Kampf gegen digitale Windmühlen: San Franciscos Record Stores und ihre Überlebensstrategien
Autorin Kristina Baum bereist die Westküste der USA und bündelt wöchentlich ihre Eindrücke aus der lokalen Musikszene. Teil 3: San Franciscos Plattenläden zwischen Nostalgie und Überlebensstrategie.
San Francisco hat sich dank der Hippie-Bewegung der Sechziger einen festen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert – ob die Straßen um Haight Ashbury, kurz Hashbury, nun tatsächlich von aufstrebenden Weltverbesserern belagert wurden oder sich eher eine orientierungslose Generation das Recht auf Drogenkonsum, dreckige Füße und fehlenden Haarschnitt erkämpfte, tut dabei eigentlich nicht viel zur Sache. Dem Tourismus der Stadt hilft das Image jedenfalls enorm, wie der Bummel durch das inzwischen stark kommerzialisierte Epizentrum zeigt. Neben viel frequentierten Batik-Esoterikläden, obligatorischen Smokeshops und überteuerten Tattooläden findet sich dort aber auch ein Laden mit echter Credibility – der Amoeba Record Store.
Was in der Uni-Stadt Berkeley schon 1990 begann, existiert seit 1997 auch am Ende der Haight Street, nur wenige Meter vom Golden Gate Park entfernt. Somit hat Amoeba Records einigen Sechziger-Acid-Trippern höchstens nachträglich eine schöne Zeit beim Stöbern beschert. Trotzdem ist der Musikladen, der neue und gebrauchte CDs, Vinyls und Kassetten noch wie früher und vor allem spottbillig anbietet, fast so etwas wie das Aushängeschild der lokalen Musikszene, in der sich immer wieder Spuren des Summer of Love ausfindig machen lassen.
Da mich die Kollegschaft vor der Abreise mit einem großzügigen Einkaufsgutschein ausstattete (liebsten Dank nochmal!), konnte ich Kind im Süßigkeitenladen spielen und drei Stunden lang in wild bis kaum sortierten 1-Dollar-CDs und alphabetisch aufgegliederte Genres des Amoeba Record Stores wühlen – getoppt wird das Ganze da eigentlich nur noch von Chuck Ragan, der mal eben so zwischen Kaffee und Abendbrot auf der kleinen Bühne der riesigen Verkaufsfläche ein Solokonzert hinlegt, um seine neue Platte TILL MIDNIGHT zu promoten. Will man die Liebhaber physischer Alben halten, ja vielleicht sogar den einen oder anderen digitalen Fan in die reale Welt zurückholen, muss man schon einiges bieten – das Business ist auch für Amoeba kein Zuckerschlecken mehr. Als zwiespältigen Kompromiss gibt es deshalb Schleuderpreise im Laden sowie auf der Website, auf dem die Preise für digitale Downloads oft gedrückt werden.
Aber ist Amoeba damit der beste Plattenladen der Stadt? Vielleicht – zumindest was das umfangreiche Sortiment angeht, können die beliebtesten Konkurrenten wie Grooves oder Aquarius Records einfach nicht mithalten, von hochkarätigen Live-Musikern ganz zu schweigen – das Monopol haben Amoeba allerdings trotzdem nicht und das ist ja auch gut so. Sonst hätte der gute alte Funky Dick mit seinem Nischen-Ding Rooky Records wohl kaum eine Chance und das wäre verdammt schade: Nur einige Blocks weiter in Lower Haight hat der Soul-Guru sein Geschäft, in dem es ausschließlich Vinyl von anno dazumal zu kaufen gibt. Herzblut und gute Anspieltipps gibt es umsonst dazu. Ein besonderes Highlight bei Dick sind die Plattenspieler, auf denen man seine Entdeckung noch direkt im Laden hören kann. Schmutzige Finger vom Hin- und Herklappen abertausender CDs. Ein 15 Kilo schwerer Einkaufskorb mit Raritäten von Fleetwood Mac, The Pogues, Springsteen und all dem, was einem beim Durchscrollen der iPod-Bibliothek schon immer irgendwie gefehlt hat.
Goldgräberstimmung eben. iTunes kann einem Laden wie Amoeba in puncto Flair wahrscheinlich nie den Rang ablaufen. Trotzdem muss man befürchten, dass die Tage weiterer Stores bald gezählt sind. Damit sich das Geschäft mit CDs und Vinyl also auch in den nächsten Jahren lohnt, hier der kleine Reminder: Am 19. April ist wieder Record Store Day! Nach diesem Trip weiß zumindest ich den Kampf gegen digitale Windmühlen umso mehr zu schätzen.