Kid Creole
Ihre Bühnenshow ist an Kraft, Ideen und Farbenpracht kaum zu überbieten. Ihr Spektrum umfaßt mehr Stilformen als die Karibik Staaten hat. Kid Creole & The Cocnuts aus dem musikalischen Schmelztiegel New York waren zum ersten Mal in Deutschland.
Der erste Zusammenstoß mit August Darnell alias Kid Creole: 1980, mitten zwischen die rauchenden Ruinen von Punk und Paranoia platzt OFF THE COAST OF ME – eine tropische Fata Morgana in einem apokalyptischen Panoptikum.
Szenenwechsel: Malt euch eine Welt voller messerscharf gestylter Gaukler und Gigolos aus, lauter Cuba Libre schlürfende Cool Cats, die in schummrigen Cabarets Cha Cha Cha tanzen oder Bolero am Broadway oder Fandango im Central Park… Eine Welt, bei der das knallbunte Harlem der 40er Jahre Pate gestanden hat, illustriert mit Plüsch und Plastikpalmen, voller Comic Strip-Erotik und mit einem Hauch kitschig-schwüler Melancholie… Eine Welt ohne Gitarrenmassakrierende Choleriker (pardon, manchmal geht einem halt die Phantasie durch). Und, ach ja „ain’t worth a thing if it ain’t got the swing“ dazu ein kosmopolitischer Soundtrack aus pervertiertem Reggae und parodiertem Rumba, aus Samba, Salsa, Soca und verwässertem Jazz, aus bombastischem Soul wie zu Tamla-Blütezeiten und blechernem Swing aus der Bigband-Ära.
Dieses bizarre Amalgam ist die Welt von August Darnell, Jahrgang ’51, in Montreal geboren und in der Bronx aufgewachsen, graduierter Englischlehrer und Anfang 74 mit seinem Halbbruder Stony Browder Gründer von Dr. Blizzards Original Savanna Band.
Mit ihrem komödiantenhaften Latino-Funk erschien die Savanna Band tragischerweise ein glattes halbes Jahrzehnt von der Bildfläche. Sie produzierte drei sagenhaft gute Alben, die sagenhaft schlecht promotet wurden, vielleicht hat August selbst die beste Erklärung parat:,… l’m so confused/this Latin music’s got me/ so, so bemused/the accent’s worse than Cockney …“
Der zweite Zusammenstoß mit Kid Creole an einem brütend heißen Mai-Nachmittag in Köln. Diesmal gibt August einen manierlichen Rosenkavalier ab: cremefarbener Zoot, Panama-Hut, weinroter Schlips, schwarzweiße Knautschlack-Schuhe, Blüte im Knopfloch – eine großartige Mischung aus James Cagney und Cab Calloway, Glenn Miller und Graham Greene, mit dem hinterhältigen Charme, der Sinnlichkeit und Sentimentalität eines Hurnphrey Bogart in dessen tragikomischsten Augenblicken.
Wie oft hat August eigentlich ‚Casablanca‘ gesehen?
„141 Mal. Mein Vater hat mich drei- bis vier mal täglich ins Kino mitgeschleppt, später habe ich oft tagelang nichts anderes gemacht. Stony und ich hatten zahllose ‚cinematic love affairs‘, Bogart, Cagney, John Garfield, Patty Ramone … Eigentlich hat sich schon im Kino die Savanna Band herauskristallisiert. Wir wollten unseren eigenen Charaktere schaffen, ihnen Leben einhauchen, Rollen zuteilen, ihr Schicksal bestimmen, die ganze Mythologie von Hollywoods 30er Gangster-Klamotten wiedererwecken.
Klar, anfangs habe ich meine Idole schamlos imitiert, ihr Styling, ihr kühnes, herablassendes Benehmen, ihr Draufgängertum … dann kam der Moment, wo ich mit ihnen wetteiferte, mir einbildete, sie eingeholt zu haben … bis mir endlich klar wurde, daß hier Rollen gespielt wurden. Ich hoffe, jeder begreift, daß der zaudernde Casanova auf der Bühne von Kid Creole und nicht von August Darnell verkörpert wird.“
Aufgedonnert bis unter die Hutspitze, hattest du da nie Schwierigkeiten in deiner rauhen Umwelt?
„Kaum. Die Gang aus unserem Block hat mich in Ruhe gelassen, für die war ich’n reichlich suspekter Sonderling. Und in der Schule dachten viele wohl, ich würde mich tür was Besseres halten. Nein, mein Aufzug hat mich selten behelligt, dafür aber ein/ach die Tatsache, daß ich Halbblut, Mulatte, bin. Es gibt kaum gegensätzlichere Blöcke als Puertoricaner und Schwarze; Stony hatte sich die blödsinnige Idee in den Kopf gesetzt, dieses Mulatten-Credo bei der Savanna Band zum Aushängeschild zu machen, so eine ‚best of both worlds ‚-Haltung zu vertreten, als Gegenströmung zu Black Power und … na ja, Weiß-Amerika hat seit jeher seine Überlegenheits-Theorien…
Fallen dir Gründe ein, warum die Savanna Band und auch Kid Creole so haarsträubend inkompetent vermarktet wurden?
„Anfangs hielt ich Disco für ein geradezu ideales Sprungbrett“, meint August zögernd. „Desillusioniert war ich eigentlich erst in dem Augenblick, als unser zweites Album nicht los ging. Einzig deine Hautfarbe bestimmt in Amerika die Musik, die man von dir erwartet. Und da gilt für alle Farbigen nur eins: thump, thump, thump“ er hämmert rhythmisch auf den Tisch „und wer sich querstellt, Biegt raus. Hey Damell, hat mir die RCA gesagt, warum schreibst du bloß so’n ambitioniertes Zeug, wirerwarten ‚thesound of the crowd‘. Diese Leute sind es. die das riesengroße kreative Vakuum auf dem Gewissen haben, das US-typische Sicherheitsdenken die Sterilität …“
Warum hast du dich von der Savanna Band getrennt?
„Es war einfach notwendig. Stony entwickelte sich zu einem eigenbrötlerischen Egomanen. Tut mir aufrichtig leid um ihn, wir sind schließlich Brüder, derselbe Vater, verschiedene Mütter. .. Ich hab‘ dann zunächst Gichi Dans Beechwood No. 9 aufgezogen und im Februar ’80 mit meinen drei Balletteusen Kid Creole & The Coconuts.
Der dritte Zusammenstoß mit August Darnell: Diesmal in Bad Segeberg, zwischen den Kulissen des Karl May-Festspielgeländes. August hat soeben einen Auftritt beendet, ist blendender Laune und stellt mir Adriana, seine Frau, vor, die für die Staffage der Show mitverantwortlich ist.
Die drei Mädchen lassen ein regelrechtes Facelifting über sich ergehen – wiederzuerkennen ist danach keine mehr. Mal in Lurex und Lametta, Glitter und Goldstaub, mit hochtoupierten Haaren und feuerrot geschminkten Lippen, auf’s Gesicht geklebt wie der Mund einer Comic-Heldin, dann in Honululu-Baströckchen oder in Leoparden-Slips.
Woher stammt eigentlich die Idee, die Coconuts so herauszuputzen wie Tarzans Mätressen in alten Weissmüller-Filmen?
„Hahaha, genau daher eben, aus Tarzan und King Kong, der ganzen Hollywood-Dschungel-Szene“, amüsiert sich August.
„Wir machen doch bloß Spaß “ gluckst Adriana, „und wer unseren Act für sexistisch hält, dem ist nicht zu helfen.“
August: „Die Coconuts repräsentieren vielerlei. Man kann sie als Parodien auffassen, wie Adriana eben sagt, die den ganzen billigen Second Hand-Sex persiflieren, oder einfach als Kontrastpunkte zu dem zugeknöpften Macho-Typ, will sagen: Kid Creole und seiner rechten Hand, dem glatzköpfigen Gnom namens Andy ‚Sugar Coated‘ Hernandez, unserem Derwisch am Vibraphon, dem ‚James Dean of the Music Scene‘.
Kontraste sind überhaupt ein Stichwort: Khakifarbene Safarianzüge und Zoots, Tropenhelme und Sonnenhüte, haitianische Tänze und Tango … ein Schmelztiegel aus allen Farben und Rassen, Race Music, wenn du so willst …“
… und mittendrin Kid Creole, der Taktstock-schwingende Diktator …
„Hey, immer langsam. Es gibt zwar Leute, die das behaupten, aber einer muß bei 13 Personen doch das letzte Wort haben. Ich behaupte ja nicht, daß die Anderen nur Roboter sind, jeder steuert Ideen bei. Nimm z.B. Adriana, als gebürtige Schweizerin kam sie natürlich bei ‚Ulli Marleen’und ‚Schweinerei‘ zum Zug. Hey Darling, was waren deine Lieblingsschlager…?“
„‚Es gibt kein Bier auf Hawaii‘ und ‚Liebeskummer lohnt sich nicht’…!“
Aha. Bekommst du mit deiner Race Music alle ethnischen Gruppen unter ein Dach?
„Noch nicht“, meint August leicht betrübt. „Die Gesellschaft tendiert einfach dazu, die Unterschiede zwischen den Rassen und nicht die Gemeinsamkeiten herauszuheben. Es gibt schwarze Amerikaner, die Reggae als ‚Monkee Music‘ abtun …“
Ich fand mich also in einer Situation wieder, wo ich wußte, daß wir – Amerika und Kid Creole – zu einem Konsens kommen mußten. Wir brauchten eine Platte, die uns aus der Obskurität verhilft.
Ursprünglich war TROPICAL GANGSTERS als meine Solo-LP vorgesehen, Kid Creole sollte parallel dazu ein neues Album veröffentlichen -Amerika war dagegen. Glaub‘ mir, wir werden in Zukunft die Akzente wieder auf Reggae und Calypso verlagern, aber im Moment …In Amerika gibt es Bands, die trotz Gold-Alben nicht mal einen Anheizer-Spot bekommen – und hier kommt Kid Creole, ultrahip, ‚with a shitload of press‘, wöchentlichen Foto-Sessions und… keinem einzigen gottverdammten HIT!!!
Du warst Ende letzten Jahres für einige Wochen in England, um Funkapolitans Debüt zu produzieren. Was hältst du von dem hedonistischen Cocktail-Swing, von den Sonnyboys in Zoots, Fliegen., Strohhüten und Two Tone-Schuhen, von funkelnden Trompeten und funky Gitarren?
“ Wow! Sensationell! (Augusts Lieblingsvokabel). Dieser ‚joie de vivre‘ im Club for Heroes oder im Beat Route, einfach sensationell! Als ich das erste Mal im Club for Heroes stand, Boy, ich wünschte, Stony hätte das miterleben können … Obwohl“ – er halt einen Moment inne und lächelt „ich schaudere bei dem Gedanken, wenn ich mir all diese Bonvivants vorstelle, wie sie am nächsten Morgen wieder in ihre drögen Jeans steigen. Es muß Überzeugung dahinter stecken, ein ‚way of life‘ …“