Keith Richards
Spätestens mit der neuen LP Dirty Work ist er zur treibenden Kraft der Rolling Stones geworden. Er mag nicht der wortgewandte Taktiker wie Mick Jagger sein, doch eine Flasche Bourbon löst letztlich selbst die schwerste Zunge.
ME/SOUNDS: Nach zweijähriger Pause waren die Stones wieder im Studio. Und da Mick zuletzt vorwiegend mit seinem Solo-Album beschäftigt war, blieb die Knochenarbeit diesmal wohl hauptsächlich an dir hängen. Gibt’s da eigentlich noch neue Ideen, Entdeckungen, Inspirationen, wenn du im Studio arbeitest?
RICHARDS: „Überall auf der Welt sind Studios gleich. Wenn man einmal mit seiner Truppe drin ist, lebt man in der ‚Studiowelt‘. Ist ganz egal, ob’s in Australien ist, in Hong Kong oder Sibirien. Studio ist Studio. Wir selbst machen es zu einer Umgebung, in der wir uns wohlfühlen und arbeiten können. Jahrelang hab ich wie ein Zigeuner gelebt, folglich ist das Studio mein erstes Zuhause. Immer dasselbe: nachts, die Telefone läuten nicht, niemand ist da. Ich habe sicher mehr Zeit im Studio verbracht, als im Bett.“
ME/SOUNDS: Wenn sich alles dermaßen wiederholt: Was sind denn die Anstöße, die Auslöser, die Einflüsse, die eure Musik heute prägen?
RICHARDS: „Auch wenn es ein schreckliches Klischee ist: Die Stones sind und waren immer ein Spiegel der Gesellschaft. Aber in allen Klischees liegt immer auch ein Korn Wahrheit. Ich will mich darüber jetzt nicht lange auslassen, sondern nur sagen: Was wir tun, kommt auch auf uns zurück. Das kommt dabei heraus.“
ME/SOUNDS: Darf ich dir nach Micks Soloalbum – die obligatorische Frage stellt?
RICHARDS: „Ach, die? Die spukt nur in den Köpfen der anderen herum. Ich könnte eine ganze Geschenk-Box mit Soloalben zusammenstellen. Aber ich sehe nicht die Notwendigkeit. Da gibt es nichts auf Band, das ich um alles in der Welt veröffentlicht sehen möchte.
Wenn du es dir in den Kopf setzt: „Ich will jetzt ein Soloalbum machen‘ und auch den entsprechenden Deal machst, dann muß die Platte herauskommen. Du stehst unter zusätzlichem Druck von der Plattenfirma. Aber wenn nicht…“
ME/SOUNDS: Ich frage mich, wie Townshend es anscheinend so mühelos hinbekommen hat?
RICHARDS: „Ja, eigentlich hat Townshend bessere Who-Platten gemacht als die Who. Er tauchte normalerweise mit einem fertigen Album auf, und die anderen machten nur noch ein paar Overdubs – aber seine Arbeit war zehnmal besser als das fertige Album. Die haben einfach nur nachgespielt, was von ihm vorgelegt wurde. Bißchen wie bei Hitchcock: Nachdem Buch und Szenenpläne fertiggestellt waren, empfand Hitchcock das eigentliche Drehen des Films als lästig. Sein Ding war es, alles im Voraus auszutüfteln.
Und ich denke, irgendwie – ich weiß nicht, ob es stimmt, aber das ist zumindest meine Interpretation – ist Peter auch so. Er im die Who. Als Moonie noch lebte, waren er und Townshend die Who. Aber Pete wußte, was er haben wollte, und sorgte verdammt dafür, daß sie es auch taten. Ich glaube, allein hätte er es aber wohl noch hesser hinbekommen.
‚Trousers‘ ist ein wunderbarer Kerl. Als ich das letzte Mal mit ihm sprach, nannte ich ihn einen Schleimscheißer. Tut mir wirklich leid. Es war mitten auf unserer Europatournee ’82. Er hatte mir den Roadie Alan Rogan ausgeliehen, einen tollen Burschen, ein richtiges Gitarren-Genie. Und dann urplötzlich zog Pete ihn wieder ab. Deswegen hab ich ihn einen Schleimscheißer genannt. ‚Du hast mir versprochen, ich kann ihn haben, ich kann ihn für die ganze Tournee haben‘, sagte ich.
‚Nein, hab ich nicht!‘ ‚Ach, du alter Schleimscheißer.‘ Bang! Den Hörer aufgelegt. Seitdem hab ich nicht mehr mit Pete gesprochen. Also weiß ich nicht, was er jetzt so von mir hält.
Ich kenne Pete schon lange, aber viel Zeit haben wir nie miteinander verbracht. Er kannte Jimmy Page sehr gut, lange vor Zeppelin, als Jimmy noch in einer Band namens Presidents spielte.
Gitarristen sind für mich diejenigen Leute, mit denen am schwersten auszukommen ist. Da geht es immer um diesen ganzen Scheißberufskram. Eigentlich reichlich uncool. Ich meine, es gibt eine Million Gitarristen, eine Million verschiedene Gitarristen – und die Tatsache, daß gerade wir so groß rausgekommen sind … diese Burschen waren mindestens so gut wie ich! Eine Menge von ihnen war verdammt viel besser als ich, als Gitarristen. Ich meine, Jeff Beck und ich. wir konnten es jahrelang kaum ertragen, uns in die Augen zu schauen. Erst in den letzten paar Jahren hat sich das geändert. Gott sei Dank, daß es vorbei ist und wir beisammen sitzen können, um zu reden und einen zu trinken. Ihn bewundere ich. Großartiger Gitarrist.“
ME/SOUNDS: Da wir gerade von Leuten sprechen, die du bewunderst: Wie war es, als du 83 in einem Fernseh-Special mit deinem „all time favourit“ Jerry Lee Lewis aufgetreten bist?
RICHARDS: Jerry Lee, was für ein Gentleman! Ich höre seine Musik seit ‚Crazy Arms‘. Er gehört zu meiner Grundnahrung, wie Gemüse. Was für ein Gent! Aber als ich nach L.A. flog zu diesem Special, wen seh ich da auf einem Koffer sitzen und auf seinen Wagen warten? Chuck Berry! Das letzte Mal hatte ich ihn gesehen, als er mir im Ritz ein blaues Auge verpaßte. Ich vermute, er hatte mich nicht erkannt, als er zuschlug. Es war zu toll: Kurz nach der Keilerei spielte er mit Ronnie, und den hat er für mich gehalten und sich bei ihm entschuldigt! Schließlich sehen wir uns tatsächlich ähnlich.
Und dann sagt mir Chuck später: ‚Tut mir leid, ich wußte nicht, daß du es warst, dem ich eine gelangt habe – mir sind einfach die Nerven durchgegangen.‘ Wir reden so, während er auf seinen Wagen wartet, und dann gibt er mir seine Telefonnummer. Gleichzeitig zündet er sich aber eine Zigarette an und läßt sie mir vorne ins Hemd fallen. Hätte mir beinahe den Magen angebrannt! Mein Hemd steht in Flammen! Immer wenn wir beide uns begegnen, habe ich hinterher irgendwelche Blessuren. Aber ich denke, wenn schon einer es machen muß, dann bin ich froh, daß er es ist. Er war wirklich richtig rührend. Ich sagte nur: ‚Chuck, wenn ich einen Grund hätte, dir ein blaues Auge zu verpassen, täte ich es‘.“
ME/SOUNDS: Kommt es dir eigentlich nicht etwas seltsam vor, daß deine Idole jetzt gewisser maßen zu dir aufschauen, um ihre eigene Legende am Leben zu erhalten ?
RICHARDS: „Nein, es ist schön und ermutigend, daß sie noch immer spielen — und so gut spielen. Aber sie brauchen mich nicht mehr, als ich sie brauche. Ich meine, ich habe ihnen viel mehr zu verdanken als sie mir. Sie haben mich auf den Weg gebracht. Ich hab sie nicht dazu gebracht, zu tun, was sie tun; sie haben mich zu dem gebracht, was ich tue. Also steh ich in ihrer Schuld.
Und wenn diese Jungs mich einladen, mit ihnen zu spielen, dann ist das ein Kompliment, dann bin ich da wie der Blitz. Es gibt so viele phantastische Musiker!
Hoffentlich werden alle nächsten Generationen das fortführen. Musik hat mit Weitergeben zu tun. So war es von Anfang an: Du lernst von dem, der vor dir war. Und wenn du gut wirst, dann lernen wieder andere von dir.
Wie erfolgreich du wirst, ist eine Frage von Geschäft und Glück. Es hat überhaupt nichts mit Musik zu tun. Ob du deiner Mutter das Haus hinterläßt oder überhaupt etwas Materielles zu hinterlassen hast, ist eine ganz andere Sache – denn was du wirklich hinterläßt, das ist deine Musik. Ob du nun eine Million Platten verkaufst oder überhaupt gar keine machst – wenn jemand dich gehört hat und von dir auf den Weg gebracht wurde, dann hast du verdammt deine Aufgabe erfüllt. Der Rest ist Hype und Business. Darauf läuft es hinaus.“
ME/SOUNDS: Man konnte deutlich sehen, wieviel Spaß es dir gemacht hat, mit Jerry Lee zu jammen. Fühlst du dich immer noch wie ein kleiner Junge, wenn du mit jemand wie ihm spielst?
RICHARDS: Ja, genauso fühle ich mich. Wenn sie sich umdrehen und mir zuzwinkern, dann fühl ich mich wie ’n Lottogewinner. Und mehr braucht es auch nicht – ein wenig Ermutigung hat lang anhaltende Folgen.
Jerry Lee ist ein verdammt zäher Hund. Keiner von uns ist unsterblich, klar, aber wenn es einer schaffen könnte, dann er. Was hat der für Tragödien durchgemacht! Wieviel kann einem Menschen eigentlich zugemutet werden? Seit ich mit ihm in der Show aufgetreten bin. ist seine Frau gestorben. Es sind jetzt eine Handvoll, fünf abgehakt. Entschuldige, Jerry. Was für ein Gentleman!
Ebenso Muddy Waters. Echt tolle Burschen. Völlig egal, wie ihr Image war oder ist. Vorwiegend ist es rohe Kraft, Alles-Rauslassen. Irgendwie kann ich mich da auch einordnen. Die Leute erwarten von mir, daß ich den wilden Mann spiele. Und dasselbe Image gilt auch für Jerry Lee.
Er ist der Killer, stimmt’s? Aber wie alle Killer, was für ein Gent! Ebenso Muddy Waters. Und ebenso Chuck – solange er aufpaßt, wohin er schlägt – was für ein Gentleman!“
ME/SOUNDS: Inwieweit hängt es denn von der Persönlichkeit ab, ob jemand überlebt ?
RICHARDS: „Klar, es braucht ein gewisses Gleichgewicht zwischen deiner Persönlichkeit und deinem Ego und deiner physischen Konstitution. Woody ist so einer. Immer tough. Genauso Mick. Sie alle. Magere, kleine und zähe Köter. Nun, so mager auch eigentlich nicht mehr. Ich bin in erstaunlich guter Verfassung für den alten Mann des Rock’n’Roll‘.“
ME/SOUNDS: Welche menschlichen Veränderungen hast du bei den Stones miterlebt?
RICHARDS: „Ich hab sie verdammt alles durchmachen gesehen. Dasselbe sagen sie natürlich auch über mich. Zehn Jahre lang, oder mindestens fünf Jahre, war ich zweifellos das schwächste Glied der Kette. Ich hab das natürlich nicht so gesehen. Aber, rückblickend betrachtet, war ich wohl auch nicht in der Lage, das halbwegs objektiv zu beurteilen. Es liegt halt an der Faszination der Drogen. Wenn du drauf bist, ist alles cool. Und je mehr du nimmst, desto cooler ist es. Und um so notwendiger wird es, auch cool zu bleiben. Und nur im Rückblick kann man sagen: ‚Mann, der Junge ist auf Abwege geraten.‘ Entweder hab ich verdammt großes Glück oder ich bin – was ich mir liebend gern vormache – echt smart gewesen, daß es mir nicht gelungen ist. mich in jener Zeit über den Jordan zu bringen. Schließlich habe ich es damals in den Charts nur in der Kategorie .Wahrscheinlichster Kandidat für den Rock „n“ Roll-Himmel“ zum Spitzenplatz gebracht. Und den Platz hab ich dann einige Jahre gehalten. Es zählt zu meinen kleinen Freuden, daß ich auf der Liste nicht mehr stehe. Sid Vicious war da schneller als ich. Und viele andere mehr. Das ist nur ein weiterer Beweis dafür, wie falsch die Charts sein können.“
ME/SOUNDS: Nachdem du also all diese Klippen umschifft hast: Wie stehst du zu deinem Aller? Man weiß ja von Mick, daß er immer einiges durchmacht, wenn er Geburtstag feiert.
RICHARDS: „Das ist auch der Grund, warum ich mir das Lachen verkneife. Dabei ist er nur fünf Monate älter als ich. Ich kenne Mick, seit er vier Jahre alt war, seit wir in derselben Sandkiste herumhingen; 38 Jahre lang kenne ich diesen Burschen! Und offensichtlich muß Rock’n’Roll ein ziemlich gesundes Leben sein, wenn wir alle noch so gut dabei sind. Keiner von uns sieht aus wie ein 40jähriger höherer Angestellter. Sie sind alle noch verdammt gut in Form, stehen zwei Stunden lang auf der Bühne, mit wahrscheinlich mehr Energie als in den 70er Jahren. Und wenn Leute mich nach meinem Alter fragen … mir ist das nicht bewußt, außer vielleicht der Tatsache, daß die Jahre ein wenig schneller vergehen.“
ME/SOUNDS: Gibt es irgendwelche Gruppen, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest bzw. in der Vergangenheit gerne zusammengearbeitet hättest?
RICHARDS: „Ich hätte nichts dagegen gehabt, in der ursprünglichen Band von Elvis gewesen zu sein. Oder bei den Crickets oder den Blue Caps. Ich hätte mich auch damit anfreunden können, in der Band von Little Richard zu spielen; ich hätte liebend gern in den frühen 50er Jahren in Muddy Waters Band gespielt. Und auch in den 20er Jahren in der von Louis Armstrong. Ich meine, ich kann noch weiter zurückgreifen … Ja, ich wünschte, ich wünschte…“ (lacht)
ME/SOUNDS: Du hast Anleihen in Chicago gemacht, auf Jamaica undsoweiter … Was bringst du, ein weißer Junge aus Dartford, eigentlich in diesen Schmelztiegel zurück, musikalisch oder persönlich ?
RICHARDS: „Wir mußten schließlich hierher kommen, um den Amerikanern die Augen zu öffnen. Damals war in England letztlich nur wichtig, was in der amerikanischen Musik passierte, während die Kids hier nur am Radioknopf zu drehen brauchten. Wir mußten in 3000 Meilen Entfernung ein paar verirrte Töne aufschnappen und sie dann hierher zu den Leuten zurückbringen, damit es von neuem losging. Als wir hier auftauchten, hättet ihr den ganzen Scheiß schon zehnmal besser hören können, fünf Jahre bevor die Beatles oder wir eintrafen. Es war doch alles schon hier. Nun, das haben wir als weiße Jungs aus Dartford getan.“
ME/SOUNDS: Was liegt denn im Moment auf deinem Plattenteller?
RICHARDS: „Ich hab nicht mal einen. Moment, warte, das war eine Lüge. Ich hah eine großartige kleine Maschine, die heißt Dr. Disc. Du kannst sie in deinen Koffer stellen und ihn rundherum mit Socken ausstopfen.“
ME/SOUNDS: Ich wollte eigentlich nur erfahren, was du von einigen Sachen hältst, die momentan in Mode sind, sagen wir Techno-Pop.
RICHARDS: „Da hast du den Falschen erwischt, denn wenn ich eine Rolling Stones-Platte mache, hör ich mir nichts anderes an. Beim Frühstück, gegen 20 Uhr. wird während des Cornflakes-Gangs MTV eingeschaltet, so für zehn Minuten. Aber das dürfte wohl kaum Anhaltspunkte dafür bieten, was im Moment passiert. Mehr hab ich in letzter Zeit nicht mitbekommen.“
ME/SOUNDS: Sind dir denn irgendwelche grundlegenden Veränderungen aufgefallen?
RICHARDS: „Das einzige, was ich im vergangenen Jahr festgestellt habe, ist die Tatsache, daß es anscheinend weniger Synthesizer gibt als zuvor. Ich höre einfach mehr einfache Gitarrenklänge. Aber vielleicht schalte ich mich ja jeden Tag so ein, daß ich immer wieder dasselbe Zeug höre. Dennoch scheint mir, nach dem wenigen, was ich gehört habe, daß wieder mehr Wert auf normale Instrumentierung gelegt wird, besonders auf Gitarren. Manchmal hatte ich auch den Eindruck, daß es da draußen eine Menge Leute gibt, die wie die Byrds zu klingen versuchen.
Vor ein, zwei Jahren schien alles in einer Synthesizer-Grütze zu ertrinken. Ich meine, der Synthesizer ist von Natur aus ganz sicher kein Rock’n’Roll-Instrument. Man kann ihn einsetzen, aber man muß genau wissen wie. Ich vermute, da gibt es jetzt an dieser Front eine kleine Atempause, und dann kommt wieder eine neue Generation von Synthesizern, die einen ganz neuen Sound aus dem Boden stampfen werden.“
ME/SOUNDS: Um auf ein ganz anderes Thema zu kommen – ich hatte kürzlich das Vergnügen, deinen Vater kennenzulernen…
RICHARDS: „O Gott, die Legende!“ (lacht)
ME/SOUNDS: Was war es für ein Gefühl, ihn plötzlich wieder in deinem Leben zu haben, nachdem du ihn fast zwei Jahrzehnte nicht gesehen hattest?
RICHARDS: „Ich hatte solchen Schiß, ihn zu treffen, daß ich Ronnie (Wood) mitnahm. Ich war damals weggelaufen, weil ich es nicht mehr aushielt, im selben Haus zu wohnen. Es war Zeit für mich, aus dem gottverdammten Nest auszufliegen. Und bald danach trennte sich meine Mutter von meinem Vater, und man neigt dann dazu, sich um die Mutter zu kümmern. Später habe ich mich irgendwie daran gewöhnt, daß ich nicht in der Lage war oder geographisch nicht nahe genug, etwas zu verändern, ‚Oh, ich hab meinen Vater seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Ich hab ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, seit zehn Jahren nicht mehr, seit 15 Jahren.‘ Es hätte ewig so weitergehen können.
Inzwischen wissen wir einander wirklich zu schätzen. Alles, was wir aneinander vor 20 Jahren nicht ausstehen konnten, ist jetzt Schnee von gestern. Irgendwie hat er mir viele Einsichten vermittelt, warum ich so bin. wie ich bin. Er war bei jeder Aufnahmesession dabei, und als er weg war, fanden wir 42 Flaschen Bier unter seinem Bett, eine Notration.“
ME/SOUNDS: Wie steht’s mit deinem Sohn Marion? Ist es schwer, ihm Disziplin beizubringen, bei all dem Reichtum, von dem er umgeben ist ?
RICHARDS: „Er ist schon alt genug, um zu wissen, daß all der Reichtum vergänglich ist. Besonders, wenn er mit dem Gedanken leben muß, daß man seinen Alten vielleicht ins Gefängnis sperrt. Marion ist groß geworden in der typischen Showbusiness-Situation, gleichsam geboren zwischen zwei Konzerten. Während die wilde Meute draußen eine Party feiert, bringe ich zwischendurch Marion ins Bett. Selbst wenn auf einer Tournee die Hälfte der Stones mit den Groupies rumhurt – das war ihm völlig egal. Hauptsache, sein Alter oder seine Alte waren in der Nähe. Das ist das Wichtigste. Die Kids kümmert es nicht, an welchem Ort sie sind, was um sie herum vorgeht. Für ein Kind ist nur eine Frage wichtig: ‚Wo sind Mammi und Papi?'“
ME/SOUNDS: „Diesmal werden Patti und du euer Kind wohl in einer etwas solideren Umgebung aufwachsen lassen. Wird dir das Leben aus dem Koffer im Plaza Hotel nicht fehlen?
RICHARDS: „Das Plaza ist so groß, und wenn du einen oder zwei Tage lang das Telefon nicht abnimmst, kommen die Jungs von der Sicherheitstruppe und treten dir die Tür ein, um festzustellen, ob du vielleicht abgekratzt bist. Was dir auf die Nerven geht, wenn du mal drei Tage im Bett verbringen willst. Na, was denn? Ist doch nicht deren Angelegenheit.“
ME/SOUNDS: Wie stehst du heute zu Anita Pallenberg, der Mutter deiner beiden ersten Kinder?
RICHARDS: „Sehr gut. Sehr gut geht es ihr. Hat sich total umgekrempelt. Ich bin stolz auf sie. Patti und sie reden sogar miteinander. Und Anita strickt mir noch immer Pullover. Vielleicht deswegen, weil wir mit Ehe und Scheidung nie was zu tun gehabt haben. Uns haben die Anwälte nicht gezwungen, einander zu hassen. ‚Als Ihr Anwalt, Mrs. So-und-so. muß ich Ihnen raten, sound-so-viel aus dem Hundesohn rauszuquetschen.‘ ‚Und ich schlage vor, Mr. So-und-so, an einem anderen Ort geschieden zu werden, wo man Ihnen nicht soviel abknöpfen kann. ‚Dadurch wird man zu erbitterten Feinden. Jeder, der eine Scheidung übersteht und hinterher noch mit dem anderen redet, ist wie ein Wunder.“
ME/SOUNDS: Warum hast du dann deine Beziehung zu Patti legalisiert?
RICHARDS: „Weil es um mich heute geht, und um Patti, und eine andere Perspektive da ist. Anita und ich, in den 60er Jahren, hatten nicht das geringste Interesse an einer Heirat. Es schien altmodisch und dämlich, nur wegen eines Kindes zu heiraten. Aber das war damals, und es war Anita, und Anita und ich, Patti und ich haben eine andere Beziehung.
Und außerdem. Scheiße, ich probier eben alles aus. Aber wenn ich etwas ausprobiere wie die Ehe, dann nur einmal. Und wenn ich es einmal versuchen will, dann nur mit diesem Mädchen.“
ME/SOUNDS: Was hat Pattis Familie zu Anfang von dir gehalten?
RICHARDS: „Als ich das erste Mal zu ihren Eltern kam, war ich total weggetreten. Ich hatte tagelang nicht geschlafen, eine Menge getrunken – und ich dachte, ich mach echt auf sanft. Statt dessen hab ich Sachen kurz und klein geschlagen! Aber die standen drauf. Ich spielte verrückt, und sie waren nicht vor den Kopf gestoßen. Ich hätte mir alles verderben können, verstehst du, setzt keinen Fuß mehr in dieses Haus!‘ Ich war total von der Rolle. Nach all dieser Zeit hatte ich einen solchen Trip nie mehr mitgemacht, mich vorzustellen bei den Eltern eines Mädchens; also war es mir irgendwie wichtig. Ich wollte versuchen, es ganz cool zu bringen, aber statt dessen hab ich reichlich Porzellan zerschlagen. Aber sie mochten mich trotzdem. Das war das erste Anzeichen, daß ich mit dieser Familie klarkommen würde.“
ME/SOUNDS: Die alte Frage: „Würden Sie Ihre Tochter einen Rolline Stone heiraten lassen?“
RICHARDS: „Nach all den Jahren hängt einem das noch immer an. Das wird man nie wieder los. Ein bißchen albern wird es wohl erst, wenn man 60 oder 70 geworden ist.“