Lana Del Rey und das Problem mit „White Fragility“: Eine Analyse
Als großer Lana-Fan ist es schwierig, ihre Kunst von ihren unbedachten politischen Fehltritten zu trennen. Der frustrierte Versuch einer Analyse.
Erst einen Tag ist es her, dass Lana Del Rey ihre neue Single „Chemtrails Over The Country Club“ inklusive Musikvideo veröffentlicht hat – und schon hat die US-amerikanische Sängerin wieder einen Shitstorm am Hals. Der Grund dafür ist simpel: Die 34-jährige Musikerin scheint immer noch nicht zu verstehen, was ihr vorgeworfen wird. Dabei hatte Del Rey mehr als genug Zeit, um aus ihren zahlreichen Fehltritten im vergangenen Jahr zu lernen. Dass sie dennoch keine Einsicht zeigt, ist schade – schließlich handelt es sich bei Lana Del Rey um eine der talentiertesten Songwriterinnen unserer Zeit.
Doch von Anfang an: Im Mai 2020 teilte Del Rey einen Instagram-Post, in dem sie einmal offenlegen wollte, wie sehr sie sich von Medien und Kritiker*innen seit Jahren missverstanden fühle. So fände sie es lächerlich, dass die lyrische Ergründung ihrer teils unterwürfigen oder passiven Rollen in Beziehungen zu dem Vorwurf geführt hätte, sie würde in ihrer Musik Missbrauch glorifizieren. Denn anstatt missbräuchliche Beziehungen zu beschönigen, sei sie bloß eine „glamouröse Person“, die über von Missbrauch geprägte Beziehungen singen würde, was bei vielen Frauen weltweit nach wie vor zum Alltag gehöre. Weiter schrieb Del Rey in ihrem Text: „Um das klarzustellen: Ich bin keine Feministin, aber es muss einen Platz im Feminismus für Frauen geben, die so aussehen und sich so verhalten wie ich – die Art von Frauen, die „Nein“ sagen, aber die Männer ein „Ja“ hören, die Art von Frauen, die gnadenlos verunglimpft werden, weil sie ihr authentisches, zartes Selbst sind.“
Ihr Erklärungsversuch ist ein jämmerlicher, selbstmitleidiger Appell
Dass sich die Sängerin nach jahrelangen Vorwürfen einmal selbst zu den Anschuldigen äußern möchte, ist generell mehr als berechtigt. Und auch ihre Meinung, dass das lyrische Ich nicht automatisch einen Realitätsanspruch haben muss, kann als willkommene Diskussionsgrundlage angesehen werden. Doch leider kam letztendlich kaum etwas von Del Reys ursprünglichen Aussagen an, da sich die Sängerin bereits im ersten Satz ihres Textes ein gewaltiges Faux Pas leistete. So begann sie ihren Aufruf mit den Worten: „Jetzt, wo Doja Cat, Ariana (Grande, Anm. d. Red.), Camila (Cabello, Anm. d. Red.), Cardi B, Kehlani und Nicki Minaj und Beyoncé Nummer-1-Songs haben, in denen es darum geht, sexy zu sein, keine Kleidung zu tragen, zu ficken, zu betrügen etc. – Kann ich bitte wieder darüber singen, mich schön zu fühlen wenn ich verliebt bin, auch wenn die Beziehung nicht perfekt ist, oder ich für Geld tanze – oder was auch immer ich will – ohne gekreuzigt zu werden oder zu sagen, dass ich den Missbrauch verherrliche???????“
Innerhalb kürzester Zeit stand Lana Del Rey im Mittelpunkt einer gigantischen Rassismus-Debatte, in der die Sängerin beschuldigt wurde, ihr eigenes Weißes Privileg nicht anzuerkennen und stattdessen Schwarze Musikerinnen zu diskreditieren. Zu Recht. Der Vergleich war vielleicht nicht böswillig gewählt – unbedacht, unnötig und dumm war er allemal. Dass sich die Sängerin daraufhin mit zahlreichen weiteren Kommentaren rechtfertigte, machte die Situation nicht besser. So kann es nur als selbst verschuldet bezeichnet werden, dass Del Rey einen durchaus nachvollziehbaren Erklärungsversuch in einen jämmerlich selbstbemitleidenden Appell verwandelte. Arme, Weiße, missverstandene, erfolgreiche Sängerin.
Schnitt zur aktuellen Lage: Nach dem unglaublichen Erfolg ihrer jüngsten Platte NORMAN FUCKING ROCKWELL! (2019) hat Lana Del Rey die Zeit im vergangenen Jahr genutzt, um an ihrem siebten Studioalbum zu arbeiten – jedoch nicht, ohne zwischendurch weitere negative Schlagzeilen auf sich zu ziehen. So erntete die 34-Jährige im Sommer virale Empörung, als sie sich mit einer strassbesetzten, durchlöcherten Maske in der Öffentlichkeit zeigte und stieß auf kollektives Unverständnis, als sie am US-Wahltag ganz nebenbei ihre neue Platte ankündigte. Angemessen geht anders. Und nun das: Am 10. Januar teilte Del Rey das Artwork und die Tracklist zu dem Album CHEMTRAILS OVER THE COUNTRYCLUB, das am 19. März 2021 erscheinen soll. Das Albumcover zeigt elf Frauen – darunter auch die Sängerin selbst – die in schicken Kleidern um einen runden Tisch drapiert sind und gemeinsam in die Kamera strahlen. Ein privater Schnappschuss mit hauptsächlich persönlichem Wert. Kaum veröffentlicht, postete Del Rey jedoch einen defensiven Kommentar unter das Foto, in dem sie jeglichen Vorwürfen zuvorkommen wollte. Stattdessen brachte sie sich jedoch – wieder einmal – selbst in die Bredouille.
Deplatzierte Defensive
„Wir sind alle eine schöne Mischung aus allem – manche mehr als andere, was in allem, was ich mache, sichtbar ist und gefeiert wird“, heißt es in der Nachricht. „In 11 Jahren Arbeit war ich immer extrem inklusiv. Meine besten Kumpel sind Rapper, meine Freunde waren Rapper. Meine liebsten Freunde sind von überall her, also bevor ihr wieder Kommentare über ein WOC/POC-Thema abgebt: Ich bin nicht diejenige, die das Kapitol stürmt, ich verändere buchstäblich die Welt, indem ich mein Leben und meine Gedanken und meine Liebe da draußen auf den Tisch lege, 24/7. Respektiert das.“ Puh. Zunächst einmal: Niemand hat das Cover kritisiert. Niemand hat Del Rey vorgeworfen, dass sie keine BIPOC-Freund*innen hätte. Ihre unbedachte und holprige Defensive erscheint so deplatziert, dass man vor Unverständnis am liebsten den Kopf schütteln würde.
Das theoretische Konzept, dass sich hier hinter Del Reys defensiven Kommentaren verstecktet, lautet „White Fragility“ und wurde in den frühen 2010er-Jahren von Robin DiAngelo geprägt. Die Soziologin und Autorin, die im Jahr 2018 ihr Werk „White Fragility: Why It’s So Hard for White People to Talk About Racism“ veröffentlicht hat, beschreibt jene „weiße Zerbrechlichkeit“ als die defensive Reaktion einer weißen Person, wenn sie auf ihr Weißsein hingewiesen wird oder sich in ihrer Weltsicht angegriffen fühlt. Dass Rassismus ein strukturelles Problem ist und durch jahrhundertelange Kolonialisierung, Sklaverei und Aufrechterhaltung von rassistischen Systemen internalisiert wurde, erkennt jene weiße Person in dieser Situation nicht. Stattdessen möchte sie sich für ihre Aussagen rechtfertigen und beweisen, dass sie absolut kein*e Rassist*in ist. Ebendieses Verhalten führt allerdings dazu, dass es Menschen davon abhält, sich mit unbewussten rassistischen Vorurteilen auseinanderzusetzen, die in jedem von uns schlummern könnten.
Als selbst großer Lana-Fan ist es kein Wunder, dass die Debatte einen bitteren Beigeschmack hinterlässt. Ihre Kunst von ihren politischen Fehltritten zu trennen, fällt einem besonders dann schwer, wenn sie selbst diese Grenze überschreitet. So bedeutet ihr Kommentar nämlich vor allem, dass Lana Del Rey aus ihren Fehlern im vergangenen Jahr kein bisschen gelernt hat. Denn anstatt anzuerkennen, dass sie ihr Weißes Privileg als peinliche Opfermentalität ausgelegt hat, versteckt sich die Musikerin hinter einer defensiven Aussage á la: „Ich hab Schwarze Freund*innen, deshalb kann ich gar nicht rassistisch sein.“ Indem sie den Beruf „Rapper“ zudem als ein Ethnien bezeichnendes Merkmal auslegt und ihren kreativen Output selbstgerecht als „lebensverändernd“ bezeichnet, zeigt sich vor allem eines: Lana Del Rey hat noch viel zu lernen. Dass man die Sängerin deshalb jedoch nicht strikt „canceln“ muss, sollte selbsterklärend sein. So kann man sich auch getrost von Del Reys Aussagen distanzieren und sich dennoch auf CHEMTRAILS OVER THE COUNTRY CLUB freuen.