Kurz & Klein


Hätte ich mehr Platz und weniger Platten, die mir der Plattenmeister in die „Kurz-und-Klein“-Kiste gelegt hat, dann würde ich jetzt erstmal davon erzählen, wie ich mich regelmäßig in Salzwasser auflöse, wenn die in jeder Hinsicht unfaßbare Dolly Parton mit honigsüßer Kaninchenstimme in „Letter To Heaven“ von einem unschuldigen Kleinkind singt, dessen Eltern sterben und das dann der Pointe wegen – noch vom Lastwagen überfahren wird. Aber wir haben keine Zeit für Sentimentalitäten schließlich ist auch Dolly schon bo lahrealt und sie blickt mit dem Album THOSE WERE THE DAYS (Capitol/EMI) auf die guten alten Tage zurück. Kein Jack White und kein Rick Rubin, sondern Dolly Parton höchstpersönlich hat das Album mit Klassikern aus den 60er- und 70er-Jahren produziert, weshalb überrascht, daß selbst überstrapazierte Songs wie „Imagine“ und „Blowin‘ In The Wind“ erträglich sind, was aber auch erklärt, warum es dann doch alles nicht so grandios und kraftvoll und bewegend ist, wie es vielleicht hätte sein können. Ihre Stimme ist noch immer ein Naturereignis – bei 0:20 „Me And Bobby McGee“ begann ich zu schreiben, daß sie dem fantastischen Song nichts hinzuzufügen hat, bei 0:47 löschte ich den angefangenen Satz wieder weg -, auch wenn die Arrangements, wie so oft bei den Spätwerken von Legenden, ein wenig zu glatt geworden sind.

Auch ein Problem mit zu glatten Arrangements hat offenbar Ashlee Simpson, weshalb sie in „Boyfriend“, dem ersten Song auf ihrem neuen Album I AM ME (Geffen/Universal), so fest rumrockt, wie sie nur kann. Verzweifelte Franz-Ferdinand-Gitarren am Anfang, ein total „punkiger“ Pink-Refrain à la „GetThe Party Started“ und ein so hoffnungslos verkackter C-Teil, daß er nur sieben Sekunden dauern darf, lassen den Song so schablonenhaft wirken, wie man das bei einer derartigen Produktion erwarten darf. Toll (für Neunjährige) ist. daß man das Booklet zu einem Poster auffallen kann. Nicht so toll (für alle anderen) ist, daß auch jedes Lied nach „Boyfriend“ großer Mist ist, den die Nicky Hilton des Pop zusammen mit Produzent John Shanks und der Hit-Schreiberin Kara Dioguardi (Santana, Britney Spears, Enrique Iglesias, etc.) „komponiert“ hat. Ziegenkäse, alles in allem, den wir bei Erscheinen am 17. März hoffentlich bereits wieder vergessen haben.

Jetzt tief durchatmen und ganz sachlich bleiben. Scott Stapp hat es ja sowieso nicht leicht, obwohl er nach Angaben der Plattcnfirma „als einer der beliebtesten Songwriter Amerikas gilt“. Die Frage ist, bei wem – immerhin waren es seine eigenen Fans, die ihn vor noch nicht allzu langer Zeit verklagt hatten, da seine Band Creedso unfaßbar grottige Konzerte gespielt hat. „Welcomefriends. I have nothing to hide“, die erste Zeile auf THE GREAT DIVIDE (Wind-Up/SonyBMG), ist nicht unbedingt eine Entschuldigung für die peinlichen Auftritte seiner christlichen Hardrock-Band, doch hätte das wohl auch niemand wirklich erwartet. Mit viel gutem Willen-nur: wo soll man den eigentlich hernehmen? – könnte man sagen, daß man versucht hat, den meisten Songs seines Soloalbums irgendwie eine Dichte und eine Härte zueigen zu machen, die an NO.4 von den Stone Temple Pilots erinnert. Es ist nicht leicht, die ganze Platte anzuhören – bei Lied fünf schon fleht er so unerträglich penetrant „Phase let me go“, daß man versucht ist, ihm den Gefallen auch zu tun. Vielleicht ist es besser so, denn sonst kämen wir nicht umhin zu erwähnen, daß die mit Gospel-Chören aufgespritzte Ballade „Broken“ klingt, als hätten sich die fünf ehemaligen Mitglieder von Bonfire zusammengetan, um einen Benefiz-Song für die Hinterbliebenen des Grubenunglücks in Langenbochum 1987 aufzunehmen. Und das wäre ja auch irgendwie gemein.

Nicht besonders lustig, aber immerhin lustiger, als alles, was Scott Stapp je in ein Mikrofon gesungen hat, sind die ersten 50 Sekunden auf Grinning Souls (Hypertension), der neuen Platte von Cutting Crew. Wie ein übelstes Esoterik-Machwerk beginnt die Comeback-Platte der englisch-kanadischen Popband, mit Regen-Geräuschen, verhallten Akustikgitarren und feierlichen „Uuhhuu“-Chören, bis der Spuk nach knapp einer Minute vorbei ist, die Band lacht und – Erleichterung bei den Fans! mit einem wesentlich spärlicher arrangierten, bluesigen Popsong beginnt. Die Cutting Crew spielt heute „ehrlichen“, handgemachten Singer/Songwriter-Pop, wie ihn zum Beispiel die Finn-Brüder (besser) machen. Da allerdings auch nach dem zweiten Durchhören zu meinem großen Bedauern keine Spur von „I Just Died In Your Arms Tonight 2006“ zu finden ist, geht’s schnell weiter zu:

Right Said Fred, die sich mit For Sale (Sushi Pop) zurückmelden. Obwohl zu meiner großen Freude kein „I’m Too Sexy 2006“ auf der Platte zu finden ist, wollen wir doch nur so lange wie unbedingt nötig bei diesem geschmacksfreien Plastikpop-Machwerk verweilen (Versteht eigentlich irgendjemand Right Said Fred? Ist das gute Musik, in irgendeinem Parallel-Universum? Gibt es vielleicht eine Randgruppe, der Right Said Fred die Welt bedeutet? Ich bitte um Aufklärung), um dann sofort die nächste Platte aus der Kiste zu ziehen. Die ist von:

Pohlmann, einem langhaarigen Typen mit Gitarre und Dreiwochenbart, der Maurer und Barmann war, bis er sein Glück als Sänger fand. Pohlmann macht auf ZWISCHEN HEIMWEH UND FERNSUCHT (Virgin/EMI) „erdige“ – im Unterschied zu „ehrlichen“, siehe oben – Songs mit deutschen Texten, die weitgehend nichtssagend wären, würden sie durch den affektierten und irgendwie R’n’B-mäßig gequetschten Vortrag nicht doch eher peinlich werden. Super gefallen haben sie dem H-Blockx-Sänger Henning Wehland (und besonders auch seiner Freundin, wie man hört), der Pohlmann half, einen Plattenvertrag an Land zu ziehen. Dem Publikum von Vonda Shepard und KT Tunstall, mit denen der Mann auf Tour war, hat es vielleicht gefallen.

Von Mann zu Mann: Jonesmann ist ein Frankfurter MC, der mit seinem hessischem Akzent mal infantil-vulgäre Schimpftiraden auf andere MCs losläßt („Bis der letzte fällt“), mal aber auch in den typisch verlogenen Sing-Sang des deutschen R’n’B-Genres verfällt („Fick dich“). Sein Flow ist akzeptabel, sein Album SJ (Bozz/ Subword/SonyBMG) aber enthält nicht einen einzigen Song, der so gut wäre wie „My Life“, der erste Rap des elfjährigen Benno „The B“ aus Manhattan. The B nimmt in seinem Kinderzimmer nach der Schule mit seinen Freunden (The Young Fools: www.freewebs.com/youngfools) HipHop auf und die CD mit einem selbstgemalten Cover, die er mir geschickt hat, ist eine heimliche Platte des Monats, leider aber nicht im Handel erhältlich.