Kurz & Klein


Er könnte dein Opa sein. Nur dass dein Opa wahrscheinlich nicht so viel kifft wie Willie Nelson. Moment of forever (Lost Highway/Universal) ist ein ruhiges, sich nicht so sehr aufdrängendes Alterswerk vom Country-Gott-Outlaw-Helden-Urgestein-you name it, inkl. Kris-Kristofferson- (der Titelsong) und Bob-Dylan-Cover („Gotta Serve Somebody“). Gut, dass es wenigstens kein „& Friends“-Album geworden ist. Nelsons Labelmate, die Country-Pop-Sängerin Shelby Lynne, hat sich ganz schön aufgedonnert für das Cover von just a little lovin‘ (Lost Highway/Universal). Sie sieht aus wie Jacqueline Bisset, circa 1968, was ja nicht die schlechteste Aussehidee ist. Die Idee, ein Album mit Dusty-Springfield-Covers aufzunehmen, darf man hingegen durchaus als schlecht bezeichnen, ABER: Dieses hier ist so schön spartanisch und liebevoll aufgenommen und interpretiert, so dass es dich und deinen Opa weghaut. Es hat nichts mit dem seichten Quatsch zu tun, den die Grammygewinnerin™ vorher gemacht hat.

Sollen wir traurig sein? Nach 13 Jahren garagigen, punkigen, rockenden Rolls sagen The Hellacopters aus Schweden mit ihrem siebten Album head off (Wild Kingdom/Rough Trade) „auf Wiedersehen“. Es ist voller garagiger, punkiger, rockender Rolls.

Wenn man – so wie ich – schon zu doof ist, The New Pornographers zu kapieren, wie soll man dann erst Dan Bejars Nebenprojekt Destroyer verstehen? trouble in dreams (Rough Trade/Beggars/Rough Trade) ist Folkpoprock zwischen geht-mir-am-Arsch-vorbei und nervig – vor allem die Quäkestimme von Bejar ist in dieser Hinsicht ganz weit vorn.

Ohne die ewige Duné-Wahrheit weiter penerrieren zu wollen: Die sieben Neubearbeitungen auf we are in there, you are out here the remixes (Colmbia/Sony BMG) mit Songs vom ersten Album der Dänen tun diesen Liedern sehr, sehr gut. „80 Years (Harold Faltermeyer Series 700 Mix)“ wurde ja schon an anderer Stelle gelobt – und zwar über den grünen Klee. Und was Atomic Holligan aus „Robot Beat“ machen, ist auch ein kleines elektrorockendes Sensatiönchen.

Schönen Folk-Pop – ein bisschen weniger L0-FI als auf dem Debüt TOP QUALITY SONES AND A LITTLE TERRORIST – hat Britta Persson auf kill Hollywood me (Make My Day Records/ Alive) zu bieten. Bitte nicht von dem relativ komischen Pop der ersten beiden Songs abschrecken lassen. Danach nimmt das Album – wie sagt man? – Fahrt auf und wandert über jene saftigen Wiesen, auf denen Azure Ray und Tegan & Sara ihre Lagerfeuer anzünden. Persson stammt aus Uppsala. Kennt noch jemand „Ein Student aus Uppsala“ von, ähem, Kirsti?

Bleiben wir noch bei singenden und songwritenden Frauen. Kat Frankie ist auch so eine. Die Australierin hat mit pocket knife (Solaris Empire/Broken Silence) ein leises, düsteres, existenzialistisches Folk-Album aufgenommnen. Haus nummer: PJ Harvey, Alela Diane, Bonnie „Prince“ Billy. Mal singt Frankie allein zur akustischen Gitarre, mal zur Begleitung ihrer Band in Kammerfolk-musikalischer Besetzung. Das ist sehr schön, nur manchmal übertreibt es die Sängerin mit ihrer Stimme ein bisschen. Stichwort: sauintensive Folkröhre.

Das wird kompliziert. The Heavy Circles ist die Band von Edie Brickell, die ja, wie wir alle wissen, mit Paul Simon verheiratet ist, und Simons (Pauls) Sohn Harper (Simon), der nicht der Sohn von Edie Brickell ist, sondern aus Simons (Pauls) erster Ehe mit Peggy (Harper) stammt und deshalb wahrscheinlich auch Harper (Simon) heißt. Das ist zwar kompliziert, aber immerhin bewegen wir uns noch im selbst gezimmerten Rahmen der singenden und songwritenden Frauen. Der folkige Rock von the heavy circles (Dynamite Child/Indigo) ist im mer dann am besten, wenn er die Form von düsteren, minimalistischen Velvet-Underground-Balladen annimmt. Sehr oft aber ist das auch sherylcrowiges Mainstream-Radio-Zeugs.

Wo wir schon beim großen Rockstarzitieren sind: John Paul Jones, Bassist von Led Zeppelin, hat von Andy Paul Woodworth behauptet, er (Woodwarth) sei der beste Lyriker, mit dem er (Jones) je zusammengearbeitet hat. Das war in den 9oern bei der Post-Grunge-Band Elepham Ride, deren erstes Album von Jones produziert wurde. Die Musik auf Woodworths erstem Soloalbum eddy ate dynamite (Rodeostar/ SPV) kann man als Folk-Pop bezeichnen, auch wenn der oft nicht aus dem Quark kommt, weil: zu amerikanisch, zu radiosauber. Ganz toll hingegen: das akustische Cover des Beastie Boys-Klassikers „Fight For Your Right To Party“.

Denken wir an die bayerische Mundart, die uns so schöne Wörter wie „schnackseln“ (dt.: den Geschlechtsakt voll ziehen), „verhunackelt“ (dt.: verunstaltet) und „nei“ (dt.: hinein) geschenkt hat und wechseln wir kurz in die Abteilung „Mundart-Rock-Pop“, wo Zwoastoa zu Hause sind. Ihr zwoa zu fünft (BSC Music/Rough Trade) ist eine groovige Worldmusic-Reggae-Bucovina-Elektro-Pop-Rock-Fusion, die der Leser – wäre sie von Dämon Albarn produziert – umfassend geil finden würde.

Das Wort „schnackseln“ wird auch im Heimatland von Ja, Panik gerne benutzt. Die Band kommt aus Österreich, ist vom Burgenland nach Wien umgezogen und veröffentlicht mit the taste and the money (Schoenwetter Schallplatten ZickZack/What’s So Funny About/Indigo) ihr zweites Album. Das ist kompromissfreier Indie-Rock, der mit roughness und gepflegtem Kaputtsein kokettiert und sicher keine Lobby finden wird in deinem Fußballverein. Der richtige Hit des Albums heißt „Wien, du bist ein Taschenmesser“. Und irgendwo muss ein popdiskurtiver Subtext versteckt sein, den ich zu blöd bin zu kapieren.

In ihrem Presseinfo fordern Ja, Panik von den over-sophisticated Pop-Diskurslern folgendes: Humor. Da hätte ich einen für Sie. Über Gisbert zu Knyphausen. Wahrscheinlich heißt Gisbert zu Knyphausen mit bürgerlichem Namen Neil Diamond. Wahrscheinlich hat ihm sein PR-Berater dazu geraten, einen richtig funky Künstlernamen anzunehmen, damit seine Schallplatten mehr Sales generieren in diesen schweren Zeiten. Deshalb hat sich Gisbert zu Knyphausen Gisbert zu Knyphausen genannt. Wahnsinn, oder? Das Album heißt wie der Singer/Songwriter aus dem Rheingau, der jetzt in Hamburg wohnt: gisbert zu knyphausen (PIAS/Rough Trade). Es hat Licht und Schatten, bewegt sich zwischen neuen deutschen Liedermacherbefindlichkeiten und, ähem, Reinhard Mey.

Der Hammer zum Schluss. Geoff Farina, Frontmann der Post-Indie-Rocker Karate, hat mit seinem neuen Projekt Clorytellers ein Album aufgenommen, das auch glorytellers (Southern/Soulfood) heißt und wunderbare, leichte, fluffige, aber gar nicht einmal so unabstrakte akustische Lieder enthält, die man nicht als das Produkt eines Singer/Songwriters bezeichnen will, weil sich zurzeit jeder Depp Singer/Songwriter nennen lässt. Hören Sie jazzy, fingergepickte Gitarren, gedämpfte Drums und zischelnde Becken und lassen Sie sich davontragen. Wohin auch immer.