Klaus Lage
Ein Volk, ein Lage: Seit neun LPs zeigt der Bär aus Berlin, wie man deutsch und doch nicht doof sein kann. Mit ME/Sounds-Redakteur Peter Wagner teilte er sich eine dicke Schweinshaxe und ließ dabei den Klaus raus.
Manche Männer nennen ihr kleines (oder größeres) Geheimnis „Willy“ oder Johannes“, bei Lage heißt es einfach „Klaus“. Und der Klaus im Lage hat — obschon die Schallmauer der 40 Jahre knapp überschritten ist — auch heute noch die Accessoires, die die Rock-Nation in Lage-Lieber und Lage-Hasser spaltet: gepflegter Bierbauch. Brille auf der dicken Nase und zur Begrüßung ein Händedruck, wie er von einem Baggerfahrer nicht herzhafter kommen könnte. Klaus Läse ist mit der Tournee zu seinem aktuellen Album LIEBEN UND LÜGEN in München angekommen und wir vergeuden den Abend so. wie tausende Klause und Peters diesen Mittwochabend vergeuden – wir verschütten unser Pils bei Augenthalers Eigentor gegen Belgrad und verschlucken anschließend ein halbes Schwein beim traditionsreichen „Haxnbauer“. Drei Stunden später ist die Welt nicht mehr so einfach: Ausgerechnet der Schnösel-Ober in Münchens Yuppie-Falle „Nachtcafe“ bittet Klaus um eine Autogrammkarte.
Auch wenn so mancher Rock-Purist bei der „Dampfwalze mit dem Teddybär-Charme“ blaß wird vor Ekel, dieser Mann hat nach nunmehr neun Alben genau das geschafft, was unser Kohl-Kanzler nie vergönnt sein wird: Er ist der Lage aller Deutschen geworden. Noch nicht einmal Global-Kritik der Intelligenzia stört ihn mehr, schließlich hat er ja auch studiert: „Was den Intellektuellen fehlt, ist das Bekenntnis zur Trivialität und deren gesellschaftlichen Stellenwert — da geht es um Unterhaltung. Neulich in einem Konzert standen in der dritten Reihe Tochter. Vater und Großmutter — das ist ein echtes Erfolgserlebnis far mich. Klar, daß sowas ein gefimdenes Fressen für die Musikkritiker ist.“
Klar auch, daß sich die Zeiten andern. Heutzutage bestellen wir vorsichtshalber nur eine halbe Grill-Haxe, gleichzeitig sinniert Herbert Grönemeyer darüber, ob er weiterhin mit dem blauen Kat-Golf vorfahren soll. Klaus hat früher „auch nie ein Glas stehen oder eine Kippe liegen lassen“, mittlerweile lenkt er ein Auto mit Stern vornedrauf. Fast ohne Ideologie-Frust: „Naja, als mein neuer 300er im Tempodrom angeliefert wurde, stand er da so z wischen den Wohnwagen und glänzte. Da hatte ich schon ein komisches Geftihl. “ Und das, obwohl er doch das halbe Tour-Jahr in der Kiste wohnt, die im übrigen auch nur ein fünftüriger Gemüse-Daimler ist „Aber ich bin doch mit genau diesem Feindbild großgeworden“, erinnert er sich und lutscht am letzten Knödel-Bissen, „40 Jahre alt, ein großes Auto und keine Schulden am Buckel — das war damals unvorstellbar. Das muß man erst mal verarbeiten, ohne vorsieh selbst als Arschloch dazustehen. „
Als der Osten noch rot und die Hoffnung noch grün war, konnte sich auch kein linker Mensch vorstellen, eines Tages mit einem SPD-Kanzlerkandidaten befreundet zu sein. Doch Lafontaine und Lage haben tatsächlich eine existentielle gemeinsame Basis — beide ziehen ihr Ding durch, egal, ob sie damit den ganz großen Erfolg verpatzen. Das kleine Glück muß ja auch nicht stinken: „Nach meinem Konzert in Saarbriicken haben wir uns in der Hotelbar einen auf die Lampe gegossen. Der Oskar weiß auch, daß es ein Super-Job ist, Ministerpräsident im Saarland zu sein. Ist doch irre: Die Leute lieben ihn, er kann was bewegen, Frankreich ist in der Nähe — als Kanzler wäre sein Privatleben am Arsch.“
Und den Arsch kriegt Lage auch mit 41 noch hoch — ungebrochene Kraft auf der Bühne (im Herbst wird die Tour fortgesetzt), eine ausgereifte und von Stuart Epps (Chris Rea/Elton John) hochklassig produzierte LP, ein ungebrochen kreatives Feuer — und das, obwohl er sein Geld-Schärflein längst eingefahren hat. „Ich habe eine Wohnung, ein Haus, ein schönes Auto, keine Schulden. Was soll ich mit einer Burg oder einer Yacht?“ Klaus ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Letzter Versuch: Was macht er, wenn eines Tages seine Tochter (14) mit einem netten jungen Mann im Boss-Anzug und Golf-Cabrio ankommt? „Dem würde ich die Luft aus dem Reifen lassen. Und wenn er es dann schafft, selber den Reifen zu wechseln, würde ich sie im Grüne fahren lassen.“