Queen-Film „Bohemian Rhapsody“: Somebody to Love
Nach acht Jahren in der Entwicklungshölle hat man es nicht mehr für möglich gehalten, aber jetzt ist es da: das Freddie-Mercury-Biopic.
Fast 27 Jahre nach dem Tod der Queen-Legende lässt die verfilmte Lebensgeschichte Freddie Mercury für anderthalb Stunden wieder auferstehen. Der unter Umständen aus der Thriller-Serie „Mr. Robot“ bekannte Rami Malek spielt Mercury und – das Wichtigste gleich mal vorweg: Er macht das fantastisch. Die Überbiss- Prothese, die ihm die Makeup- Abteilung verpasst hat, mag zwar etwas übertrieben sein. Malek verfügt bereits über ein prominentes Gebiss, das ihm, wie er sagt, auch zu dieser Rolle verholfen hat. Aber solche Simpsons-Hauer wie hier hatte Mercury nun auch wieder nicht.
Eigentlich sollte „Borat“ die Rolle spielen
Möglicherweise soll das aber auch die Last versinnbildlichen, unter der er zeitlebens gelitten hat. „Ich mag nicht, wie meine Zähne hervorstehen, aber abgesehen davon bin ich perfekt“, sagte er und hielt sich noch schnell die Hand vor den Mund bevor er lachte. Auch im Film spielt sein Gebiss immer wieder eine Rolle: Als er sich seinen zukünftigen Bandmitgliedern Brian May (allein schon in puncto Aussehen erstklassig verkörpert von Gwilym Lee) und Roger Taylor als neuen Sänger ihrer Band Smile anbietet, winken die mit Verweis auf seine Kauleiste ab. An anderer Stelle erklärt er seine außergewöhnliche Stimme mit seinen außergewöhnlichen vier Zusatzzähnen.
Sacha Baron Cohen, ursprünglich für die Rolle vorgesehen, wäre jedenfalls wohl doch nicht die Idealbesetzung gewesen, für die er umgehend gehalten wurde. Denn obwohl er ein Meister der Verkleidung ist, grinst doch immer sein wahrer Charakter durch das Antlitz von Ali G, Borat und Brüno. Grade aber beim Finale des Films, einer 1:1-Nachstellung von Queens Auftritt bei „Live Aid“ 1985, geht es darum, die Illusion zu perfektionieren.
„Niemand will so einen Film sehen“
Tatsächlich wird einem erst mit den im Abspann gezeigten Originalbildern Mercurys wieder bewusst, dass man gerade eben einem Schauspieler zugesehen hat, einem sehr talentierten und ehrfürchtigen. Baron Cohen ist hingegen in erster Linie Komiker. Vor einigen Jahren hatte er das Projekt medienwirksam verlassen, nachdem sich zeigte, dass sich seine Ideen vom Film mit denen der Co-Produzenten May und Roger beißen, um erneut das Zahnbild zu bemühen. Der Satiriker wollte sich auf die Exzentrik Mercurys konzentrieren, sein ausschweifendes Nachtleben dokumentieren. May und Taylor hätten Mercury am liebsten zur Filmhälfte sterben lassen, um dann 45 Minuten darauf zu verwenden, wie sie ihr Erbe verwalten, mit mal mehr, mal weniger geeigneten Behelfskräften wie Paul Rodgers und Adam Lambert. „Niemand will so einen Film sehen“, sprach Baron Cohen und ward nie mehr am Set gesehen.
Vom Kofferträger zur Legende
Ob da der verbliebenen Crew ein Licht aufgegangen ist? In der finalen Fassung des tempogeladenen Films stirbt Mercury jedenfalls nicht, man begleitet den Sänger von seinen Anfängen als Einwanderer-Teenager Farrokh Bulsara, der als Kofferschlepper am Heathrow-Flughafen jobbt, bis zu den 21 besagten, geschichtsschreibenden Minuten im Wembley Stadion. Im Film weiß er da bereits von seiner AIDS-Erkrankung, weiht seine Kollegen im Proberaum in sein Geheimnis ein. Laut seinem Langzeitpartner Jim Hutton bekam er die Diagnose allerdings erst im April 1987.
Überhaupt verdichtet der Film stark, es gibt eben viel zu erzählen aus so einem illustren Leben. Manchmal führt das zu albernen Szenen. Da wird ein Richtungsstreit zwischen Mercury und Taylor – sollen Queen zur Discoband werden oder nicht – im Nu damit aufgelöst, indem John Deacon einfach sein „Another One Bites The Dust“-Riff uraufführt – und damit alle glücklich macht. Und hat Mercury wirklich Hutton seinen Eltern bei einem Teekränzchen unmittelbar vor dem „Live Aid“-Auftritt vorgestellt?
„Fat Bottomed Girls“, ein Song von 1978, stand 1974 jedenfalls nicht auf der Setlist von Queens erster US-Tour. Ausgleich finden solche Schnitzer in augenzwinkernden Details wie dem Casting von Mike Myers als Angestelltem der Plattenfirma. 1992 hatte er mit dem Einsatz von „Bohemian Rhapsody“ in der Rock-Komödie „Wayne’s World“ Queen populärer als je zuvor in den USA gemacht.
„Bohemian Rhapsody“ ist kein experimentelles Biopic wie „I’m Not There“ über Bob Dylan, folgt klassischen Erzählmustern – Mercurys vom Rest Queens verabscheuter Manager Paul Prenter dient als Antagonist, die Beschwörung des Familiengeists der sich als Außenseiter verstehenden Band gibt den roten Emotionsfaden –, und muss natürlich jahrzehntelangen Hardcore-Fans wie Neuankömmlingen gefallen. Ein Spagat, der selbst den furchtlosen Ballett-Fan Mercury beeindruckt hätte. Der gelingt allein schon dank der überwältigenden Musik und der Darstellung des mysteriösen Mr. Mercury. Dessen letzte Rätsel werden freilich auch hier nicht entschlüsselt. Doch nachdem der Vorhang gefallen ist, würde man sich gerne mit ihm zum Wodka-Stamperln in München, einer seiner Wahlheimaten, verabreden.
„Bohemian Rhapsody“ startet am 31. Oktober 2018 in den deutschen Kinos.