Kein Musterschüler
Kaderschmieden-Kind? Von wegen. Eugene mcguinness studierte zwar an Paul McCartneys LIPA, zeigt auf seinem zweiten regulären Studioalbum The Invitation To The Voyage aber erfreulich viel Eigensinn.
Eugene McGuinness ist erwachsen geworden. Wo er vor fünf, sechs Jahren noch ein angewuschelter Post-Teenager war, der weder die äußere Erscheinung unter Kontrolle hatte noch das, was er sagte – einer Journalistin teilte er freundlich mit, er würde vor allem Eiffel 65 und die Bombfunk MC’s hören -, ist er jetzt ganz Profi. Mit wachen Augen sitzt er im lichten Altbau seiner Plattenfirma in Berlin. „Channeling my inner Iggy“, schrieb er morgens auf Twitter.
Es läuft gut für McGuinness. Sein zweites Studioalbum The Invitation To The Voyage ist fertig. Die Tour mit Freund Miles Kane (The Last Shadow Puppets), die ihn in eineinhalb Jahren rund um die Welt führte, neigt sich dem Ende zu. Und die Presse sagt nette Sachen. Der „Guardian“ prophezeite schon 2007 den baldigen Durchbruch. Seitdem hält das Geraune an. „Er sah wie ein Mann aus, der die Tage bis zur Albumveröffentlichung herunterzählt. Dann wird alles durch die Decke gehen“, schrieb unlängst eine schottische Tageszeitung nach einem seiner Konzerte.
Warum es so lange dauerte bis zum zweiten Album? Nun, zunächst war da die Tour. Dann ein zwischengeschobenes Garagenrock-Album, das McGuinness in nur vier Tagen mit Freunden und unter dem Projektnamen Eugene & The Lizards aufnahm. Vor allem aber ließ sich der ehemalige Schüler des Liverpool Institute of Performing Art (LIPA) nicht hetzen. Knappe eineinhalb Jahre vergingen, bis er und seine Produzenten Clive Langer und Dan Carey mit der Platte fertig waren.
Wobei die Bezeichnung „ehemaliger LIPA-Schüler“ nicht viel aussagt. Paul McCartneys Pop-Kaderschmiede besuchte McGuinness nur eineinhalb Jahre lang. „Und in dieser Zeit ging ich kaum hin“, sagt er. „Es ist auch nicht so, dass die Studenten dort viel tun. Es sind verwöhnte Bengel, die den ganzen Tag ‚Family Guy‘ gucken.“ Er selbst tauchte lieber in die lebendige Szene Liverpools ein, lernte Kollegen kennen, spielte in Kneipen. Denn eines sei ihm rasch klar geworden: Ein Künstler, das sei man – oder eben nicht. Und wenn man ihn mit seiner James-Dean-Tolle sieht, mit seinen wachen Augen und seinem flinken Habitus, dann kann man ihn sich nicht auf einer Schulbank vorstellen. Als Schulschwänzer, der mit der Marlboro im Mundwinkel vorm Gebäude steht und up to no good ist, schon eher.
Obwohl: Das stimmt jetzt auch nicht ganz. McGuinness macht ja was. Er arbeitet freudvoll an den Konventionen des angloamerikanischen Rocksongs vorbei. Er ignoriert die alten Lehren nicht, aber erweitert sie mit sinnvollen Ergänzungen, verpasst dem in die Jahre gekommenen Genre so ein Systemupdate. „Es gibt viel zu wenige Bands, die Musik machen, die etwas mit der Gegenwart zu tun hat“, sagt er. „Die meisten präsentieren Gewesenes. Und das möchte ich nicht.“ Gibt es Künstler, die das wollen? Er verzieht sein Gesicht. „Sie tun es doch alle. Schalte einfach mal das Radio an.“
Natürlich bedient sich McGuinness ebenso an Vergangenem wie Adele, Duffy und all die anderen, die den britischen Pop-Mainstream prägen. Aber er macht’s anders, benutzt die Vergangenheit eher als Impulsgeber. Zur Beweisführung fischt er sein iPhone aus der Sakkotasche. Flink gleiten seine Finger über den Touchscreen, stoppen zunächst bei Henry Mancinis „Peter Gunn Theme“ und dann bei Trickys „Murder Weapon“. Zweiteres basiert auf Ersterem. Und „Shotgun“, einer der besten Songs der neuen Platte, bedient sich bei beiden. „Ich habe immerhin den Text geschrieben“, sagt er und schlägt den Takt der Tricky-Nummer mit seinen schwarzen Schnürschuhen auf die Holzdielen. „Der Groove ist wichtig. Der Groove ist bei Rockmusik oft langweilig“, sagt er nach einer Weile. Er macht das mit dem Groove schon ganz gut.
Albumkritik S. 83