Kein Wiener


In Wien hat er seine Wurzeln, doch in der Metropole des Schmähs und Intrigen fühlt er sich inzwischen fehl am Platz. ME/Sounds besuchte Wolfgang Ambros auf Fuerteventura, wo er Abstand gewinnen will und sich auf seine anstehende Tournee vorbereitet. Fern der Heimat, durch das sommerliche Klima gelöst und gesprächig, ließ er seinem angestautem Ärger freien Lauf.

1985 war er ein Leisetreter. Es gab kein neues Album, lediglich eine Live-Single, die beim „Rock on the Rocks“-Open Air am Kitzsteinhorn aufgenommen wurde. Von Deutschland-Veröffentlichung keine Rede. Es gab keine Ambros-Tournee — nur ein paar Auftritte bei Festivals.

Zepter und Krone als Alleinregent der österreichischen Musikszene mußte der Kaiser abgeben; erstmals lagen Falco und Rainhard Fendrich in der Beliebtheitsskala vor dem „Wolferl nationale“. Seine Deutschland-Karriere war — – und das gibt Ambras offen zu -— an einem Tiefpunkt angelangt. Waren praktisch alle seine LPs seit der Bob Dylan-Verwienerung WIE IM SCHLAF 1978 knapp an den Goldstatus herangekommen, so kam mit dem LETZTEN TANZ 1983 der große Bruch. Nur mehr knapp 40000 verkaufte Alben, Tendenz weiter sinkend. Konzertsäle, die zum Teil nicht mehr kostendeckend gefüllt werden konnten, komplettierten nur das traurige Bild.

1986 soll ganz anders werden. Ein Jahr voll mit Ambros-Terminen. Ein Jahr mit einem neuen Album, einer neuen Tournee, mit einem Wolfgang Ambros, der im März 34 Jahre alt wird und das Leben samt seiner Freuden und Problemen um einiges ernster nimmt als in seinen Sturm und Drang-Zeiten.

Die Vorbereitungen zur Tournee begannen vier Wochen vor dem ersten Live-Termin. Zuerst mit einer lockeren Probenwoche, dann — ganz ohne Musikinstrumente — mit einem zweiwöchigen Ferienlager auf der Gran Canarischen Insel Fuerteventura.

Im südlichen Inselbereich, Jandia genannt, liegt der Club Aldiana.

Hier, im Bungalow 732, direkt an der Kante der rund 50 Meter hohen Klippe oberhalb des Strandes, sitzt Ambras nun bedächtig in der Abendsonne und widmet sich innigst dem Mario Puzo-Buch „Die Sizilianer'“.

Die Tage sind größtenteils dem Sport gewidmet, wobei der Lehrersohn aus Pressbaum einen an Selbstzerstörung grenzenden Ehrgeiz entwickeln kann. Guten Wind zum Surfen („A leiwander 5er oder 6er!“) gibt es diesmal leider selten — und so findet man den „Woifal“. wie ihn der Homo Austriacus gemeinhin zu nennen pflegt, hauptsächlich am Volleyballplatz oder mit einer Tauchgruppe in 10 Meter Tiefe.

Doch hier bleibt auch genug Zeit, um sich und seine Gedankenwelt wieder in Ordnung zu bringen, frei durchzuatmen. Ein Luxus, der dem Volkshelden in der Heimat nur mehr sehr selten gegönnt ist. Und unter südlicher Sonne lassen sich auch die vermeintlichen Wichtigkeiten viel leichter auf ihre tatsächliche Relevanz prüfen. Wie zum Beispiel das Problem Deutschland…

Er will’s in diesem Jahr wieder versuchen, germanische Breiten erfolgreich zu bereisen. Mit einer neuen Plattenfirma im Rücken, aber fast ohne TV-Auftritte oder sonstiger Promotionarbeit vorneweg. Der Grund für die an sich gefährliche Medien-Abstinenz: „Die Fernsehsendungen, in denen ich spielen könnt] die sind allein zum Zuschaun schon schlimm genug. Selber mitmachen würde jenseits der Schmerzgrenze liegen … und von den Herrschaften, die da zu entscheiden haben, trennt mich nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine emotionale Barriere!“

Und so wird der Mann, der die Wiener Stadthalle mit einem Fassungsvermögen von gut 11 000 Zuschauern dreimal hintereinander ausverkaufte, in der BRD mit einem abendlichen Salär von 1000 DM auskommen müssen. „Mir is des wurscht“, meint Ambras, „Ich spiel auch vor 300 Leut‘, wenn’s a leiwands Publikum is. Aber der Veranstalter sollt‘ halt net „draufzahlen müssen …“

Die vielbestaunte Neue Deutsche Welle einerseits und die verfehlte Werbepolitik andererseits, so Ambras, wären die Hauptgründe für seinen Abstieg gewesen. „Da war zum ersten einfach zu viel Neues auf dem Markt. Ich merk‘ das als Plattenkäufer ja auch an mir selber: Wennst einmal von irgend jemandem fünf oder sechs LPs hast, na dann kaufst dir halt einmal was anderes. „

Und die große Inseratenkampagne zu DER LETZTE TANZ, die Ambras großspurig als „einen Mann, der weiß, was er sagt“ apostrophierte, scheint seiner Meinung nach den letzten Rest des guten Ambros-Images zerstört zu haben.

„Wenn einer von mir eine Platte gekauft und für gut befunden hat, dann war das seine ureigene Entdeckung. Nach diesen Inseraten war das aus und vorbei. Da werden sich viele Anhänger gedacht haben: Ja, spinnt denn der jetzt, ist denn der größenwahnsinnig g worden? Nein, mit mir nicht…‘ Ich kann mir diesen Gedankengang lebhaft vorstellen. „

Daß später die deutsche Sprache in der deutschen Popmusik generell an Stellenwert verloren hat, kam für Ambras allerdings nicht erschwerend hinzu. „Ich glaub] das hat nur für die Abteilung ,Trivialmusik‘ gegolten. Ich kann mir beim besten Willen net vorstellen, daß sich jemand statt einer Platte von mir eine von Modern Talking kauft!“

Womit er sicherlich recht hat. Doch jetzt ist es Zeit zum Wiederentdecken, glaubt und hofft Ambras. „Aber unbedingt wissen muaß i’s nimmermehr. Ich will nicht mehr und nicht weniger, als ein paar Leute erreichen, die sich für das, was ich zu sagen hab‘, interessieren. Und wenn’s z’wenig sind… na guat, dann net.“

Daheim in Wien ist indes alles im Lot. Der freche Rotzer aus den frühen 70ern, der damals mit „Da Hofa“ zum ersten Mal urwienerische Reime mit modernen Pop-Tönen verband, gehört heute nicht nur zur Austro-Rock-Chefetage, auch als Geschäftsmann macht Ambras keine schlechte Figur. Mitten auf einem Acker zwischen Hennersdorf und Achau, zwei öden Nestern südlich von Wien, haben der Herr Wolfgang und seine Teilhaber kräftigst investiert. Aus einer alten Wellpappe-Fabrik wird langsam das besteingerichtetste Tonstudio Österreichs. Im Clan mit dabei: der Anlagenverleiher und altehrwürdige partner-in-crime Junker (der heißt nur so!), Gitarrist Peter Koller —- und, seit kurzem dazugestoßen, der Wiener Produzent Christian Kolonovits sowie Hartmut Pfannmüller, ein exquisiter Tonmeister, der bei Frank Farian in die Schule ging.

Ambras schimpft natürlich gepflegt auf Staat und Steuer, wie es wohl ein jeder tut. Und damit er nicht zuviel Obolus an die grausame Finanz zu entrichten hat, wird fleißig weiter investiert. Das Studio wird laufend ausgebaut. So wird gerade ein Swimming-pool fertiggestellt, dann folgt ein Büffet und später vielleicht ein Tennisplatz.

Außerdem steckt Ambras sein Geld in eine Discothek im Tiroler Fremdenverkehrsort Waidring, das sich durch den prominenten Protagonisten zu einer neuen Hochblüte des Tourismus hochgeschwungen hat. Waidring ist „in“ — und am Abend „gemma Ambros schaun!“

Hier verbringt der passionierte Skifahrer (mit Skilehrer-Ausbildung!) seine Wintermonate, spielt gelegentlich selbst Deejay und läßt sich sogar manchmal von deutschen Touristen herumschicken, wenn er hinter der „Budl“ (Bar) steht: „Zwei Bier bitte, aber schnell!“ Ambros läuft. „Ein Mineralwasser bitte.“ Wolfgangs Gegenfrage: „Hast einen Krankenschein…? Ohne den gibt’s des net!“

Hierher konnte er auch flüchten, als die permanente Dreckschleuder Wien wieder einmal besonders aktiv wurde. Nachdem er im Dezember im Kokain-Prozeß gegen Rainhard Fendrichs Bruder Harald als Zeuge eingeladen war, durfte sich Ambros wochenlang gehässige Zeitungsartikel gefallen lassen.

So sehr sein Image mit dieser Stadt auch verwachsen ist, so wenig will er eigentlich mit ihr zu tun haben. „Wien is‘ mir wurscht, ich bin Österreicher.“ Eine typische Haßliebe scheint sich da entwickelt zu haben. Ein Phänomen, wie es sein alter „Hawara“ (Kumpel) Andre Heller schon des öfteren besungen hat: Man versucht so oft wie nur möglich aus dieser Stadt zu flüchten, was einem nur dann gelingt, wenn man genügend oft wieder nach Hause kommt.

Den größten Teil der kreativen Arbeit, das Liederschreiben, besorgt Ambros aber trotzdem in seiner eigentlichen zweiten Heimat Griechenland. Wie schon seit zehn Jahren, kam er auch letztes Jahr wieder ins Vier-Häuser-Dorf Petraki, wo er in drei Monaten stets die Mittagspause nutzte, um in einem turmähnlichen Domizil, mit Blick aufs tiefblaue Meer, zur Gitarre, zum Notizblock, zum Aufnahmegerät und zu einer Flasche Wein zu greifen.

Im Studio aber wollten die Songs nicht so aufs Band, wie sie eigentlich sollten. Man spielte Session um Session, doch der entscheidende Kick fehlte. Nach sechswöchigem vergeblichen Bemühens, war man sich einig, daß Schlagzeuger Helmut Nowak die Schuld dafür trage.

Und so mußte Ambros nach einer Nacht, „in der mir die grauen Haare gewachsen sind“, dem Schlagzeuger mitteilen, daß die Sache für ihn gelaufen sei.

Ersatz mußte man nicht lange suchen. Das Gute lag so nah. Besser, saß so nah. denn als Tontechniker war Hartmut Pfannmüller engagiert, jahrelang die Schlagzeug-Nummer Eins der einst so glorreichen Frankfurter Studio-Mafia. Er wechselte die Fronten, drückte von nun an die Bandmaschine auf „Record“, hechtete in den Aufnahmeraum und zählte die nächste Nummer ein.

Und plötzlich lief’s. Ambros 13. Album, zählt man die Hörspiele nicht, wurde in weiteren sechs Wochen eingespielt und zur reifsten LP des Wolfgang Ambros.

Nicht gerade leicht wird es Ambros seinem Live-Publikum machen. Raritäten-Programm ist angesagt. Zum ersten Mal überhaupt wird der Klassiker „Da Hofa“ im Programm fehlen, dafür kommt wieder einmal ein Lied aus dem WATZMANN zu Ehren („Aufi, Aufi“). Auf die heimatliche Bundeshymne der Alpenrepublik konnte man dann aber doch nicht verzichten: „Schifoan muß halt einfach sein!“

Wie immer verzichtet man auf Laser, Trockeneis-Nebel und ähnliches Brimborium. „So groß wia die Queen können wir’s eh net machn. Des is finanziell einfach net drin. Und alles was drunter ist, schaut sowieso nur peinlich aus …“

Es wird Zeit. Die Sonne im wohlig-warmen Fuerteventura ist bereits hinter dem Horizont verschwunden. Die gesamte Crew trifft sich zum Abendessen. Danach widmet man sich einem zünftigen Bauernschnapser mit drei oder mehr „Bummerln“ (Kartenspiel), wo der eine oder andere Liter Wein kredenzt werden.

Der Urlaub wurde aber gleichzeitig für einen Video-Dreh zweckentfremdet. Unter der Regie von Rudi Dolezal entstand für „Langsam wachs ma zam“ — eine Liebeserklärung an seine Ehefrau Margit. Ein eher humoriger Clip: Ambros unter Wasser singend, von den beiden einzigen Kamelen der Insel verfolgt, der (filmischen) Versuchung dreier Model-Beauties widerstehend.

Nach den 14 Tagen Fuerteventura steht die Ambros-Bühne schon zur letzten Probewoche in einem angemieteten Wiener Konzertsaal bereit. Täglich zwei Durchläufe, dann geht’s los.

Am 19. März feiert Ambros in der ausverkauften Wiener Stadthalle seinen 34. Geburtstag.