Judith Holofernes über „Sing meinen Song“: „Das ist so eine Mischung aus Verknalltheit und Stockholm-Syndrom“
Bei der 5. Staffel der TV-Sendung „Sing meinen Song“ macht neben Pop-Sänger Mark Forster, Rea Garvey, Leslie Clio, Schlagersängerin Mary Roos, Revolverheld-Sänger Johannes Strate und Alphavilles Marian Gold auch die einstige Wir-sind-Helden-Sängerin Judith Holofernes mit. Wieso, weshalb, warum – darüber sprachen wir mit ihr.
Wenn sich sieben gestandene Musiker auf der Terrasse einer südafrikanischen Villa – Feuerschalen, Lampions, Traumlandschaft und Meer im Hintergrund – mit Tränen in den Augen vor laufender Kamera in den Armen liegen, weil die Song-Interpretationen der anderen ja „so schön sind“, dann ist es wieder soweit: „Sing meinen Song“ geht in eine neue Runde. In der fünften Staffel, die am 24. April 2018 startete, ist Popsänger Mark Foster zum zweiten Mal Gastgeber und damit Nachfolger von Xavier Naidoo und The BossHoss.
Das Prinzip der Sendung ist denkbar simpel: Forster lädt sechs andere mehr oder weniger bekannte, aktuelle und fast vergessene, deutsche (oder in Deutschland bekannte) Musikerinnen und Musiker ein. In einer Vorbereitungszeit tauschen sie sich aus, üben von jedem der anderen Künstlerinnen und Künstler Songs ein und kreieren daraus ihre eigenen Coverversionen. Keiner weiß, welchen Song die anderen ausgewählt haben, das erfahren alle erst am jeweiligen Konzertabend.Diesmal mit von der Partie sind neben Mark Forster die folgenden Prominenten, die man aus Funk und Fernsehen kennt oder mal kannte: Rea Garvey, Leslie Clio, Johannes Strate von Revolverheld, Schlagersängerin Mary Roos, Alphaville-Sänger Marian Gold und Judith Holofernes.
Nachdem bekannt wurde, dass auch Judith Holofernes, Ex-Sängerin von Wir sind Helden, bei dem Format mitmacht, gab es gemischte Reaktionen in den sozialen Netzwerken. Viele Fans freuten sich, eine neue Seite der Sängerin erleben zu können. Für andere wirkt „Sing meinen Song“ offenbar wie eine Art Dschungelcamp für Musiker, von denen man sonst nicht mehr viel hört oder von denen man schlichtweg nichts hören will.
In den Kommentaren unter Holofernes‘ erstem Post über ihre Teilnahme an der Sendung gab es neben vielen Glückwunschbekundungen entsprechend auch eine Portion Skepsis. Die Grundfrage mancher Nutzer war: „Wieso ausgerechnet dieses Format?“Vielleicht kommt die Kritik daher, dass die Sendung nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, sondern beim Privatsender VOX ausgestrahlt wird, der noch dazu zur RTL-Gruppe gehört. Vielleicht auch daher, weil dort eben nicht nur vermeintlich „coole“ Indie-Leute wie Judith Holofernes mitmachen, sondern im vergangenen Jahr etwa Lena Meyer-Landruth oder Michael Patrick Kelly, besser bekannt als ehemalige Kelly-Family-Mitglied Paddy Kelly.
https://www.facebook.com/judithholofernes/posts/1416886831744053
Judith Holofernes hatte weit weniger Bedenken. Kurz nach Bekanntgabe ihrer Teilnahme stellte sie sich ersten Kritikern, sammelte Fragen und beantwortete einige davon auf ihrem Blog. Da sie die Grundidee hinter dem Format spannend findet, vertraute sie ihrem Bauchgefühl: „Das, wozu die erste spontane Antwort ein ,Hell Yeah‘ ist, wird gemacht, alles was dahinter zurückfällt, alles, worüber man innere Debatten anzettelt, wird konsequent aussortiert. „Sing meinen Song“ ist für mich ein absolutes, aus der Pistole geschossenes ,Hell Yeah‘.“Wir haben Judith Holofernes kurz vor Beginn der aktuellen Staffel „Sing meinen Song“ gefragt, welche Erfahrungen sie bei den Dreharbeiten gemacht hat, wie sie mit Kritik umgeht und an welche Grenzen sie gestoßen ist, aber auch, was sie von der generellen Kritik am Pop hält und wie sie sich selbst einschätzt. Eines können wir vorweg schicken: Ja, man darf sich die Songs für die Sendung selbst aussuchen.
„Ich glaube, ich gelte als das ‘sensible, verrückte Dichterherzchen‘“: Judith Holofernes im Interview über „Sing meinen Song“
Musikexpress.de: Mal nichts gegen das Konzept der Sendung. Aber ein bisschen anstrengend war die geballte „Über“-Emotionalität an ihrem Ende bisher schon. Alle finden alles, toll-toll, alles super-super, alles machen auf heile Welt. Versetzt das Songcamp in Südafrika seine Teilnehmer wirklich in diese Art emotionale Trance? Oder wirkt das nur im Zusammenschnitt so extrem?
Judith Holofernes: Ich hab’ mich auch immer gefragt, wie das zustande kommt! Es ist schon ungewöhnlich, wie entspannt die Leute da rüberkommen. Das kann man mögen oder nicht – die Sendung ist eh nichts für Leute, die stark über Abgrenzung funktionieren. Sie ist definitiv nicht cool, sondern eher was für Warmblüter. Jetzt, nach Drehende, würde ich sagen: Dieses Kuschelige, das Innige, das wird schon in der Vorbereitungszeit angelegt. Man hat sich ja zu dem Zeitpunkt, wo man in Südafrika aufeinandertrifft, schon monatelang miteinander beschäftigt. Dazu kommt, dass jeder dort über seinen Schatten springen und sich ordentlich nackig machen muss. Und Nacktheit führt bekanntermaßen zu Intimität. Das ist so eine Mischung aus Verknalltheit und Stockholm-Syndrom, wahrscheinlich.
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In Deinem Blog beschreibst Du die Stimmung als eine Art „Klassenfahrt“-Vorfreude. Gab’s trotzdem auch Probleme und Reibereien, mit denen Ihr als Gruppe klarkommen musstet?
Nee, eigentlich nicht. Aber für einen echten Grubenkoller ist die gemeinsame Zeit dann doch zu kurz. Tatsächlich verwenden die Macher der Sendung zudem viel Hirnschmalz darauf, nur Leute auszusuchen, von denen sie denken, dass die gut miteinander klarkommen müssten. Und, was man nicht vergessen darf: Es ist absolut unwirklich schön dort, der weite Himmel, das Licht – und das im Berliner Februar! Da kann man schon mal unangemessen gut drauf kommen, so als Gruppe.
Bist Du bei der Arbeit an den Songs anderer an Deine musikalischen und persönlichen Grenzen gestoßen?
Absolut! Ich fand das teilweise wahnsinnig schwer. Das ist es ja, was daran so Spaß macht! Es ist im Grunde ein Gesellschaftsspiel, aber trotzdem muss man viel reinstecken, um sich die Songs zu eigen zu machen und damit wohl zu fühlen. Ich habe Songs übersetzt, Parts dazu erfunden, kommentierende Chöre geschrieben. Und wirklich wahnsinnig viel geübt.
Ging irgendetwas für Dich gar nicht?
Am Ende hab’ ich mir eine Erkältung eingefangen und war die ganze Zeit heiser. Dadurch konnte ich eigentlich keinen Song so singen, wie ich wollte, aber wenn man mal dort ist, ist einem das irgendwie egal. Die Leute, die mich seit Heldenzeiten nicht mehr verfolgt haben, werden jetzt eben denken: Ah, die Holofernes, die singt jetzt wie Bonnie Tyler.
Ich glaube nicht, dass jemand, der mich über die Jahre eng verfolgt hat und wirklich mag, wegen der Teilnahme an so einer Sendung vom Glauben abfällt.
Ein Großteil der Zuschauer von „Sing meinen Song“ kennt Deine Songs wohl eher nicht. Was glaubst Du, wie sie Dich wahrnehmen?
Keine Ahnung. Obwohl, eine Ahnung habe ich! Man kriegt ja so ein bisschen mit, vor Ort, wie man so „erzählt“ wird, in der Sendung… Ich glaube, ich bin das „sensible, ein bisschen verrückte Dichterherzchen.“ Damit komme ich ganz gut klar! Hätte deutlich schlimmer kommen können.
Stört es Dich nicht, dass die gleichen Leute die diese Sendung gut finden, womöglich auch Santiano, Xavier Naidoo, Freiwild oder Helene Fischer gut finden?
Nee, das stimmt so auch nicht. Die Sendung gucken wahnsinnig unterschiedliche Leute, und die meisten sind tatsächlich einfach Fans von dem Format an sich. Da werden schon auch ein paar dabei sein, die mit meinen Sachen was anfangen können. Und die anderen kriege ich ja spätestens beim ersten Konzertbesuch wieder abgeschüttelt. Außerdem habe ich den Songs, die ich in der Sendung singe, ganz schön meinen Stempel aufgedrückt. Insofern werden sich wahrscheinlich nicht allzu viele völlig abwegige Leute zu mir verirren.
Viele Deiner Fans reagierten sehr positiv auf Deine Entscheidung bei „Sing meinen Song“ mitzumachen, andere reagierten eher ratlos oder teilweise verachtend – hättest Du mit so viel Diskussionspotential im Vorfeld gerechnet?
Ich bin selbst ein bisschen erstaunt darüber, wie wenig es mich kratzt, was da irgendwer drüber denkt. Ich bin eigentlich nur anfällig für Kritik, wenn ich selbst unsicher bin, oder wenn ich mich zu etwas hab überreden lassen, was ich dann selber scheiße finde. Das hier hat mir so viel Spaß gemacht, da kann mir eigentlich keiner was. Ich glaube nicht, dass jemand, der mich über die Jahre eng verfolgt hat und wirklich mag, wegen der Teilnahme an so einer Sendung vom Glauben abfällt. Das wäre dann von vornherein ein Mißverständnis gewesen zwischen uns.
https://www.facebook.com/judithholofernes/posts/1418578934908176
Nervt Dich manchmal die Kritik am massentauglichen Pop? Denkst Du, dass die deutsche Kulturlandschaft damit ein spezielleres Problem hat, als zum Beispiel Großbritannien oder die USA?
Absolut. Ich habe noch nie entlang dieser Demarkationslinien geliebt, und gerade international sind ja oft sehr innovative und schräge Sachen ultraerfolgreich. Aber auch für guten, straighten Pop kann ich mich immer wieder sehr begeistern. Wie Dave Grohl so schön gesagt hat: „There´s no such thing as a guilty pleasure. You love something or you don´t.“ Und bei mir kommt dazu, dass ich mich schnell langweile. Wenn Sachen und Diskussionen und Sichtweisen sich zu sehr wiederholen, dann kriege ich fast sowas wie Liebeskummer, mit der Musik an sich. Alles, was mich amüsiert und mich bei Laune hält, hat bei mir deshalb erstmal einen guten Stand.
Auf ihrem eigenen Blog hat sich Judith Holofernes schon im Vorfeld intensiv mit dem Thema „Sing meinen Song“ und der Frage nach ihrer Teilnahme auseinandergesetzt. Auch während der aktuellen Staffel wird die Sängerin über ihre Erfahrungen während der Dreharbeiten berichten.
Wer sich selbst ein Bild über die Sendung und die Teilnehmer machen möchte: „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ wird über acht Folgen seit dem 24. April jeden Dienstag um 20.15 Uhr auf VOX ausgestrahlt. Die Folge mit den Coverversionen der anderen Teilnehmer von Judith Holofernes‘ Songs wird am 15. Mai ausgestrahlt.
Musikexpress präsentiert: Judith Holofernes auf „Ich bin das Chaos“-Tour 2018 – die Live-Termine im Überblick
- 17.11. München, Alte Kongresshalle
- 18.11. Stuttgart, Theaterhaus
- 19.11. Jena, Kassablanca
- 20.11. Dresden, Scheune
- 24.11. Northeim, Stadthalle
- 25.11. Köln Gloria, Theater
- 26.11. Berlin, Admiralspalast
- 28.11. Ludwigshafen, dasHaus
- 29.11. Ingolstadt, Kulturzentrum neun
- 30.11. Darmstadt, Centralstation
- 03.12. Rostock, MAU Club
- 04.12. Hamburg, Mojo Club
- 05.12. Osnabrück, Rosenhof