Leinwand-Blues
50 Dollar. Das ist der Betrag, der im abgelaufenen Filmjahr für das meiste Aufsehen sorgte. Das ist die Summe, an die sich die Menschen rund um die Welt noch in Jahren erinnern werden, wenn sie an die Kinosaison ’95 denken. 50 Dollar – das war der Höhepunkt. Außer für Hugh Grant, dessen Schäferstündchen mit einer Not So Pretty Woman am Sunset Boulevard unsanft gestört wurde. Es ist bezeichnend, wenn der Oral-Quickie eines durchschnittlichen Filmstars für mehr Aufregung sorgt als nahezu alle Filme der letzten zwölf Monate. Sicher, es hat die üblichen Hits gegeben – doch wer hebt schon noch überrascht die Augenbrauen, wenn Tom Hanks stratosphärisch abhebt, Batman zurückkehrt oder mit Sandra Bullock this year’s model überschätzt wird?
Zugegeben, für ein paar kleine Kontroversen reichte es noch – aber wessen Verhalten hat es ernsthaft beeinflußt, als die enthüllte Demi Moore zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz schritt, als sich die ‚Kids‘ wie Zombies präsentierten oder Dustin Hoffman gegen das Ebola-Virus kämpfte? Na klar, ein paar Themen-Zusammenrottungen konnten die Trend-Scouts auch diesmal vermelden – aber warum nur funktionierte der Erfolg von Mittelalter-Filmen (der beste war ‚Braveheart‘) oder Computer-Thrillern (der Tiefpunkt hieß ‚Vernetzt‘) in der Theorie besser als in der Publikumsgunst? Was soll’s.
Sowohl von Berufs wegen nörgelnde Kritiker als auch von Natur aus unterhaltungsgierige Filmfans müssen feststellen: Das Filmjahr 1995 war eine verschnarchte Angelegenheit. Denn auf jedes einsame Highlight wie ‚Heavenly Creatures‘, ‚Ed Wood‘, ‚Die Verurteilten‘ oder ‚King George‘ kamen zwei Dutzend konturenloser Rohrkrepierer. Das fiel auch der Filmindustrie auf, die nun eifrig nach Gründen sucht, warum die Zuschauerzahlen im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent sanken. Liegt es daran, daß die teilweise absurden Star-Gagen der Hollywood-Prominenz ihre Macher so vorsichtig werden lassen, daß sie nur noch auf durchschaubare Konfektionsware setzen? Oder soll es wahr sein, daß der Film ausgerechnet in seinem großspurig gefeierten Jubiläumsjahr in der Krise steckt? Zur Ehrenrettung des Kinos muß immerhin gesagt werden, daß Deutschland das Opfer ungünstiger Terminierungen ist. So liefen in den letzten drei Monaten des Jahres in den USA einige grandiose Filme an, die den Schnitt gewaltig gehoben hätten: etwa die Gangster-Satire ‚Get Shorty‘ mit John Travolta, das Mafia-Epos ‚Casino‘ von Martin Scorsese, das Polit-Drama ‚Nixon‘ von Oliver Stone oder die SF-Vision ‚Twelve Monkeys‘ von Bruce Willis.
Aber was nützt es? Hierzulande konnte man sich 1995 nur die guten Kritiken zu diesen Filmen an die Wand nageln. Warten wir also auf die Leinwand-Leckerbissen des nächsten Jahres. 1996 kann ohnehin nur besser werden.