Jugendarbeitslosigkeit Teil 3


Das Jahr geht, ein neuer Jahrgang Schulabgänger kommt! So oder so ähnlich könnte man einen bekannten Werbespruch abwandern, denn mit Beginn des Jahres 1977 müssen sich wieder einige Tausend junger Leute Gedanken machen, was sie werden wollen, wenn sie im Herbst aus der Schule entlassen werden. Bis zum April sollte sich ihr Wunsch konkretisiert haben, auch die Kontakte zu den Berufsberatern des Arbeitsamtes sollten zumindest diejenigen unter euch geknüpft haben, die keinen Vater im Aufsichtsrat eines großen Unternehmens sitzen haben... Vielleicht ist bis dahin auch schon eine Ausbildungsstelle gefunden.

Doch erinnern wir uns an das Fazit der ersten beiden Teile unserer Serie: Wer früh anfängt, sich um einen Job zu kümmern, hat die größten Aussichten auf Erfolg. Sicher ist es nicht allein mit dem Anspruch getan, zu dem sich ein Berufsberater des Hamburger Arbeitsamtes hinreißen ließ: „Die sollen sich erstmal kräftig auf den Hosenboden setzen, damit sie gute Zeugnisse mit nach Hause bringen!“ Es versteht sich von selbst, daß jeder versuchen muß, so gut wie möglich abzuschneiden, wenn er im Herbst „auf die Menschheit losgelassen“ wird. Wie sieht aber nun — ganz unabhängig von der Güte der Leistungen — die Zukunft der Schulabgänger aus?

Mehr Lehrstellen — aber viel mehr Schulabgänger

Die Antwort auf die Frage lautet: „nicht besonders rosig“, denn den zahlenmäßigen Höhepunkt der entlassenen Schülerjahrgänge erreichen wir erst 1981. Bis dahin steigt die Zahl weiter aufwärts bis hin zur Spitze des sogenannten Schülerbergs, über den wir Euch in der letzten Folge schon informierten. Doch soll das nicht heißen, daß die Ausbildungsplätze auf dem heutigen — unzureichenden — Stand eingefroren werden. Das nämlich würde ja bedeuten, daß immer mehr Jugendliche auf der Straße säßen. Andererseits: In absehbarer Zeit kann nach heutigen Voraussagen bei allem Vertrauen in den Aufschwung nicht der Punkt erreicht werden, an dem wieder alle Ausbildungswilligen eine Lehrstelle erhalten, selbst wenn das immer oberstes Ziel aller Beteiligten bliebe.

Obwohl der Wahlkampf inzwischen vergessen ist, gibt es weiterhin noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundesregierung auf der einen und den Arbeitgebern auf der anderen Seite, wenn es um die Jugendgesetzgebung geht. Diese wurde in den letzten Jahren erheblich zugunsten der Jugendlichen ausgeweitet. Den Firmen wurden mehr Verpflichtungen (die in den meisten Fällen mit Kosten verbunden sind) auferlegt, die den jungen Menschen vor Ungerechtigkeiten schützen sollen und dafür sorgen, daß er nach den exakt gleichen Richtlinien in allen Bundesländern ausgebildet wird, egal ob es sich bei der Ausbildungsfirma um einen Weltkonzern oder Zehnmannbetrieb handelt. Daran stoßen sich die Unternehmer und äußern zugleich die Befürchtung, der Staat mische sich immer mehr in ihre Belange, gefährde damit das „duale System“ unserer Ausbildungsordnung, also die Zweigleisigkeit des Lernens (Theorie in der Schule durch Vater Staat, Praxis in der Firma durch private Unternehmungen). Andererseits fordern die Unternehmer den Staat im gleichen Atemzug auf, ihnen Steuern zu erlassen und daneben ihre Investitionen (also z.B. die Anschaffung neuer Maschinen) durch Beihilfen zu unterstützen, was letztlich auch einen Eingriff in das private Unternehmertum darstellt, bloß einen wesentlich angenehmeren!

Erfahrungen der Gewerkschaften

Doch zurück zu den Aussichten in der Zukunft: Glücklicherweise sind sich alle beteiligten Seiten einig, daß von nun an mehr Arbeitskräfte ausgebildet werden müssen, als nach der Lehrzeit zunächst an Mitarbeitern benötigt werden. Will sagen: In der Zukunft werden wieder mehr Lehrlinge gebraucht, denn wenn nach dem Jahr 1981 die Zahl der jährlichen Schulabgänger abnimmt, werden Lehrlingsanwärter erneut zur Mangelware. Um bis dahin genügend Nachwuchs für Facharneiterposten bereit zu haben, bildet man sozusagen „auf Vorrat“ aus. So wird die spätere „Lücke“ bereits im voraus geschlossen.

Während die Arbeitgeber den Staat und besonders dessen angeblich mangelnde Schulqualität für die Misere der jugendlichen Arbeitslosen verantwortlich machen, sehen es die Gewerkschaften, die traditionsgemäß auf der Seite der arbeitenden und arbeitssuchenden Bevölkerung stehen, anders. Sie meinen, daß die Bosse hier und da Arbeitsplätze „wegrationalisieren“, um dem Staat zwei Dinge klarzumachen: Erstens, wie sehr sie seine Politik für verfehlt halten, und zweitens, wer letztlich am längeren Hebel in unserem Staate sitzt. Es bleibt Euch selbst überlassen, Euch mit den Argumenten beider Seiten auseinanderzusetzen. Tatsache ist jedenfalls, daß die Gewerkschaften eine Menge Fortbildungsmöglichkeiten (auch für Nichtmitglieder!) für Arbeitslose anbieten.

Aber der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit seinen vielen Einzelgewerkschaften wie auch die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft . die beiden konkurrierenden Gewerkschaftsblöcke, haben die gleichen Sorgen. Hier ein Beispiel: Der DGB hatte im Vorjahr innerhalb eines Fortbildungswerkes in Nordrhein-Westfalen 20 000 Plätze für einen zweijährigen Kursus angeboten, der zur Berufsvorbereitung dienen sollte. Die Reaktion war gering: Lediglich 2000 Plätze, also zehn Prozent, wurden belegt. Das ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, daß dieses Bundesland in der Jugendarbeitslosigkeit zusammen mit Rheinland-Pfalz und dem Saarland an der Spitze liegt…

Initiativen sind nicht gefragt

Auf die Frage, ob es so etwas wie Initiativen arbeitsloser Jugendlicher gäbe, die den Gewerkschaften bekannt seien, vielleicht sogar von ihnen ins Leben gerufen wurden, zumindest aber gefördert werden, gibt es überall bloß Kopfschütteln. Natürlich gäbe es hier und dort junge Arbeitslose, die sich träfen, aber von Initiativen könne keine Rede sein. Ein Versuch der DAG, an Schüler und Schulentlassene heranzutreten, um gemeinsam etwas zu tun, scheiterte. „Von denen ist keiner an der miesen Situation des anderen interessiert. Denen reicht ihre eigene mißliche Lage!“ sagt ein Sprecher und weist zugleich darauf hin, wieviel sinnvoller es wäre, mit mehreren zu sprechen und Erfahrungen (ob gut oder schlecht) auszutauschen, um Unerfahrenheit vorzubeugen. Doch wenn das Interesse fehlt, kann eine Organisation nichts tun.

Beim DGB kam zum Thema Jugendarbeitslosigkeit im April 1976 eine Dokumentation in vier Teilen heraus, die sich mit dem Ausmaß (Teil Nr. 1), den Ursachen (Nr. 2), den Maßnahmen von Bund und Ländern (Nr. 3) und dem Kampf aus gewerkschaftlicher Sicht (Nr. 4) beschäftigt. Neben teilweise äußerst kritischer Argumentation wird sehr ausfährlich auf die Grundausbildungslehrgänge hingewiesen. Es gibt vier Formen:

Lehrgang eins richtet sich an Schulentlassene, die eine angestrebte Berufsausbildung aus Mangel an geeigneten Ausbildungsstellen nicht aufnehmen können, und bietet die Vorbereitung auf die betriebspraktischen Anforderungen durch Vermittlung praktischer und theoretischer Grundkenntnisse und Fertigkeiten an. Er dauert nie länger als ein Jahr und darf nicht als Vorwegnahme des 1. Lehrjahres mißverstanden werden.

Lehrgang zwei richtet sich an Schulentlassene, deren Bewerbungen um Ausbildungsstellen ihrer schulischen Leistungen wegen aussichtslos sind. Auch er dauert höchstens ein Jahr, bietet die Vorbereitung auf den Betrieb ganz gezielt an und orientiert sich an den Ausbildungsstellen, die üblicherweise an dem Ort angeboten werden, in dem der Teilnehmer wohnt.

Lehrgang drei richtet sich an arbeitslose Jugendliche, für die — aus welchen Gründen auch immer — eine Lehrausbildung nicht stattfinden kann. Er dauert normalerweise nicht länger als neun Monate und bietet bei der Vermittlung berufspraktischer Fertigkeiten auch die Berücksichtigung mehrerer Beschäftigungsmöglichkeiten in einem Berufsbereich.

Lehrgang vier richtet sich an jugendliche Strafgefangene und soll auf den Übergang in eine Ausbildung nach der Entlassung vorbereiten. Er sollte nicht länger als ein Jahr dauern und mit der Entlassung enden.

Das Bildungswerk der DAG ließ uns in seiner Schule in Frankfurt hinter die Kulissen schauen. Dazu der Schulleiter Hammer: „Im vergangenen Jahr sind in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt Frankfurt zwei Maßnahmen durchgeführt worden, an denen 69 Hauptschulabgänger mit und ohne Abschluß sowie einige Real- und Sonderschüler teilnahmen. 41 Teilnehmer wurden nach Kursende im Juni 1976 sofort in eine Lehrstelle vermittelt, 16 hatten zum damaligen Zeitpunkt noch keine endgültige Zusage, zwei nahmen an weiteren Kursen teil.“ Der Kurs dient zur Vorbereitung auf eine kaufmännische Ausbildung. Im diesjährigen Kurs, der am 1. August begann, werden von der DAG 32 Wochenstunden gegeben, darüberhinaus müssen die Schüler weitere sechs Stunden zur Berufsschule gehen. Die Kosten des Lehrgangs einschließlich der Fahrt- und Lehrmittelkosten trägt das Arbeitsamt, je nach wirtschaftlicher Lage der Eltern kann der Teilnehmer sogar noch eine Ausbildungsbeihilfe beantragen, günstigstenfalls bis zu DM 350,-im Monat.

Der Stoffplan sieht neben Maschine- und Kurzschreiben kaufmännischen Schriftverkehr, Handelsrechnen, Rechtschreiblehre, Buchführung, Rechts- und Sozialkunde sowie Betriebswirtschaftslehre vor. Auskunft in detaillierter Form erteilt die DAG-Schule, Bockenheimer Str. 72, 6000 Frankfurt/Main.

Jugendorganisationen der Parteien

Seltene Einmütigkeit in dem Bedürfnis, zu helfen, herrscht bei den Jungsozialisten (SPD), der Jungen Union (CDU/CSU) und den Jungdemokraten (FDP). Dennoch sind deren Möglichkeiten gering. Alle Gesprächspartner sind sich aber einig, daß junge Sympathisanten zunächst einmal zu ihnen kommen sollten. Natürlich sind Wunderdinge nicht zu erwarten, aber so mancher könnte eine Kontaktadresse bekommen, wo ihm weitergeholfen werden kann. Die Verbindungen zum Arbeitsamt und anderen staatlichen Stellen sind gleichmäßig gut bis sehr gut. „Tips geben wir gerne, Arbeit vermitteln können wir natürlich nicht!“, so die Auskunft bei einer der Parteien. Im Hinblick darauf ist die Äußerung eines Sprechers der CDU-Jugend, daß er aufgrund der guten Verbindungen seiner Partei zur Industrie Jugendlichen sogar sofort eine Lehrstelle besorgen könne, eher mit bitterem Beigeschmack und einiger Zurückhaltung zu betrachten… Voraussetzung für ein Hilfsangebot ist die Mitgliedschaft in der jeweiligen Partei übrigens nicht.

Fazit: Resignieren ist falsch

Nach allen Informationen, die wir Euch in den letzten drei Heften gegeben haben, kann es nur ein Fazit geben: Sich untätig mit dem stellungslosen Schicksal abzufinden, ist die schlechteste aller denkbaren Reaktionen.

Arbeitslose Zeit ist für viele von Euch eine langweilige Zeit, die — weil ein Ende nicht abzusehen ist — von Tag zu Tag aussichtsloser zu werden scheint. Wir wollten mit dieser Serie versuchen, Euch zu zeigen, daß selbst diese harte Zeit sinnvoll überstanden werden kann, wenn man sie nutzt, um für später eine günstigere Ausgangsposition zu erlangen. Mit dem Stöhnen über die eigene Situation ist es nicht getan.