Kaiser Chiefs: Zurück auf den Tanzboden, zurück auf den Thron
Die Kaiser Chiefs können ein Lied von der Schwierigkeit dritter Alben singen. Es heißt "Ruby". Nach diesem Monsterhit und der daraus resultierenden Spaltung ihres Fanlagers steht für OFF WITH THEIR HEADS nun einiges auf dem Spiel.
Der Sommer über Berlin bäumt sich ein letztes Mal auf und wirft etwas Licht in den Rooibos-Vanilletee, den sich Ricky Wilson und Nick Hodgson in der „Probierstube“ (integriertes Wortspiel: „Pro-Bier-Stube“) eines Grand Hotels genehmigen. Die beiden lernen gerade, was es heißt, sich noch mal aufzubäumen. Das dritte Album steht an – und das in solchen Kontexten überstrapazierte Attribut „schwierig“ passt hier perfekt: Ihre enorm erfolgreiche Single „Ruby“ degradierte die fünf aus Leeds im letzten Jahr zum One-Hit-Wonder. Der Nachhall des Rummelplatzrefrains drückte die vielen Hits ihres Debüts zu Boden und nahm kommenden Hits den Wind aus den Segeln, bevor die überhaupt alle gesetzt waren. Während das dazugehörige Album YOURS TRULY, ANGRY MOB schnell die Hitlisten hinabglitt, weitere Single-Auskopplungen floppten, die Finalsingle „Love’s Not A Competition (But I’m Winning)“ nur mehr in stark begrenzter Auflage erschien, dröhnte „Ruby“ immer noch aus den Formatradios und am bitteren Ende sogar aus den Bierzelten.
Klar, dass ein solcher Schlager der immer und überall Sell-out witternden Indiegemeinde aufstößt. Gar nicht so klar, dass die Kaisers dafür Verständnis zeigen. „Wir können das nachvollziehen. Wir sind ja auch dumme Indie-Faschisten. Ich habe begonnen, Oasis zu hassen, als ,Roll With It‘ rauskam“, sagt Nick, Schlagzeuger und Songwriter der Band. Sänger Ricky ergänzt: „Hätten wir ,Ruby‘ früher geschrieben, wäre es ja auch schon auf unserem ersten Album erschienen. Es ist eben ein wirklich guter Song. Aber niemand mag es, wenn die Leute im Pub deinen Lieblingssong singen. Das ist ganz klar.“
Auf ihrem neuen Album OFF WITH THEIR HEADS finden sich – für eine Indierock-Kapelle – erstaunlich viele Gaststars: Popstern Lily Allen, Grime,
Rapper Sway,James Bond-Komponist David Arnold sowie der gesamte New Young Pony Club. Die Vermutung liegt nahe, dass es die Kaisers mit einem eklektischen Allstar-Album nun einfach allen recht machen wollen. Doch sie widersprechen: „All diese Leute kamen erst hinzu, als die Songs bereits zu 90 Prozent geschrieben waren“, erzählt Nick. „Das war eher so, als ob man zu einem fertigen Song noch Tamburin spielt“, grätscht Ricky hinein. „Genau, all diese Beiträge sind nicht mehr als Dekoration „, sagt Nick: „Sway war beispielsweise einfach zufällig im Studio nebenan, und wir hatten da noch diese Lücke in dem Song ´Half The Truth´. Wir wären nie im Leben auf den Gedanken gekommen, diese Lücke mit einem Rap zu füllen. Wir haben’s dennoch getan. Ich finde es schrecklich, aber nun ist es zu spät.“
Neben den vielen Featurings gibt ein weiterer externer Faktor dem dritten KC-Album einen besonderen Schimmer: Produziert hat es der Superstarproduzent Mark Ronson. Der Mann, der heiligen Kühen wie The Jam, Radiohead und The Smiths auf seinem Album version ein neues Gesicht draufmetzgerte: ein zwar glücklicheres, aber auch belangloseres. Doch der Erfolg gab ihm Recht.
Umso erstaunlicher, dass OFF WITH THEIR HEADS kein bisschen nach Ronson klingt. Ricky hat auch dafür eine Erklärung parat: „Es denkt zwar jeder, dass Mark Ronson nichts könnte, außer trompetenlastige Remixes von Klassikern zu machen. Aber er hat keinen Trademarksound. Er hat in den letzten Jahren so viel unterschiedliches Zeug produziert. Die Leute haben ihn eben erst seit dem Amy-Winehouse-Album auf dem Radar und sehen ihn als Grammy-gewinnenden, Model-abschleppenden Celebrity-Produsenten.“ Weshalb, zugegeben, auch die Chiefs anfangs Hemmungen hatten, den Hitproduzenten ans Pult zu lassen, wie Nick bekennt: „Da haben wir uns schon Gedanken gemacht. Aber wir hatten nichts zu verlieren. Außerdem haben wir ja mit Mark und Eliot James (u.a.: Bloc Party, Kate Nash – Anm. d. Red.) als Gruppe produziert.“
Das Ergebnis dieser Teamarbeit ist, wie Nick es beschreibt, „ein sehr natürlich klingendes Album. Unsere letzte Platte – so sehr ich sie auch mag – klang schon sehr präzise. Der Gesang steht im Vordergrund, so dass du dich sehr auf die Texte konzentrierst. Diesmal wollten wir ein energiegeladenes Album machen, das dich auf den Dancefloor zieht. Wir haben auch sehr drauf geachtet, dass nicht ständig Plattenfirmenleute im Studio vorbeischauen. Abgemischt wurde die Platte ja in New York – also so weit wie möglich von unserer Plattenfirma entfernt.“
Lockt an den USA vielleicht nicht nur die Abgeschiedenheit der Studios – sondern auch der… dortige Markt? „Wir haben zwar schon hohe Ziele“, sagt Nick, „aber würden wir jetzt Amerika packen wollen, hätten wir Songs mit dieser Frau von den 4 Non Blondes (Linda Perry – Anm. d. Red) schreiben müssen. Wir hätten alles opfern müssen, was wir an unserer Musik mögen.“ Ricky geht noch weiter: „Wir hätten unsere LEBEN opfern müssen! Stell dir mal vor, mit Linda Perry durch die USA zu reisen…“
Diesen Schritt will die Band also nicht gehen. Nicht auch noch. Dass sie überhaupt noch fleißig am Tempomachen ist, ist nach drei Alben in dreieinhalb Jahren beeindruckend genug. Zudem droht doch Musikern, die sehr schnell sehr groß werden, der Backlash oder, anderes Lehnwort, der Overkill. Nick Hodgson erzählt man da nichts Neues: „Klar, wir hätten eine Pause machen können. Aber wir haben immer noch so viel Spaß an der Sache. Wir gehen Gigs vor 10.000 Leuten immer noch genau so an wie Gigs vor zehn Leuten. Deswegen wollen wir noch keine Pause einlegen.“ Außerdem gibt Ricky Wilson zu bedenken: „Was wäre denn die Alternative gewesen? Ohne neue Songs hätte das Radio immer nur weiter ,Ruby‘ gespielt, und dann hätten uns wirklich alle schnell sattgehabt.“
Aber ist denn nicht schon der Albumtitel OFF WITH THEIR HEADS als präventive Reaktion auf Hörer, denen die Kaiser bereits jetzt auf den Senkel gehen, zu verstehen? Da sagt Nick gar nicht kategorisch nein: „Ricky schlug den Titel einfach vor, und wir alle sagten: Jawoll!‘ Letzten Endes ist das eine Mischung aus vielem: Zum einen hast du Recht mit deiner Einschätzung, zum anderen mögen wir aber auch den Sound des Titels, und er sieht einfach gut auf Plakaten aus.“
Der Release von off with their heads wurde übrigens um eine Woche geschoben, als bekannt wurde, dass am selben Tag Oasis‘ neue Platte erscheint. Hatten die Chiefs Angst vor einer Art Neuauflage des 1995 zwischen Oasis und Blur ausgefochtenen „Battle Of Britpop“? „Das mit Oasis ist schon komisch. Wir waren Riesenfans, gingen zu all den Konzerten“, erinnert sich Nick. „Heute ziehen sie in jedem Interview über uns her. Wie damals über Blur. Aber nein, wir sind nicht vergleichbar. Oasis haben jetzt sieben Alben draußen und seit 15 Jahren Fans, die für sie sterben würden. Wir sind immer noch eine neue Band. Allerdings die bessere der beiden. Jetzt müssen wir nur noch den Rest der Welt überzeugen!“
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albumkritik s. 88