Kraftwerk: Techno Pop


Kraftwerk meinen "digital ist besser" und verwerfen ihr 1983er-Album.

Die Geschichte von Kraftwerk ist an Geheimnissen, Geheimnistuerei, Gerüchten und Mythen nicht unbedingt arm. Das Image der Band aus Düsseldorf, die wie keine Zweite die Entwicklung der elektronischen Musik beeinflusst hat, ist auf Geheimhaltung aufgebaut. Dazu passt ein mythenumranktes, unveröffentlichtes Album. „Techno Pop“ ist kein „verlorenes“ Album im eigentlichen Sinn, weil es über die Idee und ein paar Aufnahmen nicht hinausgekommen ist und 1986 unter dem Namen Electric Cafe dann offiziell veröffentlicht wurde. Was „Techno Pop“ zum Mythos macht, ist das vorschnelle Handeln der Verantwortlichen der Kraftwerk-Plattenfirma EMI. Der Nachfolger des wegweisenden 1981er-Albums Computerwelt hätte im August 1983 veröffentlicht werden sollen. Der geplante Titel „Technicolor“ wurde von den in juristischen Dingen bewanderten Kraftwerk wegen rechtlicher Bedenken fallen gelassen – der Begriff, der ein Farbfilmverfahren bezeichnet, ist gesetzlich geschützt. Die Plattenfirma EMI vergab Katalognummern für das Album, das nun „Techno Pop“ heißen sollte: 1C 067-65087 für die LP und 1C 264-65087 für die Musiccassette. Die Veröffentlichung des Albums der technologischen Innovatoren Kraftwerk auf dem knapp ein Jahr vorher im Oktober 1982 – eingeführten, ultramodernen Medium CD war ironischerweise vorerst nicht geplant. EMI ließ Anzeigen in den einschlägigen Musikmagazinen schalten, deren Design das geplante Coverartwork aufgriff: eine Illustration der klassischen Kraftwerk-Besetzung Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flur als Radrennfahrer. Das Motiv wurde im Juni 1983 für die Single „Tour de France“ und 20 Jahre später für das Album „Tour de france Soundtracks“ aufgegriffen. Ein Tracklisting für „Techno Pop“ stand fest: Die komplette erste Seite der LP sollte vom programmatischen Titeltrack eingenommen werden. Auf Seite 2 die drei Tracks „Der Telefon Anruf“, „Sex Objekt“ und „Tour de France“. Bei den Aufnahmen entstanden lediglich frühe Versionen von „Techno Pop“ und „Sex Objekt“. Die Sessions wurden unterbrochen, nachdem Hobby-Radrennfahrer Hütter einen schweren Radunfall erlitten hatte, von dem er sich nur langsam erholte. Ein Besuch beim New Yorker Produzenten Francois Kevorkian konfrontierte Hütter später mit der neuen digitalen Aufnahmetechnik. Das muss ihn in seinen Grundfesten erschütten haben. Kraftwerk als Soundinnovatoren, die der Aufnahme- und Studiotechnik immer einen Schritt voraus waren, hatten ihr Album noch analog aufgenommen und damit den Anschluss an die Entwicklungen der „Computerwelt“ verloren. Das Projekt „Techno Pop“ wurde auf Eis gelegt. In der Folgezeit rüsteten Kraftwerk ihr Kling-Klang-Studio in Düsseldorf digital auf. Mit der neuen Technik arbeiteten Hütter, Schneider, Bartos und Flur dann weiter an den Tracks. Das Ergebnis wurde 1986 als Electric cafe veröffentlicht. Relikte & Rekonstruktionen: Für 2004 kündigten Kraftwerk die Veröffentlichung des Box-Sets „Der Katalog“ an. Es sollte die remasterten Versionen der acht Alben von AUTOBAHN (1974) bis Tour de france Soundtracks (2003) mit teilweise neu designten Coverartworks enthalten. Bis heute ist „Der Katalog“ allerdings nicht erschienen. Auf der Homepage von Kraftwerk ist nach wie vor das Artwork zu sehen. Das von Electric cafe wirkt auf den ersten Blick unverändert. Nur der Albumtitel ist „neu“: „Techno Pop“. Sollte „Der Katalog“ jemals erscheinen, erfährt das große, nicht ganz so „verlorene“ Kraftwerk-Album seine späte Veröffentlichung.