Kraftklub & Marteria: Die Ruhe und der Sturm
Marteria und Kraftklub gehören zu den erfolgreichsten deutschen Acts überhaupt. Beide veröffentlichen jetzt neue Platten, alle sind sie gut befreundet. Wir sind mit ihnen Spazieren gegangen, vor den Toren Berlins, dort, wo sich Haselmaus und Wildschwein Gute Nacht sagen.
Die Gemeinsamkeiten gehen aber weiter. Beide Platten versuchen, textlich neue Räume auszuloten. Marteria hat ROSWELL so eine Art Alien-Narrativ mitgegeben, in den einige der wohl politischsten Botschaften verwoben sind, die wir von ihm bisher gehört haben. Und Kraftklub haben einen Schritt unternommen, der ziemlich mutig ist: Sie haben die Perspektive gewechselt. Wo auf den ersten beiden Alben MIT K (2012) und IN SCHWARZ (2014) zwar mit massig Identifikationspotenzial noch in erster Linie aus dem eigenen Allltag berichtet wurde, schlüpft Felix Brummer nun in Rollen. In die des Lohnsklaven, des Druffis, und ja, auch des Exfreundes. Für „Dein Lied“ hat die Band in gleich mehreren Artikeln Hiebe kassiert, wurde die Art, wie im Refrain das Wort „Hure“ verwendet wird, drastisch kritisiert. Und in der Tat: Die Vorstellung, wie auf dem Campingplatz eines großen Rockfestivals angetrunkene Jungmänner diesen Refrain brüllen, ist nicht besonders anheimelnd. Die Band widerspricht mit einer Vehemenz, die zeigt: Sie finden es wirklich, wirklich schade, dass auch die, denen sie sich eigentlich verbunden fühlen, den Song so anders wahrnehmen als sie.
https://www.youtube.com/watch?v=h01ZDVRYlgk
Felix Brummer: Unsere Texte haben sich vom Autor emanzipiert. Die Geschichte mit den Jungs, die aus Karl-Marx-Stadt kommen und ein bisschen Rock’n’Roll-Klassenfahrt machen war auserzählt. Die der zweiten Platte, auf der wir darüber sangen, dass wir wirklich berühmt wurden, auch. Deswegen sind wir in andere Perspektiven geschlüpft.
Kannst du nachvollziehen, dass „Dein Lied“ und die Verwendung des Wortes „Hure“ so sehr polarisiert? Habt ihr damit vielleicht sogar gerechnet?
Felix Brummer: Wenn wir damit gerechnet hätten, hätten wir das wahrscheinlich nicht als ersten Song ausgekoppelt. Die Idee war eine andere. Wir dachten uns, wir nehmen als Vorab-Track einfach den, der am weitesten von den anderen entfernt ist. Der völlig anders ist als das, was wir bisher gemacht haben. Dass das Wort Hure so ankommt – ja, kann ich verstehen. Hätte man sich vielleicht vorher denken können. Aber im Endeffekt gilt auch da: Es ist die Perspektive eines anderen Charakters, eines Typen, der seiner Exfreundin die schlimmste Beleidigung hinterherschreit, die ihm halt einfällt. Ob er jetzt Hure sagt, oder dumme Sau, oder …
Marteria: Fotze!
Felix Brummer: Im Endeffekt ist jedes Schimpfwort die Entmenschlichung. Darum geht es ja.
Marteria: Ich finde das eine ganz, ganz schwierige Diskussion. Das ist doch lächerlich. Jeder nimmt so Wörter in den Mund. Was soll man denn sonst rufen? Hure! Das ist sie in dem Moment.
Felix Brummer: Es springen bei dem Wort alle so reflexartig auf. Und wenn man dann fragt: ‚Was ist denn das Problem?‘, ist die Antwort, man würde den Begriff salonfähig machen als einen, der für Frauen benutzt wird.
Aber das Wort folgt doch einer Idee, die eigentlich die falsche ist. Nämlich, die Frau nach gesellschaftlichen Erwartungen zu beurteilen, der sie nicht entspricht und sie so abzuwerten. Es geht doch um das Weitertragen dieser patriarchalischen Idee!
Felix Brummer: Ja, aber dass die patriarchale Stimme durch diesen Song spricht, ist eine falsche Annahme. Wenn, dann ist eher das Gegenteil der Fall: dass Zustände in der Gesellschaft herrschen, die Einfluss auf den Song nehmen. Die Leute sagen: „Slutshaming!“ Hier würde die Frau aufgrund ihrer Promiskuität abgewertet. Und dann ist die Diskussion vorbei. Dabei wird aber immer vergessen, dass diese Geschichte nicht in der Realität stattfindet, sondern es den Raum der Kunst gibt, in dem die Personen fiktiv sind. Die feministische Linke hört sich oft an wie ein CDU-Politiker, der sagt, für Amokläufe seien Killerspiele verantwortlich. Ich kann verstehen, dass jemand meine Perspektive eklig findet. Aber die Grenzen des eigenen Geschmacks mit den Grenzen der Kunst zu verwechseln, das geht doch nicht.
Marteria: Ich habe da eine ganz andere Position dazu, weil meine ganze Familie aus dem Rotlichtmilieu kommt. Ich bin quasi so entstanden. Mein Uropa hat sich in eine Prostituierte verliebt. Die sind dann zusammengekommen und haben ein Kind bekommen. Wenn es diese Begegnung nicht gegeben hätte, würde ich nicht existieren. Ich habe diesem Gewerbe meine Existenz zu verdanken.
„Alle wollen Wellness, die maximale Chillung, das größte Runterkommen. Ich möchte überhaupt nicht entschleunigt werden. Im Gegenteil: Ich will Beschleunigung!“ – Felix Brummer
Eines weiß Felix Brummer: Natürlich werden diesen Song auch irgendwelche Vollpfosten feiern. Und natürlich wird bei Songwritern automatisch von einer höheren Authentizität ausgegangen als in der Literatur, wo eben keine konkrete Stimme das Werk vorträgt. Man denkt an die geschundene Künstlerseele, Protagonist und Interpret werden im Ohr des Hörers zwangsläufig eins. Die häufigste Frage in Interviews ist vermutlich die danach, welche Exfreundin Brummer denn so übel mitgespielt habe, dass sie so harte Worte verdienen würde. Aber kann man solche Reaktionen überhaupt ausschließen? Muss man die Aussage der eigenen Kunst vorab darauf abklopfen, ob sie missverstanden werden könnte? Natürlich nicht, denn dann würde man bei genau der Harmlosigkeit landen, die die Musik der vielen Jungmänner, deren Songs im Radio rauf und runter laufen, so fürchterlich machen. Über diesen gefälligen Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Pop ärgern sich Kraftklub und Marteria ebenso sehr, wie Jan Böhmermann oder Musikjournalisten das tun.
Marteria: Ich drehe bei all den Typen, die völlig austauschbar klingen, die alle diese Rio-Reiser-Betonung in ihrer Stimme haben, dieses „vor-ba-haaai“, völlig durch. Es wirkt doch so, als würde einer im Mond sitzen und sämtliche Songs für die schreiben. Gegen diese Wackness stinken Kraftklub an.
Felix Brummer: Das Blöde ist ja nicht deren Musik. Es gibt ja Leute, die ähnliche Musik machen, bei denen ich das gar nicht problematisch finde. Wenn Philip Poisel da etwas aus seiner geschundenen Seele herausklagt, dann ist das total okay. Das Gemeine an Leuten wie Max Giesinger ist, dass die ganz genau sagen: Das habe ich erlebt. Die betonen, wie real das ist, und das ist natürlich absurd, wenn das irgendein Songwriter geschrieben hat.
Ihr werdet beide auf euren Platten sehr politisch. Was meint ihr: Liegt das an euren Biografien, die man im weitesten Sinne als links begreifen kann?
Marteria: Mein erstes Konzert war Ton, Steine, Scherben. Als Fünfjähriger in Ostberlin. Ich komme aus einer linken Familie. Das wurde auch so benannt.
Felix Brummer: Till und ich stammen aus einer Künstlerfamilie und haben die entsprechenden Werte mitgegeben bekommen. Es wurde nicht formuliert, ob das jetzt links ist oder nicht. Interessant ist: Heute gelten die simpelsten humanistischen Grundsätze plötzlich als links. Aber vielleicht ist es das einzige Positive, was man den Zeiten heute abgewinnen kann. Wir sind in einer völlig unpolitischen Zeit aufgewachsen. Jetzt kann man wenigstens wieder ganz klar zu seinen Grundsätzen stehen und gilt damit wieder als jemand, der gegen den Strom schwimmt.
Marteria: Das ist das Gute an Trump. Plötzlich gibt es Bernie Sanders und eine linke Bewegung, die massig Leute zieht, und das in den USA! Was generell wichtig ist: Man muss die Haltung über die Angst stellen. Wenn man politische Songs schreibt, können die auch lustig sein, wie „Links“ auf meiner Platte. Die Linke braucht gute Kämpfer! Linke Hools!
Besitzt ihr als Künstler Verantwortung?
Felix Brummer: Nein. Ich finde es anmaßend, mich da hinzustellen und zu sagen, unsere politische Meinung ist die richtige, und die möchte ich jetzt allen unseren Fans mitgeben. Wir fahren mit Humor ganz gut. Als Trump Präsident wurde, war das sehr unangenehm. Wie zwei Tage Kater. Aber wir haben Witze gemacht, so wie man auch über Pegida Witze machen kann. Das bewerten viele als politisch. Aber wir wollen damit keine Aussage zur Lage der Nation treffen. Ist natürlich schön, wenn wir die Leute dazu bringen, ein bisschen nachzudenken.
Das Interview ist vorbei. Als der Journalist bezahlt, nimmt ihn der Wirt, ein freundlicher Herr mit Schnauzbart, der so schaut, als habe er schon alles gesehen im Leben, zur Seite. „Wer waren die Herrschaften denn jetzt?“, fragt er. Kraftklub? Marteria? Habe er beides noch nie gehört, aber man könne gerne mal wiederkommen. Das scheint übrigens auch für Motte zu gelten: „Ein Hund liegt lang und streckt die Pfoten aus, man sieht es ihm an, er fühlt sich zuhaus“, steht in einem Gedicht auf der Homepage des Lokals geschrieben. Aber vielleicht muss man hier in Grünau, wo die Stadt zum Wald, wo Berlin zu Brandenburg wird, und wo der einzige Lärm die Wortwolken sind, die von der Regattastrecke herüberwehen, etwas Nachsicht walten lassen. Womöglich hatte der Kellner auch einfach einen schlechten Tag.
Die Kraftklub-Marteria-Titelgeschichte ist in der Juni-Ausgabe 2017 des Musikexpress erschienen.