Kino im Kopf
Sein Oscar liegt im Keller. Und auch mit ande- ren Segnungen der Unterhaltungsindustrie hat Soundtrack-Koryphäe Vangelis wenig am Hut.
Nein, Teil der Industrie sei er nun wirklich nicht. Wie denn auch?
„Wann gebe ich schon mal ein Interview‘.‘ Oder wann war ich je in Deutschland, um Promotion fiir eine Plane zu machen?“ Vangelis Papathanassiou (49) stellt nicht nur die Frage, sondern liefert auch gleich die Antwort mit: „Noch nie!“
Seine Platten verkaufen sich trotzdem. Ob nun millionenfach wie beim Oscar-gekrönten Soundtrack zu „Chariots Of Fire“ („Die Stunde des Siegers“) oder über die Jahre hinweg als immer wieder verlangte Katalog-Ware. Warum das so ist. steht für den kosmopolitischen Soundtüftler griechischer Herkunft außer Frage: Jede Musik steht für sich seihst, auch die meine. Und sie wird nicht dadurch besser, daß man sie den Leinen durch aufwendige Werbekampagnen aufzuzwingen versucht.“
Was freilich im Falle Vangelis auch kaum erforderlich ist. Das Medium, das dafür sorgt, seine Platten an den Mann zu bringen, ist der Film. Mit Soundtracks wie „Blade Runner, „The Boumy“. dem bereits erwähnten „Chariots Of Fire“ oder jüngst „1492-Die Eroberung des Paradieses“ zählt der medienscheue Tonsetzer zu den ganz Großen der Filmmusik. Da darf man es sich auch schon mal leisten, ein lukratives Angebot aus Hollywood einfach auszuschlagen. Nicht etwa, weil man als Herr der Kinoklänge mal keinen Bock auf bunte Bilder hat — „ich beschäftige mich sowieso den ganzen Tag mit Musik. seit ich sechs Jahre ah war“ —. sondern viel mehr, weil die meisten Kinokunstschaffenden in seinen Augen auf den Ohren sitzen: „Die meisten Regisseure sind taub“, konstatiert Vangelis. läßt seinen Busenfreund Ridley Scott („Blade Runner ..1442“) bei diesem Rundumschlag aber ausdrücklich außen vor.
Nicht jedoch die Musikindtistrie.
„Ich habe Platten aufgenommen, bei denen im Laden niemand wußte, in welchem Regal man die Dinger unterbringen sollte. Platten, die sich folglich auch nur in müßigen Stückzahlen verkauften. Einige Zeit spater redete dann alles von ,ew Age‘ — und ein neuer, umsatzstarker Markt war geboren.“ Resigniert streichelt Vangelis das Oberhaupt der Pantherfamilie aus Stoff, die in seinem Pariser Studio die weiße Ledergarnitur bevölkert:
„Gib einem Sound einen Samen, und er wird sich verkaufen.“
Darf solches jemand sagen, der seinen offensichtlichen Wohlstand einzig und allein der Musik und den dazugehörigen Marktmechanismen zu verdanken hat? Für Vangelis kein Problem. „Musik“, sagt der Meister. „ist ein Teil der Schöpfung. “ Er selbst begreift sich dabei lediglich als Katalysator, der die naturgegebenen Töne in eine Form gießt.
Das tat er bekanntlich schon in den 60er Jahren mit „Aphrodite’s Child“ — mit jener Band aus Griechenland, die mit Schmachtfetzen wie „It’s Five O’Clock“ oder „Rain And Tears“ Welterfolge feierte. Das machte er mit Jon Anderson von Yes („eine Band, der ich nie angehören wollte“).
und das tut er auch heute noch — für aufwendige Filmproduktionen wie „1492“ (Columbus) mit Gerard Depardieu, fürs Fernsehen und — wie der vollschlanke Grieche mit dem sorgfältig zusammengebundenen Haupthaar ohne Umschweife zugibt — auch für sich selbst.
Monsieur Vangelis residiert in Paris an der vornehmen Rue Charles de Gaulle, also unweit des Triumphbogens, in einer Villa aus Frankreichs Belle Epoque. Das Dach, unter dem der streng Astrologie-gläubige Star an Dutzenden von Keyboards seinen kosmischen Eingebungen folgt, ist eine aufwendige Glaskonstruktion — ein nachträglich installierter Turm auf der Spitze eines altehrwürdigen Hauses. Braucht man ein vollklimatisiertes Treibhaus unlerm Firmament, um Herr seiner musikalischen Triebe weiden zu können? „Es hilft“, sagt Vangelis,“.meine .1 lusik im Linklang mit der Salur zu machen. Ein gewisses Maß an Komfort kommt der kreativen Arbeit natürlich mir zugute.“
Über den restlichen Luxus im Haus dürfen sich Vangelis‘ dienstbare Geister freuen. „Was immer ich mache, tue ich ja nicht mir fiir mich selbst, sondern auch fiir jene Leine, die mich ständig umgeben.“
Hilfreiche Hände nehmen dem entrückten Ton-Architekten denn auch tatsächlich einiges ab. Bisweilen, .so mochte es scheinen, sogar den Kontakt zur tosenden Pariser Außenwelt: In welche Richtung der Reisende gehen muß. um vom Glashaus aus die nächste Metrostation zu erreichen, kann der musikalische Herr über Hollywood jedenfalls nicht erklären — dabei beträgt die Distanz doch gerade mal 300 Meter.