Kolibri auf Kuschelkurs


Mark Oliver Everett alias E, der Sänger der Eels, versucht es mal ohne Zynismus und zwitschert auf dem dritten Album innerhalb eines Jahres in allerbester Laune über die schönen Dinge in der Welt.

Aufregung in London: Durch den Kensington Garden schleicht eine auffällige Person um die Büsche. Gebeugte Haltung, das zerfranste Basecap tief ins Gesicht gezogen, die Sonnenbrille provisorisch schief über der eigentlichen Sehhilfe, die rechte Hand im langen zerzausten Bart vergraben. Gefahr im Verzug? Das kann sich doch nur um einen islamistischen Bombenleger handeln, der einen geeigneten Platz sucht, um so viele Menschen wie möglich ins Verderben zu reißen. Die Polizei ist schnell alarmiert, das verdächtige Subjekt umgehend dingfest gemacht. Der angebliche Bombenleger hat Mühe zu erklären, dass er eigentlich nur ein harmloser amerikanischer Rockpoet ist, der keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Doch Mark Oliver Everett alias E, Mastermind der Eels, hat sich in der menschlichen Gemeinschaft noch nie besonders gut zurecht gefunden.

Dabei lässt sein neues Album Tomorrow Morning den Schluss zu, er habe mit der Welt seinen Frieden gemacht. Die dritte CD innerhalb eines Jahres klingt so freundlich, positiv und entspannt, dass der alte Griesgram seinen ganzen Frust auf sich und die Welt abgeschüttelt zu haben scheint. „Man wird eben älter“, erklärt er diese erstaunliche Wandlung wenige Stunden nach besagtem Vorfall im nahe gelegenen Royal Garden Hotel, während sein Blick aus dem Fenster über das Grün des Parks schweift. Die Landschaften seiner Songs erinnern an das bunte, fröhliche Gewimmel auf dieser riesigen grünen Fläche mit ihren großen, blauen Flecken, die in der Sommerhitze Erfrischung verheißen. Diese Musik hat ihren ganzen Existenzialismus und Zynismus abgelegt. „Wenn man im Leben Glück hat, kommt irgendwann dieser Tag, an dem man zurückschaut und beschließt, die guten Seiten zu genießen.“

Eine solche Auskunft wäre vor wenigen Monaten noch undenkbar gewesen von einem Künstler, der auf gutem Weg war, als Kafka des 21. Jahrhunderts in die Geschichte einzugehen. Doch in seinen neuen Songs schlüpft E in die Rolle eines Kolibris, der mit großen Augen und langem spitzen Schnabel die große bunte Welt in ihrer blumigen Süße bestaunt. „All diese schönen Dinge waren sicher schon immer da“, pfeift E durch die Nase in seinen Bart. „Es bedarf nur einer bewussten Entscheidung, sie auch zu mögen. Du hast in jeder Situation eine Wahl, kannst dich für oder gegen dieselbe Sache entscheiden. Ich halte es für richtig, sich für die Dinge zu entscheiden, wann immer es möglich ist.“ Sagt er und blickt wieder aus dem Fenster, als würde dort unten nicht die grausige Wirklichkeit lauern, die den armen kleinen Kolibri gleich wieder einfangen und in den dunklen Käfig seiner Alpträume sperren will.

Das Vogel-Motiv tauchte auf seinen Alben immer wieder mal auf. Angeblich hat sich schon seine Mutter ausgiebig mit der faszinierenden Flatterwelt beschäftigt und den kleinen Mark Oliver in ihre Interessen eingebunden. Aber nie trat es so deutlich zutage wie auf dem aktuellen Album. „Als ich auf der Veranda saß und über das Album nachdachte, erschien mir plötzlich ein Kolibri. Das war genau der Moment, in dem ich ihn brauchte. Für mich war das ein Zeichen.“

E liebt das Zwitschern von Vögeln, denn es symbolisiert für ihn das Leben. Das ganze Album ist voll von verstecktem Gezwitscher. Am Ende der CD feiert der frisch gebackene Bonvivant selbst die Mysterien des Lebens. „Ich staune über die Vielfalt unserer Existenz. In einer Welt, die immer religiöser wird, bezeichne ich mich als Ungläubigen. Doch es gibt immer wieder Herausforderungen des Lebens, die meinen Unglauben brechen.“ Bleibt die Frage, wie viel wir von Es neuer Lebensfreude glauben dürfen. Ist da nicht doch noch ein Rest von unterschwelligem Zynismus? „Nein, diesmal könnt ihr mir wirklich glauben. Ich liebe das Leben.“ Der letzte Satz hallt nur noch durch die angelehnte Tür, denn der Kolibri E flattert schon wieder runter in den Park.

Albumkritik S. 96

www.eelstheband.com