Hirnflimmern-Kolumne

Hirn im Abklingbecken: Chilly Gonzales, spiel‘ den Klimawandel auf dem Klavier!


Wenn das Nervenkostüm schon zu Jahresanfang spannt, ist daran nicht der Winterspeck schuld. Die aktuelle – und angesichts der Weltlage sehr schlecht gealterte – Popismus-Kolumne von Josef Winkler, die er vor ein paar Wochen für die ME-Ausgabe 03/2022 schrieb.

Haben Sie’s gehört? Heftige Ansage der neuen Regierung Anfang des Jahres: „Die Bundesrepublik Deutschland lehnt die friedliche Nutzung der Atomenergie ab.“ Well … That escalated quickly! Hätte man denken können, und mir schwebte schon die „Bild“-Schlagzeile vor: „Ampel droht mit nuklearem Erstschlag!“ War aber dann doch anders gemeint.

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Im Radio haben sie vorhin gesagt, dass man als Autor/in heute über gar nichts anderes mehr schreiben kann und sollte als den Klimawandel. Ich hab’ nicht mitbekommen, ob das auch für Popkolumnen gilt, ich täte mich jedenfalls schwer damit, weil ich den Klimawandel – unter uns – gerade überhaupt nicht mehr packe. Ich bring’ den nicht mehr unter in meinem Nervenkostüm, genau wie die „Corona-Kritiker“ mit ihrem Scheiß.

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Ich bin da mittlerweile mürbe im Gemüt. Und wenn’s dann wieder losgeht mit Statistiken über Hitzerekorde, Impflücken und Intensivbetten, mit Berichten über brennende Urwälder am Amazonas und bedrängte Journalist/innen auf „Querdenker“-Demos, dann wird die Beklemmung resp. das sündhafte Verlangen, einmal einem von diesen „Spaziergängern“ ein bissl die körperliche Unversehrtheit zu beeinträchtigen, so drängend, dass ich auf den Seniorenpopsender umschalten muss – in der Hoffnung, dass da gerade Bonnie Tyler singt und mein Hirn sich ins Abklingbecken der für meine Generation eskapismustechnisch so hochwirksamen 80ies-Nostalgie legt.

Darf man es wagen zu sagen, ganz leise: „Chilly Gonzales nervt leicht“

Haben Sie daher bitte Verständnis, wenn ich bei den hier zu verhandelnden Problemen etwas weiter unten ansetze. Etwa bei: Chilly Gonzales. Darf man es wagen zu sagen, ganz leise: „Der nervt leicht.“ Mal aus meiner persönlichen Warte gesprochen: Wenn ich kundig darüber referiere, wie sublim bei ABBA die chord progressions ineinandergreifen, um sodann über das seltsame Menschenbild und die irritierende Kriegsmetaphorik von „Waterloo“ anzuheben, dann ist das – pfui! – „mansplaining“. Klar.

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Aber wenn Chilly Gonzales auf seinem Channel erklärt, dass „Last Christmas“ ein ziemlich guter Popsong ist, dann „feiern“ das alle „hart“. Weil: Wenn Chilly Gonzales „Last Christmas“ nur auf dem Klavier spielt und erläutert, wo da die Subdominante ist, dann merkt man auf einmal: Hey, das ist ja voll der gute Popsong! Danke Chilly. Wir erbitten da noch mehr Hilfestellung. Vielleicht kann er mal „Don’t Look Back In Anger“ nur auf dem Klavier spielen, da würde sicher mancher Groschen fallen, wie geil das ist. Oder die „Matthäus-Passion“. Oder „Citizen Kane“!

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Oder den Eiffelturm! Man stelle sich vor, Chilly Gonzales spielt den Eiffelturm auf dem Klavier! Wir würden alle endlich begreifen, wie imposant der in Wahrheit ist. Oder noch besser: Soll der Chilly Gonzales doch mal den Klimawandel auf dem Klavier spielen, damit die Leute endlich checken, dass der total bedrohlich ist. Vielleicht sogar die FDP! Ah, sehr gut. Jetzt hab’ ich das Thema doch noch untergebracht.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 03/2022.