Keith Richards: „“Manchmal muß ich kräftig auf den kräftig auf den Putz hauen!“


"Wenn du etwas über die Rolling Stones erfahren willst, solltest du mit Keith reden. Er verkörpert das Image der Stones mehr als jeder andere." Was Charlie Watts vor Jahren einmal bemerkte, gilt nach wie vor. Während Mick Jagger kontinuierlich in den New Yorker Jet-Set abzudriften scheint, ist Keith mit seinen fast 158 Jahren der klassische Stone (geblieben: mürrisch und verschlossen, unbeeindruckt von Geld und Glamour, stets am Rande des körperlichen Ruins. Ein Leben auf Messers Schneide. Anläßlich der neuen LP TATTOO YOU ein Interview mit der grauen Eminenz der Rolling Stones...

„Wenn du etwas über die Rolling Stones erfahren willst, solltest du mit Keith reden. Er verkörpert das Image der Stones mehr als jeder andere.“ Was Charlie Watts vor Jahren einmal bemerkte, gilt nach wie vor. Während Mick Jagger kontinuierlich in den New Yorker Jet-Set abzudriften scheint, ist Keith mit seinen fast 158 Jahren der klassische Stone (geblieben: mürrisch und verschlossen, unbeeindruckt von Geld und Glamour, stets am Rande des körperlichen Ruins. Ein Leben auf Messers Schneide. Anläßlich der neuen LP TATTOO YOU ein Interview mit der grauen Eminenz der Rolling Stones…

Sechs Monate wart ihr für die neue LP in Paris und Nassau im Studio, fast zwei Jahre sind seit Erscheinen von EMOTIONAL RESCUE vergangen. Vermutlich gibt es auch diesmal wieder Leute, die kopfschüttelnd fragen: „Warum zum Teufel brauchen die Stones bloß so lange?“

„In gewisser Weise haben sie völlig recht. Aber wenn man so reichlich Material hat wie wir, gibt es zwangsläufig Probleme. Wir haben so viele halbfertige Songs, daß sie uns schon aus den Ohren heraushängen. Man braucht eben auch Zeit, um neue Songideen wachsen zu lassen. Manchmal kann es Jahre dauern, bis ein Song den Weg von deinem Kopf auf’s Tape gefunden hat. Zuviel Material zu haben, ist fast genauso schlimm wie zuwenig. Es bedeutet, daß du alles durchhören mußt, was sich im Laufe von zwei Jahren angesammelt hat Daraus muß eine Vorauswahl getroffen werden, dann noch eine – und dann erst kannst du mit der eigentlichen Arbeit an den Tracks beginnen, die später auf’s Album sollen.“

Das klingt so, als würdet ihr doch mit ziemlich konkreten Vorstellungen ins Studio gehen.

„Nein, eigentlich nicht. Die Songs hängen zwar schon irgendwie in der Luft. In gewisser Weise ist man eben ein Medium, eine Antenne. Aber ich habe selten einen kompletten Song zur Hand, wenn die Aufnahmen beginnen. Wenn wir ins Studio gehen, glaubt der Rest der Band wahrscheinlich, ich hätte schon feste Vorstellungen. Aber ich fange einfach an und vertraue auf meine Intuition und die Ideen, die ich in der Vergangenheit gehabt habe.

Wenn ich anfange, sitzt Charlie halt hinter den Drums (du brauchst nicht mal zu fragen: ‚Wo ist Charlie?‘, er sitzt unweigerlich hinter seinem Schlagzeug) und steigt automatisch ein. Daraus entwickelt sich eine Idee, dann noch eine – und ehe der Rest der Gruppe es überhaupt merkt, habe ich meinen Song beisammen.

Die ursprüngliche Idee stammt also meist von mir, aber das Endresultat kommt dann von der Gruppe. Ich versuche eigentlich auch nicht Songs zu schreiben, sondern denke gleich in Sounds. Ich möchte Platten schreiben, nicht Songs.“

Man hört öfters von Gerüchten, daß es zwischen dir und Mick Differenzen gibt, da du einen rauheren, weniger ausgefeilten Sound bevorzugst „Nun, besonders Mick gegenüber werde ich manchmal schon ein bißchen grantig, vor allem wenn mir bewußt wird: ‚Mein Gott, wir wurschteln jetzt schon zwei Jahre an dem Ding, und wenn ich nicht kräftig auf den Putz haue, packen wir’s nie!‘ Aber so geht es mit jedem Album (lacht). Man kann nicht zwei Jahre im Studio rumhängen, ohne sich gelegentlich an den Kragen zu wollen.“

EMOTIONAL RESCUE, das letzte Resultat eurer Studio-Wehen, ist von den Kritikern ja nun nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen worden. Welche Reaktion erwartet ihr diesmal?

„Ich möchte zu diesem Thema nur ein Beispiel nennen: Der gleiche Kritiker, der EXILE ON MAIN STREET seinerzeit völlig niedergemacht hat, kam sechs Jahre später und behauptete, unsere neuen Alben kämen an EXILE bei weitem nicht heran! Wir tun nichts anderes, als was wir immer getan haben: eine Platte mit populärer Musik zu machen. Unpopuläre Musik ist für mich einfach nicht diskutabel. Ich mache lieber populäre Sachen und nehme dafür die zwei, drei Kritiker in Kauf, die uns deswegen in den Sack hauen.“

Nun behaupten ja besagte Kritiker, daß die Stones – verglichen mit den neuen Bands – etwas den Anschluß verpaßt hätten …

„Klar, die Kritiker haben nun mal ihre Steckenpferdchen. Aber für die meisten Hörer ist das Gros dieser Bands nichts als ein Furz. Vielleicht schaffen es einige von ihnen in der Zukunft, ich möchte ihnen auch wirklich nicht zu nahe treten. Es hängt eben viel davon ab, wo du lebst. Wenn wir in England geblieben wären, würden wir heute sicher ganz andere Musik machen. Man wird nun mal von seiner Umgebung beeinflußt.

Andererseits hat es auch musikalische Entwicklungen gegeben, die geographisch nicht gebunden sind Wir spielen beispielsweise Reggae seit über zehn Jahren – seit der Zeit also, als Reggae ab Musikform überhaupt entstand. In gewisser Weise sind wir dadurch in Kontakt geblieben zu den Dingen, die in England passierten. Reggae war – nachdem Disco die Soulmusik abgelöst hatte – für uns die einzig akzeptable Spielart schwarzer Musik. Reggae gab uns etwas, was wir bis dahin aus der farbigen Musik der USA gezogen hatten, ein natürlicher Ersatz.

Als wir uns aber für Reggae zu interessieren begannen, wollte kein Mensch etwas davon wissen, schon gar nicht die Rockmusiker, die mit dem Rhythmus nicht klar kamen. Inzwischen gibt es hierin England viele Kids, die auf der Straße mit dieser Musik groß geworden sind; es sind Jamaikaner herübergekommen, die ihre Musik mitgebracht haben. Die Stile haben sich vermischt und es kann passieren, daß ein Farbiger plötzlich den knallharten Rock spielt Und genau das bringt die Musik vorwärts. Wenn aber alles so geblieben wäre, wie es eine Handvoll Kritiker damals gewollt hätte, dann … Man sagt immer, das Publikum sei launenhaft, aber Kritiker sind es zehnmal mehr.“

Aber trifft es denn nicht zu, daß ihr in eurem amerikanischen Exil von wichtigen Entwicklungen abgeschnitten wurdet, die in Europa mittlerweile stattgefunden haben?

„Erinner dich bitte daran, wer uns abgeschnitten hat Wir sind nicht freiwillig gegangen, sie haben uns rausgeworfen. Zuerst haben sie uns wegen irgendwelcher Drogengeschichten einzulochen versucht und als das nicht mehr lief haben sie die finanzielle Daumenschraube angezogen. Sie haben uns soviel Steuern aufgeknallt, daß wir die Organisation in England beim besten Willen nicht mehr am Laufen halten konnten. Keiner ist freiwillig gegangen. Ich bin sicher, wir säßen alle noch in England wenn man uns nicht hinauskomplimentiert hätte.

Ich will mich hier gar nicht beklagen, ich habe mich an den Zustand des ewigen Unterwegs-Seins längst gewöhnt Es reicht mir schon, gelegentlich zurückzukommen. Jedenfalls ist mir das lieber, als mich nach Los Angeles abzusetzen und in dieser unwirklichen Umgebung vor mich hin zu vegetieren. Das Rod-Stewart-Syndrom.

Vielleicht wäre ich auch so geworden, wenn man mir früher nicht so oft die Nasein die Scheiße gesteckt hätte. Ich bin darüber nicht mal unglücklich, denn es hat mir den Kontakt zur Realität erhalten. Wenn ich Otto Normalverbraucher gewesen wäre, hätte ich vermutlich Drogen genommen, bis ich nicht mehr gekonnt hätte. Ich hätte in meinem Zimmer gesessen und keiner hätte etwas gemerkt. Aber als sie mich damals in Kanada haben hochgehen lassen, habe ich mir gedacht: Ich will nicht mehr wegen Dope eingelocht werden, ich will nicht diese ganze Scheiße noch einmal durchmachen. Mach Schluß mit dem Zeug.“

Macht man dir denn deswegen immer noch Ärger?

„Erstaunlicherweise nicht mehr. Es ist, als hätten sie gesagt: ‚OK, wir haben ihn einmal in die Mangel genommen, er hat seine Strafe gehabt, und solange er sich vernünftig benimmt, lassen wir ihn in Frieden. ‚ Was ich ja auch getan habe. Allerdings bestimmt nicht für die Obrigkeit sondern für die Stones, für mich selbst und die Kids vielleicht.“

Nun behaupten ja diese Obrigkeiten, daß du für die Kids gerade kein gutes Beispiel bist, was die harten Drogen betrifft.

„Wenn die Cops nicht in mein Haus eingebrochen wären, hätte niemand erfahren, was für ein Beispiel ich setze. Sie haben es publik gemacht, nicht ich! Ich hätte es ja noch verstanden, wenn ich rum gelaufen wäre und gesagt hätte: ‚Hier, nimm ’nen Sniff, setz dir ’nen Schuß, mach dir eine schöne Zeit‘ Nie habe ich das propagiert! Sie haben es getan -und ich mußte dafür zahlen. Klar, ich war ein Ziel, das sie gar nicht verfehlen konnten. Sie wußten ja, ich war auf Junk. Sie hätten jeden Tag kommen können! Und deswegen konnte es so nicht weitergehen. Ich sah plötzlich mehr Polizisten und Anwälte als sonst jemanden in meinem Leben.

Meiner Meinung nach gehören zur Kriminalität immer zwei Leute: der Kriminelle und der Polizist. Beide haben sie ein Interesse daran, daß alles so weitergeht. Denn anderenfalls hätten sie keine Arbeit mehr. Und deshalb warten die Cops auch nicht, bis etwas passiert – sie versuchen es zu provozieren.“

In der Stones-Biographie, die dein ehemaliger Leibwächter Tony Sanchez kürzlich veröffentlichte, kommst du ja auch nicht so gut weg …

„Oh nein … Grimms Märchen! Unglaublich! Als ich die Stelle von meinem angeblichen Blutaustausch las, hob ich nur gedacht: ‚Das darf doch nicht wahr sein!‘ Es ist unglaublich, wie viele Leute das für bare Münze genommen haben. Was passierte, war folgendes: Ich war in einer Klinik in der Schweiz, und Tony kam, um uns beim Umzug in ein neues Haus zu helfen. Erfragte mich, was ich in der Klinik denn treiben würde. Ich war gerade erst ein paar Tage da, war vorher komplett zusammengeklappt – und nachdem ich ein paar Tage Amok gelaufen war, kam ich langsam wieder auf den Boden zurück. Das Übliche. Und weil ich das nun Tony nicht in allen Einzelheiten erklären wollte, habe ich ihm gesagt: ‚Sie haben nur mein Blut ausgetauscht. Alles wieder sauber!‘ Und im Laufe der Jahre hat dieser Satz riesige Dimensionen angenommen: ‚Ach ja, der Typ mit dem Blutaustausch!‘ Niemand hat sich je darum bemüht, von mir eine Stellungnahme zu bekommen. Und ehe du dich versiehst, ist aus Dichtung Wahrheit geworden. Aber wahrscheinlich hätten sie ohne diese Schlagzeilen ihr Buch nicht verkaufen können.“

Vielleicht können wir noch einmal zu einem erfreulicheren Thema kommen – und zwar, was deine Zusammenarbeit mit jamaikanischen Musikern betrifft. Peter Tosh habt ihr auf euer Label geholt, mit Max Romeo hast du kürzlich eine Platte gemacht, auf einer Single von Black Uhuru bist du dabei…

„Ja, Shine Eye. Das war eine Session mit Sly und Robbie. Es war ursprünglich nur als backing track gedacht, bis ich plötzlich hörte, daß es als Black-Uhuru-Single erschien.

Das war einer der besten Entschlüsse, die ich je gefaßt habe. Ich habe mich fast ein Jahr lang in Jamaika aufgehalten. Wenn ich könnte, würde ich auch heute noch öfters hinfahren. Jedesmal wenn ich da bin, spiele ich mit einer Rasta-Band zusammen, die ich schon seit Jahren kenne. Nur Percussion und Gesang. Das hat mich immer auf Vordermann gebracht.“

Wie sieht es denn überhaupt mit Tourneen aus? Die letzte liegt ja schon einige Zeit zurück.

„Ich hatte gehofft, daß wir schon nach der letzten LP wieder touren würden. Aber dann haben wir uns doch entschlossen, erst einmal das neue Album in Ruhe durchzuziehen. Ich will unbedingt wieder auf Tour, denn abgesehen von den Studio Auf nahmen haben die Stones seit eineinhalb Jahren nicht mehr zusammengespielt! Je großer eine Band wird, desto größer wird auch die Organisation – und desto langfristiger muß man planen. Ich habe dagegen immer gekämpft, aber das ist ein aussichtsloser Kampf. Die erste LP haben wir beispielsweise in zehn Tagen gemacht und einige andere auch. Aber jetzt ist es eine ROLLING-STONES-LP – und du fühlst diesen Druck, daran immer weiter zu arbeiten und zu feilen. Obwohl rückblickend denkst du dir oft: Warum in Gottes Namen haben wir es nicht einfach rausgerotzt?“