, Oklahoma) aufgewachsen ist, steht andererseits aber in denkwürdigem Kontrast zu seinem sensiblen Gitarrenspiel.
Das Klang-Chamäleon
Der 31jährige Virtuose beherrscht jede Technik, die je für dieses Instrument entwickelt wurde. Ob es sich dabei um feierliche Barock-Sarabanden, Folkund Country-Balladen, jazzige Improvisationen oder wirbelnde Flamenco-Akkorde handelt, Kottkes Fingern ist kein Griff zu schwierig, kein Tempo zu vertrackt, kein Sprung über mehrere Stilepochen zu weit. Im gleichen Stück holt er aus seiner meist frei auf D-Dur oder G-Dur gestimmten Gitarre erst harsches Banjo-Klimpern in bester Bluegrass-Manier, um sie anschließend wie eine venezianische Mandoline des 17. Jahrhunderts erklingen zu lassen.
Das „Klangchamäleon“ kann indessen noch mehr: Die Einzigartigkeit seines Spiels wird vollends deutlich, wenn er den Hals einer „California Mountain Wine“-Flasche („The wine is awful, but the neck is excellent!“ sagt Leo) über die Saiten gleiten läßt. Diese „Bottleneck“-Technik, bei der Kottke häufig eine Melodie gleichzeitig zupft und mit dem über den Ringfinger geschobenen Flaschenhals die Begleitung erzeugt, als wäre eine zweite Gitarre mit im Spiel, macht ihm so leicht keiner nach (mit Ausnahme von Ry Cooder vielleicht).
In Hannover waren Kottkes Spiel und ebenso sein berühmter voller Sound makellos, und als das Publikum nach zwei Stunden gebannten Zuhörens begeistert klatschte und trampelte, bedankte er sich mit mehreren Zugaben. Der Meistergitarrist, so scheint es, hat einen vorläufigen Höhepunkt in seiner Karriere erreicht. Er hat, wie er befriedigt feststellt, „den Durchbruch im zweiten Anlauf geschafft“.
Kottke wurde am 11. September 1945 in Athens im US-Staat Georgia geboren und wuchs in einer mittelständischen Familie auf. Seine Vorfahren stammen aus Deutschland; als ich in Hannover mit ihm sprach, erschien überraschend eine ältere Dame, die sich als weitläufige Verwandte vorstellte und schlecht Englisch sprach. Bei Kaffee und Kuchen steuerte sie die wertvolle Information bei, daß Leos Familie ursprünglich aus Posen (heute in Polen, damals reichsdeutsch) kommt. Auf ihrer und Leos Ahnentafel findet sich als gemeinsamer Vorfahre eine Frau namens Wilhelmine Kottke, die seinerzeit nach Amerika auswanderte.
Leos Mutter spielte Cello und Klavier und ließ ihren Sohn bereits im Alter von acht Jahren ausbilden. Er spielte Posaune, dann sattelte er auf Geige um, gab diese für die Flöte wieder auf und begann schließlich unter dem Einfluß von Folkmusikern wie Pete Seeger und dem „Kingston Trio“ mit dem Gitarrenspiel. Als „Okie from Muskogee“, wohin seine Familie gezogen war, war die ethnische Hillbilly- und Bluegrass-Folklore seine wichtigste Inspiration. Als einfallsreicher Komponist aber schrieb er selber Stücke, in die er auch andere Elemente einbringen konnte vor allem aus der europäischen Klassik, aber auch aus der schwarzen Bluesmusik. Geschickt verband er sie mit traditionellem „Fingerpickin‘ “ und der archaischen Bottleneck-Technik. Für das Takoma-Label des Musikers John Pahey spielt Leo 1970 seine erste LP „6- And 12-String“ ein. „Als Vollblut-Musiker machte er sich weniger Gedanken um die Geschäftliche Seite seines Berufs; durch Empfehlung John Fahey’s und anderer Freunde bekam er zwar einen Vier-Jahres-Vertrag mit „Capitol-Records, kümmerte sich aber zu wenig um seine eigene Karriere, so daß er trotz seiner sechs Alben für „Capitol“ ein großer Unbekannter blieb, läufig unter Termindruck produziert, reichen diese LP’s mit Ausnahme von „My Feet Are Smiling“, einem fantastischen Live-Mitschnitt, qualitätsmäßig nicht an die jüngste LP „Leo Kottke“ (siehe Longplayers) heran. Vor allem die beiden letzten für „Capitol“ aufgenommenen Alben dokumentieren die fon Leo im Interview angesprochene schöpferische Krise. Eine echt gute Anthologie aus den früheren sechs Platten ist allerdings gerade bei „Capitol“ erschienen: „Did You Hear Me? Leo Kottke 1971 – 1976“. Der Neubeginn – Leo unterschrieb lach Ablauf des Vertrags mit „Capitol“ bei „Chrysalis“ – läßt für die Zukunft aber nun mitreissende Platten erwarten.
Zum Interview traf ich mich mit einem sehr relaxed wirkenden Leo Kottke bei einem verspäteten Mittagessen.
ME: Es ist schon ein paar Jahre her, daß du mal in Deutschland warst. Das war 1974 mit Procol Harum…
Leo: Ja, damals kannte mich Wer noch kein Mensch. Ich erinnere mich, daß ich Zugaben zusammen mit Procol Harum gespielt habe. Es hat Spaß gemacht, iber es war doch sehr schwierig für beide Seiten.
ME: Soll das heißen, du spielst lieber alleine?
Leo: Nicht unbedingt. Aber meine Spieltechnik läßt sich schwer in eine Band einbringen. Mit einer einfachen Rhythmusbegleitung haut es hin, aber wenn ein zweites Melodie-Instrument dazukommt, wird es schwierig. Mein Zeigefinger kann da sehr viele Sachen machen (Leos Finger greift häufig über das ganze Griffbrett und betont auf den tiefen Saiten das Tempo des jeweiligen Stücks, was einen besonderen Reiz seiner Spielweise ausmacht) und mein Spiel zu sehr dominieren lassen. Neulich habe ich mit Volker Kriegel in Stuttgart ein Fernseh-Special aufgezeichnet. Wir mußten die Sache einige Male wiederholen, bis Volker und ich wirklich zusammen waren.
ME: Wie lange haben denn die Aufnahmen mit Jack Nitzsche für dein neues Album gedauert?
Leo: Oh, ziemlich lange. Wir sind dreimal während der Aufnahmearbeiten umgezogen. Erst waren wir in Australien, dann wurden zwei Tracks („Shadowland“ und „Range“) in Los Angeles aufgenommen. Der Rest entstand dann in Minneapolis. Deshalb sind auch keine „credits“ auf dem Cover. Kein Mensch weiß mehr, mit wem ich alles zusammen gearbeitet habe.
ME: Wie entstehen deine Stücke?
Leo: Mehr zufällig, halbwegs unbewußt, spiele ich eine Melodie. Wenn sie gut ist, arbeite ich sie dann bewußt aus. Schreibe Noten. Manchmal dauert das ziemlich lange. „Shadowland“ habe ich in Holland angefangen und irgendwo in Massachusetts hinter einem Busch zuende komponiert. Nur ein einziges Mal habe ich versucht, ganz bewußt eine „große Nummer“ zu schreiben. Ein wirkliches Meisterwerk, und das ging dann voll in die Hose. Anderthalb Jahre lang konnte ich dann überhaupt nichts mehr komponieren. Ich war völlig ausgebrannt.
ME: War das die Zeit nach „My Feet Are Smiling“, wo du dir sogar einen ganz anderen Job suchen wolltest, in einem Hotel als Angestellter?
Leo: Ja, genau. Es ging mir ziemlich dreckig damals. Ich war ständig schlechter Laune; meine Frau konnte mich nicht ausstehen, meine Kinder konnten mich nicht mehr leiden. Ich weiß nicht, wie es kam, ob die persönlichen Probleme das Ende musikalischer Möglichkeiten bedeuteten oder umgekehrt das Ende der Kreativität mich unausstehlich machte. Ich war wirklich ein schlimmer Bursche damals.