Konzerte und Corona: „Keine Impflicht durch die Hintertür“, aber …
In einem Bericht vom Gesundheitsministerium an Länder und Bundestag wird deutlich, welche Strategie man sich für den Herbst wünscht – auch mit Blick auf Veranstaltungen. Bei hohen Inzidenzen könnte es bald heißen: „2G statt 3G“.
Heute morgen haben wir es bei der Zeitungslektüre wieder gemerkt: Würde man sich jedes Mal, wenn ein Politiker mit den Worten „keine Impfpflicht durch die Hintertür“ zitiert wird, einen Schnaps einschenken, wäre man schon vor dem zweiten Kaffee hackedicht. In den letzten 24 Stunden sagte zum Beispiel Regierungssprecherin Ulriker Demmer der SZ: „Wir wollen keine Impfpflicht, auch nicht durch die Hintertür.“ Und FDP-Generalsekretär Volker Wissing spielte sich im Interview mit RTL/ntv mal wieder als Ritter der Entrechteten auf – wie es die FDP ja so gerne tut – und polterte: „Die Diskriminierung Ungeimpfter und deren Ausschluss vom sozialen Leben ist nichts anderes als eine Impfpflicht durch die Hintertür.“
„Sicher durch Herbst und Winter…“
Aufreger und Ausschlaggeber ist ein sechs-seitiges Papier des Gesundheitsministerium, das Gesundheitsminister Jens Spahn gestern an die Länder und den Bundestag geschickt hat. Das Papier trägt den Titel „Sicher durch Herbst und Winter – jetzt die Vorbereitungen treffen“ und ist erstmal nichts weiter als eine – so Spahn – „Diskussionsgrundlage“ für die Ministerpräsidentenkonferenz, die am 10. August stattfinden wird . Dort wird dann bekanntlich über ein weiteres, im Idealfall einheitliches Vorgehen in der Corona-Pandemie abgestimmt, das ja im Grunde Ländersache ist.
Lockdown „aller Voraussicht nach nicht mehr notwendig“
In dem Papier stehen eine Menge erfreulicher Dinge: Zum Beispiel, dass man davon ausgehe, dass ein „einschneidender Lockdown“ wie in der zweiten und dritten Welle „aller Voraussicht nach nicht mehr notwendig“ sei. Man kann außerdem herauslesen, was dem Gesundheitsministerium mit Blick auf die Live- und Entertainment-Branche vorschwebt. Geht es nach dem Ministerium, wünscht man sich, dass „bis zum Frühjahr 2022“ überall dort, wo in geschlossenen Räumen viele Personen aufeinandertreffen, deren Impfstatus ungeklärt ist, weiterhin Maske getragen wird. Was „auch in allen Bereichen des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs sowie des Einzelhandels für alle, auch für Geimpfte und Genesene“, gelten solle.
Bürgertests nicht mehr kostenlos?
Gleichzeitig möchte man – ohne das so ausdrücklich zu betonen – den Ungeimpften das gesellschaftliche Leben schwerer machen: „Zum Beispiel zum 11. oder 18. Oktober 2021“ könne sich das Ministerium vorstellen, Bürgertests nicht mehr kostenlos anzubieten. Es sei denn, man könne vorweisen, dass man sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen könne (Schwangere zum Beispiel) oder keine Impfempfehlung vorliegt (Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre). Sollten die Inzidenzen weiterhin steigen, solle laut Ministerium ab Mitte September in folgenden Bereichen ausschließlich die „3G“-Regel (Geimpft, Genesen, Getestet) gelten: „Innengastronomie, Hotelübernachtungen, körpernahe Dienstleistungen, Sport im Innenbereich, Veranstaltungen im Innenraum sowie Großveranstaltungen drinnen und draußen“. Parallel dazu arbeite man aber auch mit dem Robert-Koch-Institut an einem Modell, das Entscheidungen nicht mehr nur von den Inzidenzwerten abhängig macht. Denn, was man inzwischen wissen sollte: Je mehr Menschen geimpft, desto geringer ist das Risiko, schwere Krankheitsverläufe und volle Krankenhäuser zu haben.
„2G statt 3G“
Dennoch wird es Grenzwerte geben – und sobald diese überschritten werden, was bei der jetzigen Entwicklung nicht unwahrscheinlich ist, wird es „weitergehende Einschränkungen“ für Ungeimpfte geben. „Dazu zählen insbesondere Kontaktbeschränkungen sowie die Begrenzung der Teilnahme beziehungsweise den Ausschluss von der Teilnahme nicht geimpfter Personen an Veranstaltungen und in der Gastronomie.“ Es gelte fortan der Grundsatz „2G statt 3G“.
Parallel dazu äußerten sich auch diverse Politikerinnen und Politiker der Regierungsparteien. Bundesjustizministerin Christine Lamprecht (SPD) betonte zum Beispiel gegenüber der SZ, dass zwar bei verträglichen Werten für das gesellschaftliche Leben 3G gelten würde, aber als Wink mit dem Zaunpfahl betonte sie wieder, dass in Deutschland das Haus- oder Vertragsrecht von Hoteliers, Veranstaltenden und Restaurantbetreibern gelte. Also die juristisch wasserdichte Möglichkeit, nur 2G – also Geimpfte und Genesene – einzulassen. Eine Alternative, die auf kurz oder lang die einzig wirtschaftlich rettende und sinnvolle ist für die Veranstaltungsbranche, wie wir hier ja schon mal erläutert haben.
Wohl platzierter Stimmungstest
Wie gesagt: Das hier zitierte Papier ist nur eine „Diskussionsgrundlage“. Oder eher: Wunschdenken des Ministeriums. Aber es ist eben auch ein wohl platzierter Stimmungstest, wie sich die Öffentlichkeit und die politische Konkurrenz positionieren werden. Ob das erhellend ist, bleibt dennoch die Frage. Denn gerade bei diesen Diskussionen sind die Fronten verhärtet und die Argumente stets mit Blick auf Wählergruppen zu lesen. Und es gibt immer noch Parteien wie die FDP und in größerem Maße die AfD, oder Medien wie die „BILD“, die durchgerechnet haben, dass die Stimmen der Impfunwilligen eine rechnerische Größe sind, für die man über gesundheitliche und wissenschaftliche Argumente schon mal hinwegsehen kann. Ohne dabei jemals zu erläutern, wie denn eine Welt aussehen soll, in der das Virus weiterhin grassiert und Millionen Menschen sich nicht impfen lassen wollen. Ohne die Erlaubnis, Konzerte mit voller Auslastung ohne Beschränkungen für 2G durchführen zu können, wird die Live-Branche nicht mehr lange überleben können – und das kann eine wirtschaftsliberale Partei ja eigentlich auch nicht wollen …