Justice
Die beiden Franzosen tun so, als wären Dubstep und Minimal nie geschehen und lassen die Londoner Brixton Academy wackeln.
Du stehst hier stocknüchtern rum mit deinem Notizblock, während wir alle total dicht sind – da wirst du doch automatisch einen langweiligen Abend haben!“ Unser Nebenan ist ehrlich geschockt, als er hört, dass wir heute Abend beruflich unterwegs sind. Und denkt man an die von Euphorie verzerrten Gesichter, die in der Live-Doku „A Cross The Universe“ zu bestaunen waren, kommt man kurz ins Grübeln – ist man überhaupt in der Stimmung, sich von Gaspard Augé und Xavier de Rosnay rocken zu lassen? Bei Justice geht es, anders als bei den Auftritten anderer gegenwärtiger DJ-Acts, live ungefähr so subtil zu wie bei Slayer. Bevor man sich einen friedlichen Platz an der Bar sichern kann, ertönt das Intro zu „Genesis“, und zum Kreuz verschränkte Arme recken sich in die Höhe. Seit (2007), dem alles verändernden Debütalbum, hat sich elektronische Musik im Mainstream und im Underground in mehr Richtungen verzweigt als heute Verstärker-Attrappen auf der Bühne stehen. Aber anstatt diese Entwicklungen zu kommentieren, versuchen Justice, sie einfach wegzuballern. Ihr Markenzeichen, der gepresste, stumpfe Drumsound, klingt live um einiges dicker und paart sich mit dem Bass von „Phantom“ zu einer zwingend tanzbaren, headbangenden Disco-Ausgeburt der Hölle. „Civilization“, der Justice-2.0-Vorzeigesong, wird immer wieder angespielt und sorgt jedes Mal für ekstatisches Juchzen, während die beiden Herren – natürlich in hautengen Lederjacken – über ihre Pulte gebeugt routiniert ihrer Arbeit nachgehen und Hits wie „DVNO“ und „D.A.N.C.E.“ übereinanderschichten. Die Prog-Riffs, die auf Audio, Video, Disco so detailgetreu erklingen, gehen ab und zu im Kompressor-Gegrunze unter, und die Neon-Orgelröhren, die vor der Zugabe neben dem weiß leuchtenden Kreuz aus einer Versenkung fahren, erinnern ein bisschen zu sehr an die Theatralik von Muse, aber gerockt wird jeder – egal ob nüchtern oder nicht. Matthias Scherer