King Kong
Der Boss am Bass
Neben all den Schonungen, die sich ständig zwischen die Beine fassen, und den talentlosen Tussis, die die Songs alter Knacker trällern, wirken Level 42 wie eine vom Aussterben bedrohte Tier-Art: eine Band, die es lediglich durch ihre Musikalität zu Mega-Platin gebracht hat.
Es gibt noch ein paar andere, genauso musikalische -— It Bites. Allan Holdsworth, die Liste ist lang -— aber keiner ist auch nur annähernd so erfolgreich. Level 42s letztes Album warf fünf Hit-Singles ab, bekam mehrfach Platin und bescherte der Band eine 13monatige, ausverkaufte Tournee (plus einige Auftritte in exotischen Ländern, als Vorprogramm für Madonna und Tina Turner).
Die meisten Karriere-Parallelen findet man vermutlich zu den Dire Straits:
Bei beiden guckte man einmal hin und dachte „nette Band“. guckte nochmal hin. Und da füllten sie schon Riesen-Arenen (letztes Jahr verkauften sie achtmal die Wembley-Arena aus, was ansonsten allenfalls Superstars wie Prince oder Bruce Springsteen gelingt).
Wenn eine Band von der Isle Of Wight kommt, einem mittelalten, mittelklassigen und mittelattraktiven Touristenort vor der englischen Küste, und wenn sie noch dazu einen singenden Bassisten hat, der John McLaughlin für Gott hält und aussieht wie Stings Bruder nach einer üblen Schlägerei, dann ist sie nicht bloß ziemlich schwer zu vermarkten und unmöglich zu hypen, sondern auch kaum zu kategorisieren. Das beste, was mir einfällt, ist Die Genesis des Jazz. Die Dire Straits des Funk, auf jeden Fall aber Die offizielle Soul Band für Yuppies.
„Ich verstehe schon, warum du uns irgendwie festnageln und versuchen mußt, den Leuten zu beschreiben, was zum Teufel wir eigentlich machen“, nickt Mark King, „aber ich weiß es selber nicht. Ich halte uns ganz einfach für eine Pop-Gruppe. Früher habe ich nicht so gedacht …“ -— schließlich haben sie in schwarzen Musikzeitungen immer wieder Polls als beste Funk- oder beste Blues- und Soul-Gruppe gewonnen —- „… aber seit den letzten drei Alben sehe ich das so. Wir sind weiter Jazz noch Rock, wir sind halt Pop.“
Einfach Pop? Yuppie-Pop?
„Irgendwer hat mal gesagt: Wenn Loadsamoney (eine Figur im britischen Fernsehen, der ultimative, flachköpfig-geldgeile Yuppie) eine Cassette in seinen Recorder schieben würde, dann wäre es wahrscheinlich eine von Level 42 – — und das kann schon hinkommen“, gibt Mark zu. „Mehr kann ich dazu auch nicht sagen. Ich kann nur die Musik machen.“
Und das fällt ihm leicht: „Da bin ich ziemlich sensibel, aber nachdem es in diesem Business von Volltrotteln nur so wimmelt, ist diese Sensibilität wohl auch dringend notwendig. Vielleicht sollte ich es mir dem Songschreiben noch etwas genauer nehmen -— ich will jetzt nicht so tun, als sei mir das bisher wurscht gewesen, aber Platten zu machen ist mir noch nie schwergefallen.
Die einzige Schwierigkeit ist, daß Routine leicht zu Nachlässigkeit verführt, insofern als man immer wieder mit denselben Gesichtern zusammenarbeitet, und jeder weiß, welche Rolle von ihm erwartet wird und was jeder machen wird.
Deshalb hat mir die Arbeit an der neuen Platte auch so gut gefallen: weil es mit zwei neuen Bandmitgliedern wieder ganz von vorn losgeht, weil eine unbekannte Komponente hinzukommt. Das war alles ziemlich neu und frisch, und ich hoffe das hört man auch auf der Platte.“
STARING AT THE SUN ist das neunte Album von Level 42 und das erste ohne die Gitarre- und Schlagzeug-Brüder Boon und Phil Gould. Phil hatte schon seit 1985 davon gesprochen, die Gruppe zu verlassen, deshalb war sein Ausstieg keine Überraschung, aber „daß Boon auch geht, war ein echter Schock. Wir waren gerade erst mit Madonna aufgetreten und wurden so richtig erfolgreich, als es dem armen Kerl einfach absolut zuviel wurde.“
Mark selbst findet anderthalbjährige Tourneen nicht weiter problematisch: „Ich habe immer ein bißchen ein schlechtes Gewissen, wenn Leute erzählen, wie mörderisch sie Tourneen finden. Dann muß ich jedesmal an die Bauern auf der Isle Of Wight denken, und wie hart die arbeiten müssen. Die stehen jeden Morgen und halb fünf auf, und das letzte Melken ist um Mitternacht.
Das Härteste an den Tourneen ist die Zeit, die man zur eigenen Verfügung hat, mit der man aber nichts anfangen kann, weil man unterwegs ist. Wirklich schlimm ist die Langeweile, auch wenn sie zum Normalzustand wird.
Für Boon stand irgendwann fest, daß er überhaupt nicht mehr auf Tournee gehen wollte -— er stieg aus. und Phil ging mit ihm. Das ist zwar traurig“, meint Mark, der die beiden seit 15 Jahren kennt, „aber Boon schreibt nach wie vor Texte für uns, und ich hoffe, daß er jetzt auch mal für andere schreiben wird: für Leute, die besser singen können als ich. Das ist keine falsche Bescheidenheit, ich stehe nicht besonders auf meine Stimme.“
Für sein Baß-Spiel findet er schon etwas freundlicher Worte. Den perkussiven Stil mit bandagiertem Daumen hat er aus frühen Schlagzeugübungen entwickelt („mit neun wollte ich der beste Schlagzeuger der Welt werden; ich war ein ziemlich anmaßender Balg“).
Das Baß-Spielen brachte er sich selber bei, nachdem er bereits behauptet hatte es zu können, um damit einen Job im Gitarrenladen zu kriegen -— eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren Anstellungen als Milchmann und am Fließband einer Feuerzeug-Fabrik {„der langweiligste Job der Welt und einer der Gründe, warum ich Musiker werden wollte“).
Erst hinterher merkte er, daß Bassisten -— von Jack Bruce und Paul McCartney mal abgesehen -— gewöhnlich die langweiligsten Band-Mitglieder sind: die, an deren Namen sich keiner erinnern kann, „aber das sieht inzwischen reichlich anders aus, oder? Bassisten stehen immer häufiger im Vordergrund. Nimm Sting. Viel berühmter kann man nicht werden.“
Ist Mark King Sting-Fan?
„Nein, bin ich nicht. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er hat irgendwas, was ich nicht mag. Ich glaube, ich würde ihn nicht mögen, wenn ich ihn treffen würde.“
Und das beeinflußt auch seine Einstellung zu Stings Musik?
„Klar, weil ich ihm von vornherein weniger Chancen gebe. Um Musik zu mögen, will ich auch die Leute mögen, die sie machen. Darum ist es auch so schrecklich, seinen Idolen zu begegnen, weil sie samt und sonders die Füße am Boden haben und nicht schweben, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich habe ziemlich viele meine Idole kennengelernt, auch meinen Gott McLaughlin, ich bin echt bedient.“
Die Ähnlichkeit zwischen dem Titel des neuen Level 42-Albums und Stings sei rein zufällig, versichert er mir. „Das hat was mit Tagträumen zu tun, eine Sammlung von Einfällen und Geschichten —- und so ist auch das Album: eine Sammlung sehr unterschiedlicher Songs. Wir hatten nie ein bestimmtes Rezept — wahrscheinlich, weil wir nie etwas gemacht haben, was so gut war, daß wir es immer wieder kopieren wollten —, und ich fand, daß die Rätselhaftigkeit des Titels gut zu unserer Musik paßt.“
Das Album wurde im irischen Dublin geschrieben, in Frankreich aufgenommen, und die Videos haben Level 42 in New Orleans mit dem angesagten Regisseur Steve Baron gedreht (der auch A-has gefeiertes „Take On Me“-Video gemacht hat, sowie Michael Jacksons „Billie Jean“ oder das preisgekrönte „Money For Nothing“ von den Dire Straits). „Ein Yuppie-Regisseur“, grinst Mark. „Er dreht bloß zwei Videos pro Jahr, darum fühlten wir uns ziemlich geehrt.“
Zum Dreh gehörte auch, daß die Band blau angemalt wurde, was bei fast 50° Celsius und 100% Luftfeuchtigkeit nicht unbedingt ein Vergnügen war („als ob man in einem Teekessel atmet“). Mit der blauen Farbe sollte ein spezieller, körniger Schwarzweiß-Effekt erzielt werden: „Das kam allerdings nicht so gut wie ich dachte“, erklärt Mark. „Ich möchte nur, daß alle wissen, was die blauen Schleier sollen und warum wir in einigen Einstellungen so aussehen, als wären wir blau angemalt: Wir SIND blau angemalt.“
Nach New Orleans wurden sie auch von einem Film-Team begleitet, das eine Dokumentation über die Band zusammenstellt. Das Rotterdamer, sowie einige skandinavische und amerikanische Konzerte der Welttournee, die im Oktober beginnt, werden ebenfalls mitgedreht, und herauskommen soll dabei so etwas ähnliches wie der demnächst zu erwartende U2-Film, „aber wahrscheinlich sieht unserer eher wie eine Parodie aufs Band-Leben aus, sowas wie ‚Spinal Tap‘ oder,The Ruttles‘.“
Er ließ sich bislang nur zu einem einzigen anderen Film-Auftritt überreden, und das ist schon einige Jahre her, in einem Thriller mit dem Titel ,The Fantasist‘, „über die Phantasie eines sexuell Perversen, der in Irland umging und Frauen umbrachte.“ Der Film selbst nahm ein unrühmliches Ende und King macht keinen Hehl daraus, daß er sich bei der Erinnerung schämt wie noch nie. „Ich bin heute einfach sprachlos. Wie um alles in der Welt haben wir uns bloß zu diesem Schmarrn überreden lassen. Glücklicherweise war der Film kommerziell eine Pleite, wenngleich ich zugebe, daß ich Alpträume habe, seit ich hörte, daß er jetzt auf Video erscheinen soll. „
Erstaunlich bleibt, daß King noch nicht, wie beinahe jeder, der zwei Noten lesen kann, aufgefordert wurde, Soundtracks für Kino-Filme zu schreiben, wenngleich ein neuer Level 42-Song, ,Gresham Blues‘, wie die reinste Filmmusik klingt.
„Ideen für Film-Musik hätte ich jede Menge, nichts leichter als das! Das besondere an diesem Song ist, daß er vom ersten bis zum letzten Ton durch das Gresham Hotel in Dublin inspiriert wurde, wo ich 2 Monate verbrachte, und einmal eine Woche lang niemanden sehen wollte, nicht einmal meinen Partner Mike.“
Nächstes Jahr erwartet Mark die ehrenvolle Aufgabe des musikalischen Leiters beim Konzert für Prince Charles‘ „Prince’s Trust“ und er hat jetzt schon vor, „die alten Fürze rauszuhauen und junge Musiker einzuspannen“. Mit solchen hat er zwar schon lang nicht mehr zusammengearbeitet —- keine Zeit— -, dafür taucht er mal wieder auf Midge Ures neuer LP auf, und vielleicht gibt’s auch ein weiteres Mark King-Soloalbum, schließlich gehört zu seinem Haus auch ein voll ausgerüstetes Aufnahme-Studio.
„Ich glaube, die Band tauchte einfach zur rechten Zeit am rechten Ort auf, erklärt er den Erfolg von Level 42. „Punk war gerade tot und die New Romantic-Welle ebbte ebenfalls wieder ab. Wir haben hart gearbeitet, aber auch viel Glück gehabt. Ich werde jetzt bald 30, aber ich möchte keinen Tag jünger sein. Und wenn ich’s doch wäre“, schließt er geheimnisvoll, „dann würde ich alles anders machen.“