Kraftwerk
Trans Europa Express ('77)
94 Als Kraftwerk sieben Jahre nach ihrer Band-I Gründung ihre bis dato sechste LP ankündigten, stießen sie damit auf eher gemäßigtes Interesse. Die Aufregung um neue elektronische Klänge aus Deutschland hatte ihren
Höhepunkt bereits überschritten. Dazu hatte der Millionenhit „Autobahn“ (1975) dafür gesorgt, daß die Düsseldorfer Vordenker von der Zeit (in Gestalt von u. a. David Bowie und Brian Eno) eingeholt wurden. Während Billig-Compilations ihrer Frühwerke die Regale füllten und anderswo Punk das neue Ding war, deutete sich am Horizont bereits die Neue Deutsche Welle an. Aber nicht selten sind es solche Herausforderungen, unter denen ein Meisterwerk entsteht. Mit „Trans Europa Express“ legten Kraftwerk das etwas platte Image der Musik-Technologen des Industriezeitalters ab und präsentierten sich als ernsthafte Vertreter der alten Bauhaus-Kunstrichtung. Die typischen Harmonien ihrer Klangmaschinen waren nunmehr frei von dem Spielzeug-Appeal ihrer Frühwerke. Dazu überraschten die Songtexte (früher meist nicht viel mehr als nur dekorative Gemeinplätze) mit ausgeprägtem Sinn für die gesellschaftlichen Veränderungen ihrer Zeit. „Europa Endlos“ wie auch der Titelsong entwickelten die Vision eines geeinten, multinational vernetzten Europas. Wer sie aber naiver Fortschrittsgläubigkeit bezichtigen wollte, wurde von Songs wie „Schaufensterpuppen“ oder „Spiegelsaal“ gekontert. Hier porträtieren sie lakonisch und treffend die Kehrseite der hochtechnisierten Gesellschaft. Fazit: Von allen Kraftwerk-LPs hat „TEE“ die meiste künstlerische Substanz. Davon konnten Depeche Mode noch Jahre zehren.