Kaufanleitung: Die besten und seltsamsten Alben von Neil Young
Welche Alben sind von Neil Young essenziell, welche eher seltsam und was braucht man im Live-Bereich von ihm? Wir haben uns durchgewühlt.

Dem Songwriter und Musiker ist fast nichts fremd ist zwischen Folk und Hard Rock. Neil Young war Mitglied von Buffalo Springfield und Crosby, Stills, Nash & Young. Aber allein in seiner langen 56-Laufbahn als Solokünstler hat er gut 90 Alben veröffentlicht: Studio- und Live-Aufnahmen, Soundtracks sowie sehr viele Ausgrabungen aus dem Archiv in den letzten Jahren. Wo fängt man da an mit den Empfehlungen? Wir haben es versucht.
ESSENZIELL
EVERYBODY KNOWS THIS IS NOWHERE (1969)
Auftritt Crazy Horse. Nach dem unausgegorenen Debütalbum NEIL YOUNG aus dem Jahr 1968 findet Neil Young mit Danny Whitten, Billy Talbot und Ralph Molina von der Los-Angeles-Band The Rockets kongeniale Begleiter. EVERYBODY KNOWS THIS IS NOWHERE begründet eine jahrzehntelange On-Off-Beziehung zwischen Solokünstler und Band, die sich jetzt Crazy Horse nennt. Das erste gemeinsame Album wird zum Meisterwerk. Songs wie „Down By The River“, „Cowgirl In The Sand“ und „Cinnamon Girl“ etablieren Neil Youngs Signature Sound: minimalistischer Hard Rock mit mächtigen, ausufernden Gitarrenimprovisationen im Zusammenspiel von ihm und Danny Whitten.
Sechs Sterne
HARVEST (1972)
Neil Youngs Eintrittskarte in den Mainstream: HARVEST wurde in Nashville mit einer Reihe von Country-Musikern (The Stray Gators u.a. mit Pedal-Steel-Gitarrist Ben Keith) aufgenommen, mit Gastsänger:innen wie Crosby, Stills & Nash, Linda Ronstadt und James Taylor, sowie dem London Symphony Orchestra bei zwei Songs. Youngs Country-Folk(-Rock) war nie so melodisch, zugänglich und traditionalistisch wie auf diesem Album, mit dem der Künstler auch über 50 Jahre nach der Veröffentlichung hauptsächlich assoziiert wird. Ein Klassiker mit Songs wie der Anti-Drogen-Hymne „The Needle And The Damage Done“, „Old Man“ und dem Nummer-1-Hit „Heart Of Gold“.
Sechs Sterne
ON THE BEACH
Zeitgenössische Kritiker konnten nicht viel anfangen mit Neil Youngs fünftem Studioalbum. Sie bemängelten vor allem den verzweifelten Unterton von ON THE BEACH. Wie Verzweiflung wirklich klingt, sollte der Künstler ein Jahr später mit dem früher aufgenommenen TONIGHT’S THE NIGHT zeigen. Auf ON THE BEACH gibt es gebremsten Folk-Rock, minimalistisch und naturbelassen produziert. In den Songs thematisiert Young die gemischten Gefühle, die der unerwartete Erfolg des HARVEST-Albums bei ihm ausgelöst hatte. Im Lauf der Jahre erlangte das Album den Status eines Klassikers, was auch daran lag, dass es über gut zwei Jahrzehnte in keinem Format verfügbar war.
Sechs Sterne
TONIGHT’S THE NIGHT (1975)
Gleichermaßen Dokument von Trauer, Schmerz und Verlust wie Abgesang auf die Hippie-Kultur der Sechzigerjahre. Neil Young verarbeitete auf seinem sechsten Studioalbum die Drogentode des Crazy-Horse-Gitarristen Danny Whitten und des Roadies Bruce Berry, 29 respektive 22 Jahre alt. TONIGHT’S THE NIGHT wurde schon im Sommer 1973 aufgenommen, aber erst zwei Jahre später veröffentlicht, weil das Label das Album als zu düster und morbide befand. Zeitgenössische Kritik und Publikum brachten damals wenig Verständnis auf für die skelettierten, minimalistischen Country-Folk-Rock-Songs, heute gilt TONIGHT’S THE NIGHT freilich als Klassiker im Katalog von Neil Young.
Sechs Sterne
RUST NEVER SLEEPS (1979)
Eine Mischung aus nachbearbeiteten Live-Songs und Studioaufnahmen, getrennt nach einer akustischen und einer elektrischen Seite. Eingerahmt wird das Album vom akustischen Schlüsselsong „My My, Hey Hey (Out Of The Blue)“ und seinem elektrischen Gegenpart „Hey Hey, My My (Into The Black)“. Der Song, in dem sich Young kritisch mit der Musikindustrie und seiner eigenen künstlerischen Bedeutung auseinandersetzt, verlieh ihm, dem alten Hippie, in der Punk-Ära eine Relevanz, von der er heute noch zehrt.
Sechs Sterne
FREEDOM (1989)
In den Achtzigerjahren verunsicherte Neil Young seine Anhänger:innen mit einer Reihe von Alben mit stilistischen Experimenten zwischen Rockabilly, Country und elektronischer Musik. Zum Ende des Jahrzehnts kehrte er mit FREEDOM zu dem zurück, was er nach Meinung seiner Fans am besten kann: im Folk grundierte Rocksongs mit gesellschaftspolitisch eingefärbten Texten. Im Oktober 1989 veröffentlicht, wurde das Album und sein Schlüsselsong „Rockin’ In The Free World“ zur inoffiziellen Hymne für den Zusammenbruch des Ostblocks.
Fünf Sterne
RAGGED GLORY (1990)
Zu Beginn der Neunzigerjahre präsentierten sich Neil Young & Crazy Horse in ihrer ganzen schäbigen Pracht. RAGGED GLORY erinnerte an die frühen Siebziger mit Folk-infiziertem Heavy Rock und ausgedehnten Gitarrenjams direkt aus der Garage. Das Album stellte Enthusiasmus über Virtuosität und begründete damals den Ruf Neil Youngs als „Godfather Of Grunge“, vor allem aber ist es immer noch eine Sammlung hervorragender Songs: „Country Home“, „Fuckin’ Up“, „Mansion On The Hill“, „Love And Only Love“.
Fünfeinhalb Sterne
LIVE
EARTH (2016)
Bereits als junger, weißer Mann hat Neil Young ein ökologisches Bewusstsein entwickelt, das in vielen Songs zum Ausdruck kam. EARTH ist das Dokument der 2015er-Tour mit Promise Of The Real, der Band von Lukas und Micah Nelson, den Söhnen von Willie Nelson. Es ist eine Sammlung von Songs, die Umweltthemen zum Inhalt haben. Aber Neil Young wäre nicht er selbst, wenn er zu dem Thema ein „normales“ Live-Album gemacht hätte. Naturgeräusche, Gewitterdonner, Insektensummen, Vogelstimmen und der Gesang eines achtköpfigen Chors wurden im Studio hinzugefügt. Der letzte Song bietet in über 28 Minuten die Lösung für alle Probleme an: „Love And Only Love“.
Viereinhalb Sterne
WAY DOWN IN THE RUST BUCKET (2021)
Mit seiner langjährigen Begleitband Crazy Horse hat Neil Young magische Momente geschaffen. Vor allem auf der Bühne, wenn die Songs ein Eigenleben entwickeln und zu ausufernden Noise-Sinfonien werden. WAY DOWN IN THE RUST BUCKET dokumentiert eine Warm-up-Show für die RAGGED-GLORY-Tour im November 1990 vor 800 Zuschauer:innen im kalifornischen Santa Cruz. Young und Band wirken so, als hätten sie das Aufwärmen überhaupt nicht nötig, alles sitzt und passt, rockt hart und groovt. Vor allem das epische „Cortez The Killer“, hier in der besten verfügbaren Live-Version. Kein Ersatz für, aber eine gute Ergänzung zu WELD, dem Live-Album der RAGGED-GLORY-Tour.
Fünf Sterne
NOISE & FLOWERS (2022)
Kurz vor Beginn der Europatournee 2019 mit Promise Of The Real als Begleitband war Neil Youngs langjähriger Manager Elliot Roberts gestorben. Die Tour und das daraus resultierende Live-Album wurden zu einem Tribut an den Freund. Das Besondere an NOISE & FLOWERS: Das Album bietet neben den üblichen Standards eine ganze Reihe von Songs, die eher selten auf die Setlist von Neil-Young-Konzerten kommen: „Everybody Knows This Is Nowhere“, „On The Beach“, „Field Of Opportunity“, „From Hank To Hendrix“, „Throw Your Hatred Down“. Und Promise Of The Real sind in der Lage, den Songs aus allen Schaffensperioden Neil Youngs einen eigenen Vibe zu verleihen.
Fünf Sterne
SELTSAMES
ARC (1991)
Ein kurzer Ausflug in die Musique concrète. Thurston Moore, Sänger und Gitarrist von Sonic Youth, brachte Neil Young auf die Idee, ein ganzes Album aus der Live-Kakophonie seiner oft ausufernden Song-Intros und -Outros zu machen. So entstand eine 35-minütige „Compilation Composition“ aus Feedback, Gitarren-Noise und Gesangsfragmenten, die bei der 1991er-US-Tour von Young mit Crazy Horse aufgenommen wurde.
1-6 Sterne
DEAD MAN (1996)
Der Soundtrack zu Jim Jarmuschs dystopischem Spätwestern mit Johnny Depp übersetzt perfekt die beklemmende, unwirkliche Atmosphäre des Films in Musik. Young soliert in sechs Stücken auf der E-Gitarre, greift gelegentlich zur Akustischen und setzt sich an Klavier und Pump Organ. Das tief-grummelnde Leitmotiv, das permanent wiederholt wird, macht den Soundtrack zu einer Art Avantgarde-Sinfonie.
1-6 Sterne