Kansas
An der Ostküste Amerikas entstanden die härtesten Rocktruppen, im Westen gab es die drogengeschwängerte Westcoast-Scene. Der Süden wird von Country & Western beherrscht, der sich immer mehr ein Rockmäntelchen umhängt. Zwischen Detroit und Minneapolis verbinden sich urbaner Jazz mit dem berühmten Motown-Sound, für den es in den späten sechziger Jahren noch Vom 13. bis zum 21. März tourte die amerikanische Band Kansas zum ersten mal durch Deutschland. Ihre kraftvolle Mischung aus Hardrock und Classic-Rock kommt hierzulande immer besser an neben den Reaktionen in den Konzerten zeigen das auch die stei-
genden Verkaufszahlen der jüngsten Kansas-LP, „Point Of Know Return“. Für den ME war das Grund genug, Wolfgang Freund auf die Fährte der Gruppe aus dem geografischen Herzen der USA zu hetzen. Die Fotos von Kansas schoß in Amerika Helmut Werb.
den Motor-City Rock aus Detroit als Alternative gab. Auf der Suche nach musikalischen Strömungen in der Mitte der USA, im Staate Kansas nämlich, sieht es indes traurig aus. Hier gedeihen außer Wildwest-Filmen, Mais, Baumwolle, Weizen und kräftigem Vieh nur noch knackige Mädels, die ausnahmsweise nicht aus Plastik sind. Und die Cowboyhutindustne, die gibt s hier auch noch. Was also hat Musik in Kansas verloren? Und dann auch noch solche Musik, wie sie Kansas spielt?
In den späten sechziger Jahren war es der Traum eines jeden jungen Amerikaners, eine Rockgruppe zu haben. Auch der heutige Kansas-Boß Kerry Livgren dachte so. Doch Kerrys Idole waren nicht im Rock n Roll zu suchen, sondern bei den alten Klassikern. Besonders Gustav Mahler hatte es ihm schwer angetan. Doch um eine Band in die Welt zu setzen, muß man Zugeständnisse machen, muß man sich der surfenden, rockenden und swingenden Mehrheit beugen. Kerry gründete also mit einigen lokalen Musikanten aus der Hauptstadt Topeka eine Surfband, der er immer mehr seinen eigenen Stempel aufdrückte. Und da Rockmusik in Verbindung mit klassischen Elementen damals gerade modern wurde, fühlte sich Kerry am Ende auch nicht mehr so ganz allein mit seiner Idee.
Start mit einer Surf-Band
So entwickelte sich aus Livgrens Surf-Band eine handfeste Rockgruppe, die bald im ganzen Staate Kansas ihr Unwesen trieb. Es dauerte auch nicht lange, da war die Gruppe richtig erwachsen und konnte sich Lokalgröße nennen, wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von „Lokalgröße“ reden kann — Kansas ist immerhin fast so groß wie die Bundesrepublik. Und wer was gilt im eigenen Land, der nennt sich dann auch so. Das kennen wir schon von Chicago, Orleans oder Black Oak Arkansas (nur die Gruppe Amerika hatte sich am Anfang wohl etwas übernommen). Somit gab es eines Tages also die Band Kansas.
Platin für die vierte LP
Das Fernziel eines jeden Musikers war damals die Westküste, wo fast jede Band ihren Markt hatte. Livgren: „Unser Pech war allerdings, daß wir keine Kohle hatten, um nach Los Angeles zu gehen. Also fanden wir uns vorläufig damit ab, eine lokal anerkannte Band zu sein…“ Irgendwann anno 74 da gab es Kansas als Gruppe immerhin schon ein paar Jahre schickten die Jungs ein Demo an den allmächtigen Don Kirshner, dessen inzwischen vergoldete Ohrmuscheln schon mancher Band zu Ruhm und Ehr verholfen hatten. Und damit beginnt die eigentliche Geschichte von Kansas. Kirshner ließ die Knaben nach Los Angeles einfliegen und nahm sie für sein Label „Kirshner Records“ unter Vertrag. Der Rest liest sich wie gehabt: erste LP – keine Reaktion; zweite LP („Song For America“) erste Reaktionen und eine Position in den Hitlisten; dritte LP („Masque“) gute Charts-Positionen und ebensolche Verkäufe; vierte LP („Leftouverture“) über eine Millionmal verkauft, was Platin bedeutete. Kansas war durch, wie man so schön sagt. Keine Frage, daß das letzte Werk „Point Of Know Return“ (richtig gelesen, es muß wirklich „Know“ heißen!) in den USA ebenfalls Platinstatus erreichte.
Kansas hat sich inzwischen von einer fast aussichtslosen Ausgangsposition her in Amerika einen Namen geschaffen, der für qualitativ perfekten Rock in Verbindung mit klassischen Elementen steht. Das häufig gebrauchte Etikett „Amerikas Antwort auf Yes“ ist in diesem Zusammenhang gar nicht mal so weit hergeholt. Denn auf Kansas‘ bombastischen Sphärenklängen liegen klare, schöne Melodien, die keine Kontraste aufbauen, sondern sich gut einfügen. Musikalischer Motor der Gruppe ist Mahler-Fan Kerry Livgren, der sich zwischen Keyboards, Synthesizern und Gitarren bewegt. Den optischen Mittelpunkt dagegen bildet der Geiger Robbie Steinhardt, obwohl er sich damit begnügt, auf seiner Fiedel hin und wieder ein Riff mitzuspielen. Qualitäten als Sänger sind ihm allerdings nicht abzusprechen, auch wenn er sich heute nicht mehr so oft ans Mikrophon wagt wie früher. Steinhardts musikalische Ausbildung ist auf seinen Vater zurückzuführen, der zeitweise in Wien als Musikwissenschaftler wirkte.
Eine Stimme läßt das Blut erstarren
Drummer Phil Ehart, Bassist Dave Hope und Gitarrero Rieh Williams kochen dazu in der Rock-Küche ein kräftiges Süppchen, das der Musik von Kansas den Zusammenhalt gibt.
Der absolute Star der Band jedoch ist Leadsänger und zweiter Keyboardmann Steve Walsh, dessen Stimmbänder das Blut in den Adern erstarren lassen. Wie ein wild gewordener Derwisch fegt der etwas zu kurz geratene Walsh auf der Bühne umher. Dieser begnadete Sänger ist zweifelsohne das Interessanteste an Kansas. Mit Sicherheit kann er sich zu den besten Rocksängern auf dieser Welt zählen. Sein Stimmvolumen bewegt sich vom unschuldigen Schönklang bis hin zum gebündelten Aufschrei. Er scheint mit Höhen oder Tiefen keinerlei Schwierigkeiten zu haben. Aus dem Piano zieht er zum Teil allerschwärzesten Funk, der plötzlich in pompöse Klangkaskaden a la Wakeman übergeht.
Der Rock macht die Alten Meister flott
Und damit wären wir dann auch schon beim Unterschied zu Europas „Antwort“ auf Kansas: Yes sind vom Experiment ausgegangen und haben darauf ihre Musik gebaut. Alle fünf Musiker von Yes sind handwerklich Meister auf ihren Instrumenten.
Bei-Kansas dagegen hat sich aus der ursprünglich originären Rockmusik ein Kompromiß aus Klassik, Rock und Pomp entwickelt, der rein emotional zustande gekommen ist (laut Livgren). Aber mit Rock als Motor und den Alten Meistern als Verkleidung haben es die sechs Kansas – Musiker immerhin geschafft, trotz ausgeprägter Haßliebe der amerikanischen Journalisten aufs hohe Roß zu klettern und in die Riege der erfolgreichsten amerikanischen Bands vorzupreschen.