Konkreter Gegner


Die Rapper in Kairo und Tunis haben ihre eigene Agenda. Es geht nicht um eine anarchistische Revolte, sondern um den Anschluss ihrer HipHop-Kultur an die internationale Community.

Der Soundtrack der arabischen Protestierer wie auch der marodierenden Jugendlichen in London mag ähnlich klingen: gewaltige Beats, wütende Raps. Ist doch HipHop längst zum universalen Soundtrack der Underdogs herangewachsen, lassen sich Songs von Tupac, Ice Cube oder Dizzy Rascal als Spiegel und Verstärker der eigenen verzweifelt-wütenden Gefühlslage lesen, als Apologie, sich notfalls selbst zu nehmen, was die Gesellschaft einem verwehrt.

Und doch sind die Unterschiede zwischen den Straßen von Tunis oder Kairo und London unübersehbar: Hier eine abstrakte Wirtschaftskrise, ein diffuses Gefühl des Ausgegrenzt-Werdens, ein nihilistisches, zielloses Wüten gegen das Establishment. Dort sehr konkrete Gegner mit Namen und Gesichtern – sowie das Gefühl eines positiv besetzten „Wir“: „Ich habe am Anfang gezweifelt“, erzählt der Kairoer Rapper und Polit-Aktivist Raqib Al Nassery, „wer hier marschieren würde, aber als ich Reiche und Arme, Junge und Alte, Christen und Muslims gemeinsam auf der Straße sah, bin ich mit vielleicht tausend Jugendlichen aus meiner Nachbarschaft Richtung Tahrirplatz gezogen – zum ersten Mal fühlten wir, dass unsere Rechte wichtiger waren als unsere Unterschiede.“

Dieser Zug – einer von Hunderten in ganz Kairo – hatte nichts mit den Plünder- und Zerstörungsexzessen in London gemein. Er zielte auch nicht gegen die Ordnung per se. Sondern forderte verbindliche Regeln für alle – ob sie nun Verwandte im Staatsapparat und bei der Polizei haben oder nicht. Vor allem aber ging es um einen Transfer der Macht von überalterten Autokraten an den Nachwuchs. Nicht umsonst werden die Unruhen in der arabischen und islamischen Welt als „Jugendrevolte“ geführt. 60 Prozent der Menschen in den arabischen und islamischen Ländern von Marokko bis Iran sind unter 30 Jahre alt. Deswegen spielen Jugendkulturen wie Popmusik und HipHop und auch die sozialen Netzwerke im Internet eine entscheidende Rolle.

Westliche Revolutionsromantiker haben vieles in diese Bewegung hineingelesen, an die libertäre Wirkung des Pop in den Sechzigerjahren erinnert. Und doch greifen solche Vergleiche – erst recht wenn sie von Sex, Drugs & Rock’n’Roll kontaminiert sind – kaum. Letztlich prägte die Jugendproteste in Arabien keine anarchische, antibürgerliche Einstellung, sondern gerade die Forderung nach Einschluss. Einer Teilhabe, wie sie Internet und neue Medien bereits virtuell etabliert hatten. So waren die Helden dieser Revolution an westlichen Kommunikationsmodellen geschulte Akademiker, wie der 31-jährige ägyptische Google-Projektleiter Wael Ghonim, der ebenso alte ägyptische Ingenieur und Facebook-Aktivist Ahmed Maher oder der 22-jährige Pharmaziestudent Hamada Ben-Amor aus der tunesischen Hafenstadt Sfax, der als „El Général“ die Protesthymne der arabischen Jugendrevolution geschrieben hat. In dem Rap „Rais Lebled“ (Der Chef meines Landes) fasste El Général Dinge in Worte, die Millionen nicht zu sagen wagten: „Herr Präsident, Ihr Volk stirbt.“ Worte, die später auch die Demonstranten in Ägypten, Algerien, Bahrain, Libyen, Syrien und Marokko skandierten.

Durch Rap-Songs wie „Rais Lebled“ und eine Flut von Revolutionshymnen (in der Tat gibt es kaum noch einen ägyptischen Rapper ohne entsprechenden Gesinnungsausweis) hat die HipHop-Subkultur Arabiens nun auch in Europa und den USA erstmals Beachtung gefunden. Den Standards westlicher Produktionen mag sie hinterherhinken: Doch kommt es hier nicht so sehr auf Hipness an. Sondern vor allem auf Direktheit. Stellte doch HipHop lange das einzige Sprachrohr derjenigen dar, die von autokratischen Regimes lediglich als zu bändigendes Unruhe-Potenzial gesehen wurden. „Wir Jugendlichen“, erinnert sich Raqib Al-Nassery, „wurden ständig von der Polizei durchsucht und verscheucht, wo immer wir waren. Sie behandelten uns wie den letzten Dreck. HipHop-Konzerte waren früher die einzige Möglichkeit, laut die Wahrheit über die Zustände auszusprechen.“ Wie so viele arabische Rapper hat der Sohn eines Handels-Offiziers sich die Haltung von Tupac zum Vorbild genommen: Gangster-Attitüde trifft auf gesellschaftliche Mission. Inzwischen hat eine französische Plattenfirma Raqib unter Vertrag genommen. Général Lebled stellt gerade mit Hilfe des tunesischen Kulturministeriums sein erstes Album fertig. Und Rapper von Beirut bis Bengasi hoffen, dass der Arabische Frühling ihnen nicht nur bessere Regierungen, sondern auch den langersehnten Anschluss an die HipHop-Internationale beschert.