Kunst ist tanzbar


Das Jeansteam will aus dem Fundus der 8oer den puren Pop für heute basteln.

Das Haus ist vom Gehweg aus nicht von all den anderen Altbauten an der Schönhauser Allee zu unterscheiden. Es verschanzt sich hinter wilden Hecken vor dem Verkehr. Immerhin, die Tür ist offen. Also hinein ins Treppenhaus, wo es nach Terpentin riecht. Hat hieT im Sommer wirklich das Jeans Team gespielt, im Saal dort hinten, der jetzt abgeschlossen ist? Ja klar, proppenvoll war’s, drüben wurden T-Shirts verkauft und hier, gleich neben dei Treppe, stand Judith Holofernes, unerkannt, mit dem Rücken zur Wand und hielt sich an ihrem Bier fest. Heute ist es sehr still. Schwer vorstellbar, dass hier ein Pop-Quartett sein neues Album aufgenommen hat. „Einfach rechts zweimal die Treppe hoch, dann links rum und den Gang ganz runter bis zum Ende, da kommt dann irgendwann eine Stahltür…“, hatte Yvonne von der Plattenfirma erklärt. Also rechts die knarzenden Stufen hoch, dann auf fieser DDR-Auslegware den Gang runter, links die Stahltür, klopfen, Kopf reinstecken. Zwischen elektronischem Equipment hocken zwei Jungs, die aussehen, wie wir uns hippe Elektronik-Frickler aus Berlin-Mitte immer vorgestellt haben! „Jeans Team? Nee, die haben ihr Studio drüben, hinten im Seitenflügel. Wir sind die Cord Crew.“ Weiter, Treppen hoch, Treppen runter. 100 Stufen und zwölf Ecken weiter wieder eine Tür, die sich öffnen lässt: „Nein, ich bin der Radiosender“, erklärt ein Kid mit Baseball- Kappe: „Fragt doch mal oben im Vierten nach, bei der Plattenfirma.“

Die Plattenfirma gehört Patrick Wagner. Früher mal hielt der sich für „größer als Gott“, gründete das Schweinerock-Projekt Surrogat und das Label Kitty-Yo (Peaches, Kante, Maximilian Hecker), von dem er sich im Streit trennte. Vor kurzem gründete er wieder eine Firma, benannt nach Sohn Louis. Patrick Wagner entdeckte vor fünf Jahren das Jeans Team für Kitty-Yo. Und weil ihm das Jeans Team zu Louisville folgte, weiß Wagner auch, wo sich die Band versteckt. Wagner ist verrückt genug, sich und sein Geschäft nicht allzu ernst zu nehmen: „Habt ihr auch die Liste mit den Fragen bekommen, die im Interview auf keinen Fall gestellt werden dürfen?“, fragt er, als würde er uns gleich Westernhagen vorstellen – und nicht den freundlichen Franz vom Jeans Team. Wenn Franz wie ein Student der Architektur aussieht, dann vielleicht deswegen, weil er wirklich Architektur studiert hat. Zur Begrüßung bittet er, die penible Ordnung in dem winzigen Raum zu entschuldigen. Ah, da hängt auch schon die Leuchtreklame. Die Leuchtreklame wirbt für das „Jeans Team“. Vor fast zehn Jahren waren Franz und Reimo aus Bremen zugereist – und mitten hinein geraten in die erwachenden Szene eineT Stadt, die auf Leute wie Franz und Reimo gewartet zu haben schien. Also ritten sie die Welle der Aufbruchseuphorie und eröffneten die legendäre Galerie BerlinTokyo, gefeiert als kreatives Kraftwerk aus Kunst, Mode und Musik. „Da bündelte sich ziemlich viel Energie“, meint Henning. Und wie wir da im Kreis sitzen, kann endlich die Geschichte der Leuchtreklame erzählt werden, die natürlich mehr ist als nur eine Leuchtreklame – und eben deswegen dem Jeans Team seinen Namen geben konnte: „Sie hing über einer Bäckerei, völlig zugedreckt von Taubenscheiße und längst kaputt“, erzählt Reimo. Damals, 1996, gab es das entsprechende Hosengeschäft schon lange nicht mehr. Damals waren die achtziger Jahre von ihrem Ende ungefähr genauso weit entfernt wie von ihrer Renaissance, am Nullpunkt der Bedeutungslosigkeit. Abgemeldet, wie es eine Ära nur sein kann. Irrelevant. Ihr Reichtum an Zeichen, Moden und Klängen kam in keinem kulturellen Koordinatensystem mehr vor, sie flogen unter dem Radar ästhetischer Diskurse hindurch. Es brauchte schon einen freien Geist, um 1996 die Achtziger als leeren Altbau zu begreifen, der auf tatendurstige Hausbesetzer wartet. Auf Leute, die darin illegale Parties feiern wollen. Leute, für die eine Neonreklame keine Neonreklame mehr ist – sondern Treibgut in der Zeit. Deshalb taucht die „Jeans Team“-Reklame, seit sie dem Besitzer für 260 Mark abgeluchst wurde, jedes Konzert in blaues Licht. Ein verzauberter Zeuge einer Ära, auf deren Ruinen das Jeans Team die Bauarbeiten wieder aufgenommen hat. Es ist das exakte Gegenteil von „retro“. Es ist die innere Idee, der kreative Kern, das Konzept dieser Konzeptband.

Das Konzept ist Kunst, und diese Kunst ist tanzbar. Was sehen wir im Video zum stoisch dahinstampfenden Dancefloor-Stück „Oh Bauer“? Stadtmenschen an Maschinen. Liegt „Berlin am Meer“? „Schön, wenn’s so war“, wie es in der Single heißt. Das Jeans Team macht subversive Kunst, und weil suberversiv „unterwandern“ heißt, kommt alles Suberversive von unten – doch wie heißt das Album? musik von oben. Die Musik wirkt gerne stupide – die Musiker sind so schlau, ihren eigenen Hype nicht zu glauben. Zu denkbar dumpfen Beats gibt es Texte, die absolut sinnlos scheinen. Dass sie komplementär zur Musik konstruiert sind, erkennen wit erst im besinnungslosen Tanz. Die Vier fuhren absichtlich jeden Hörer in die Irre, der sich in ihre Welt wagt. Genau wie der Altbau, in dem sie residieren, alle seine Besucher narrt. Wer sich an der Nase herumführen lässt, der erreicht in dieser Irre vielleicht die magische Oase reiner Leere, den puren Pop. Oder, wie Franz sagt: „Der Moment, wo alles sich sich auflöst, alles egal wird, wo man nur noch grinst und sich fragt: Wie geil ist DAS denn?“

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