Kunstausstellung: Nein, danke? Warum Ihr trotzdem hingehen sollt.
In Berlin findet freie Kunst noch statt. Das will zumindest das zweite Project Space Festival im August beweisen. Doch was will Kunst heute eigentlich und ist sie wirklich so frei?
Am 01. August feierte das Project Space Festival in Berlin Eröffnung. Der gesamte Monat ist geschmückt mit Ausstellungen, Stadttouren und Performances – jeden Tag etwas anderes, immer an einem anderen Ort in der Hauptstadt. Dabei hat jeder der 30 Kunsträume nur 24 Stunden Zeit, um sein Projekt auf die Beine zu stellen. Das Festival soll einen Einblick in die freie Kunstszene Berlins bieten.
Klingt spannend. Einziges Problem: Das Publikum scheint am 03. August zumindest in den beiden von uns besuchten Locations „insitu“ und „atthebar“ in der Kurfürstenstraße in erster Linie aus Kunststudenten, Künstlern und solchen, die es gerne wären, zu bestehen. Wo sind die Business-Menschen? Wo ist die Ökologiestudentin, der Typ von Nebenan oder die IT-lerin? Interessieren sich nur Künstler für Kunst oder lassen sich alle anderen von der Abstraktheit der Kunstobjekte und der vagen Beschreibung auf der Webseite abschrecken?
Das Project Space Festival möchte eine „Veranstaltungsplattform schaffen, um die Idee ‚Projektraum‘ zu beleuchten. Häufig werden diese Räume vor allem durch das definiert, was sie nicht sind – weder kommerziell, noch institutionell; weder Atelier, noch White Cube. … Geführt mit großem Idealismus und knappem Budget sind sie Nährboden für die Kunstszene und Seismograph für kulturelle Trends – gekennzeichnet gleichermaßen durch Freiheit als auch Ungewissheit.“
Diese Projekträume sollen „Impulse für Dialog und Diskurs“ geben, doch so schön das auch klingt: Um einen Dialog in Gang zu bringen, muss das Gegenüber erst verstehen, worum es im Ansatz überhaupt geht.
Viele Menschen sind durch schleichende Wiederholung und fehlenden Mut zu etwas Neuem, ganz Unkonformen, einerseits gelangweilt, andererseits durch andauernde Abstraktheit und unbekannte Weisheiten, die sich womöglich in der Kunst verbergen, verunsichert.
Aufgabe der Kunst war es stets, bestehende Strukturen zu hinterfragen, Normen anders darzustellen und mitunter auch zu provozieren. Man erinnere sich an Otto Mühl, Yoko Ono oder Damien Hirst. Ai Wei Wei hat erst im Februar 2016 durch Inszenierungen mit Flüchtlings-Rettungsjacken bewiesen, dass dies auch heute noch möglich ist. Seine Aktionen wurde als „geschmacklos“ bezeichnet und der Diskurs in Gang gesetzt.
Wenn man hingegen vor einer Wand mit Bildern steht, die irgendwie an Andy Warhol erinnern (den zumindest kennen wir alle) oder vor einem Fernseher, und Amöben dabei zusieht, wie sie ihre Gestalt verändern, kommt bei manchen die Frage auf, was denn daran a.) neu und b.) Kunst sei? Das ärgert den einen und irritiert den anderen.
Viele Kunstausstellungen sind so ausgelegt, dass sie eigentlich niemand verstehen kann, der sich nicht einschlägig mit Kubismus, Dadaismus, Op-Art oder Neoexpressionismus beschäftigt hat. Im geschlossenen Kreis der Konsens-geprägten Kunstuni-Absolventen kann kein Dialog entstehen, denn man ist sich ja einig. Worüber, weiß man auch nicht genau, aber immerhin: Man trifft sich, plaudert, philosophiert, und überhaupt ist alles ganz großartig.
Warum also hingehen?
Auch wenn Kunst auf den ersten Blick nicht provoziert, bietet sie uns Denkanstöße, wenn wir dies zulassen. Wenn wir das Interesse an freier Kunst verlieren, schließt sich allmählich die Möglichkeit für einen Diskurs außerhalb von Fernsehen und Politik.
Vor allem bei Veranstaltungen wie dem Project Space und Vernissagen sind die Künstler meist selbst zugegen. Die Möglichkeit für Diskussionen ist also vorhanden und wird mitunter sogar erwünscht. Nicht nur der Künstler, auch wir als Beobachter haben die Macht und die Aufgabe zu provozieren.
Wenn man sich auf das Vorhandene einlässt, bekommt man im besten Fall eine andere Sicht auf die Dinge. Hintergrund von „soon enough“ (03. August) war es, den Besucher mithilfe der Ausstellung und Performances von Franziska Lantz und Deborah Ligorio zu einer „Reflexion über innere Evolution“ einzuladen. Ligorio veranlasste dazu, durch eine geführte Meditation absurd-spannende Zukunftsszenarien zu visualisieren. Lantz katapultierte uns im Anschluss mit archaisch-eindringliche Klängen wieder zu unserem Ursprung zurück.
Bei dem anschließenden Gespräch mit Franziska Lantz führte auch die in der Luft schwebende Knochenansammlung (s.o.) zu einem interessanten Dialog über das (Über)leben in Großstädten und eine gewisse morbide Lebensanschauung. Plötzlich standen die Tiergebeine für mehr als nur Knochenfanatismus an einer Schnur.
Fazit
Kunst sollte es schaffen auch im Vorfeld durch konkrete Zusammenhänge und weniger abstraktes Geplänkel zu interessieren. Sofern sich Künstler und Rezipient darauf einlassen, kann das zu spannenden Diskursen führen.
Leider weigern sich noch immer viele Künstler ihre Kunstwerke zu erklären, und wir Unwissenden lassen uns häufig von artsy Hipster-Menschen und Knochen an einer Schnur abschrecken und gehen einfach weiter.
Deshalb lautet der Appell an alle: Traut euch, geht hin und lasst Euch auf Gespräche ein – erst recht, wenn Ihr die Kunst scheiße, den Künstler arrogant oder den Galeriebesucher spießig findet.