Jonny Cash – Hänschen Barzahlung


JOHNNY CASH ist heute, 22 Jahre nach Beginn seiner Karriere, ein Superstar, der aus der Country- und Western-Szenerie nicht mehr wegzudenken ist. Mit seinem knarrenden Bariton und seiner schon unglaubwürdigen Gottgläubigkeit scheffelt er die Dollars wie ein Schauermann auf einem Kohledampfer. Er ist der "tough guy" einer Nation, die gerade jetzt solche Idole braucht, geschickt aufgebaut durch seine Plattenfirma, die ihn noch immer als den Außenseiter der Gesellschaft verkauft, aber auch als Sprachrohr der sogenannten schweigenden Mehrheit in den Staaten.

Berichtigen wir doch gleich zu Beginn die Sage, die Legende, die sich um Johnny Cash gebildet hat und von ihm auch tatkräftig mitgestrickt worden ist. Er ist weder ein Knastbruder noch ein LSD-Tripper, auch kein Mörder, wie man uns weismachen wollte, ja er ist noch nicht einmal der mißratene Sohn einer ehrlichen und stockkonservativen Baptistenfamilie.

Im Sommer 1969, als die Popularität der C&W-Musik auch auf den Folk- und Popsektor übergriff, hatte sich diese Legende bereits verselbständigt, und für die Beteiligten war es zu spät, um etwas von diesen Dingen abzustreichen. Man tat auch gut daran. Denn die Lieder, die er zu dieser Zeit sang, angereichert mit Verzweiflung und meist einen halben Ton zu tief interpretiert, paßten genau in diese Legende vom „Outlaw“.

Cash auf der Bühne im schwarzen Anzug, wie ein eleganter Bestattungsunternehmer, seine Gitarre wie ein Maschinengewehr auf die Menge gerichtet, mit tiefliegenden Augen und dem Leid der Menschheit im Gesicht, das klang nach Jüngstem Gericht, nach Inferno, nach Botschaft und auch etwas nach Vergewaltigung. Das faszinierte und kam an. Diese kleinen Mosaiksteine, sein Habitus, seine Holzfällerstatur, seine Räucherkammerstimme und seine Verletzlichkeit summierten sich zu einem ungeheuren Wust von Dichtung und Wahrheit, den er schließlich selbst nicht mehr entwirren konnte. Er wurde eine charismatische Gestalt im Show-Business. Die meisten glaubten wirklich, daß Cash im Folsom Prison gesessen habe und daß seine dort aufgenommene Live-LP im Februar 1968 das reinste Beispiel dafür sei, wie ein Künstler seine tatsächliche Lebenserfahrung zum Ausdruck bringen kann. Bei Richtigstellung der Fakten stürzten Welten ein. Das Publikum wollte die Legende um Johnny Cash glauben, und wenn es keine neuen Cash-Geschichten zum Weitererzählen gab, erfand man einfach eine.

A true story

In Wirklichkeit wurde Johnny Cash am 26. Februar 1932 in der Nähe von Kingsland, Arkansas, geboren. Tatsache ist weiterhin, daß er und seine sechs Geschwister eine harte Kindheit hatten. Sein Vater, Ray Cash, versuchte, so gut es eben ging, seine vielköpfige Familie mit Gelegenheitsarbeiten über die Runden zu bringen. Wie Millionen andere auf der ganzen Welt bekam auch die Familie Cash die Nachwehen der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu spüren. Im Jahre 1935 gibt Präsident Roosevelt im nördlichen Teil von Arkansas ein großes Stück Land zur Besiedlung frei. Auch die Cash-Familie hatte Sehnsucht nach einem eigenen Fleckchen Erde und zog nach Dyess. Während der nächsten 15 Jahre half Johnny seinem Vater und seinen Brüdern bei der Landbestellung und pflanzte Baumwolle. Erst mit 18 kam er dort heraus,

ging zur Air Force und wurde nach Deutschland versetzt Während der Stationierung in Deutschland hatte er reichlich Muße, um Gitarre spielen zu lernen, und er beschließt, nach der Rückkehr in die Staaten, irgendwie in die Country-Musik einzusteigen. Am 4. Juli 1954 kehrt er als Stabsfeldwebel in die USA zurück. Er wird ehrenvoll aus der Armee entlassen und nicht, wie die Legende uns verklickern will, unehrenhaft. Außer einer Narbe auf der Wange, die ihm ein angetrunkener Arzt beigebracht hat, als er eine Zyste entfernen wollte und nicht fand, und einer zeitweiligen Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr ist er unversehrt. Bei seinen Leuten wartet auch ein Mädchen aus San Antonio auf ihn. Sie heißt Vivian Liberto, und während der Armeezeit von John hatten sie sich regelmäßig geschrieben. Einen Monat nach Johns Entlassung ist sie seine Frau. Dann wartet Johnny Cash in Memphis auf seine Chance und versucht, seinen Fuß zwischen die Tür zu schieben, die da C&W heißt. Er schreibt sich in einer Schule für Rundfunksprecher ein und lebt davon, daß er als Treppenterrier Haushaltsgeräte verkauft. Als man ihn schließlich bei Sun Records anhört, hat er es geschafft. „I Walk The Line“, noch heute eines seiner Markenzeichen, wird 1956 gepreßt, unmittelbar im Anschluß an die ursprüngliche Aufnahme seines Folsom Prison Blues, den er übrigens schrieb, nachdem er einen Film über Folsom gesehen hatte. Mit diesen Songs fand Cash ein aufnahmebereites Publikum. Noch im selben Jahr wird er zum „most promising artist“ gewählt. Er macht Tourneen durch das ganze Land, zieht nach Kalifornien und wird so nach und nach Vater von vier Kindern. Aber dann kommen böse Zeiten…

Bad times

An diese bösen Zeiten kann sich Cash auch heute noch nicht vollständig erinnern. Um dem Streß der Tourneen und Konzerte standzuhalten, beginnt er ungefähr 1961 Dexedrine, ein Anregungsmittel, zu schlucken. Das pulvert ihn zwar auf, aber um sich wieder zu entspannen, braucht er Beruhigungspillen. Plötzlich ist er im Teufelskreis der Tablettenabhängigkeit gefangen, und die Tablettenspirale dreht sich immer schneller. Einen großen Teil der nächsten sechs, sieben Jahre verbringt er im Nebel der Uppers und Downers. In seinem Buch „Man in Black“ widmet er dieser Zeit fünf Kapitel. Er entdeckt, daß er nach Einnahme einiger „Bennies“ kein Lampenfieber mehr hat, redselig und gut gelaunt ist. Aber er merkt auch, daß seine Freunde sich über seine „Nervosität“ lustig machen. Im Pillenrausch fährt er jede Menge Autos zu Schrott oder rast so weit in die Wüste und Berge von Kalifornien hinein, bis er am Steuer vor Erschöpfung nicht mehr weiterkann. Je länger er Pillen nimmt, um so unberechenbarer und gewalttätiger wird er. Seine Frau reicht die Scheidung ein, und als der Manager der Grand 01 Opry in Nashville ihn nach einem mißlungenen Auftritt hinauswirft, ist Johnny Cash ein gebrochener Mann. Er setzt sich in seinen Wagen und wacht mit gebrochenem Kiefer und zerdepperter Nase in der Unfallstation eines Krankenhauses wieder auf. Für viele, die ihn kannten, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann er abkratzen würde. Cash und seine Band, die erstaunlicherweise, trotz allem was geschah, intakt blieb, fingen an, zu Auftritten einfach nicht zu erscheinen, und wenn sie doch kamen, hätten sie es manchmal besser bleiben lassen. Wenn ihm unterwegs ein Hotelzimmer nicht paßte, pflegte er die Wände und die gesamte Einrichtung schwarz anzustreichen, oder er kürzte sämtliche Tische und Stuhlbeine mit einer mitgeführten elektrischen Heimwerkersäge. Wie man sieht, sind derlei Späßchen nicht von den Who oder den Rolling Stones erfunden worden. Die sangen zwar „Paint It Black“, aber Cash tat es. Publik wurden die Dinge im Oktober 1965, als Cash auf dem Flughafen von El Paso festgenommen wurde – mit 648 Weckaminen und 475 Tranquilizer-Tabletten, die er in seinen Strumpf gestopft und in seiner Gitarre versteckt hatte. Er verbringt seine erste Nacht im Knast, wird gegen Kaution freigelassen und später zu 1000 Dollar Geldstrafe verknackt. 1967 hat er es auf den traurigen Rekord von fast hundert Pillen Tageskonsum gebracht.

Und dann fand in einem kleinen Nest in Georgia an einem Abend im Jahre 1967 alles sein Ende. Cash, damals auf 70 Kilo abgemagert, wachte in einer Polizeizelle auf. Der wachhabende Beamte, ein Cash-Fan, erzählte ihm, wie man ihn gefunden habe, mehr tot als lebendig herumtorkelnd, so daß sogar eine Mundzu-Mund-Beatmung erforderlich gewesen sei. Cash erschrak zu Tode und drehte sich um 180 Grad.

Good times

Ein paar Monate später heiratet er in einer stillen Trauung die Frau, die er schon lange liebt: die zierliche June Carter von der Carter-Family. Für das Show-Business war diese Ehe ein gefundenes Fressen: dieser ungeschlachtete Riese von Mann und die schmale, zerbrechliche June, die außerdem noch aus einer der großen Familien der Country-Musik stammte. Es dauerte nicht lange, da war Cash wieder ganz oben. Auflagenstarke Illustrierte bestürmten ihn um Interviews, Folsom Prison Blues wurde in einer LP neu aufgelegt, die Cash nicht nur eine Goldene, sondern auch allerhöchstes Lob für den von ihm selbst geschriebenen Titelsong einbrachte. Er bekam Fernsehangebote, sein Preis für ein Konzert schnellte auf 20 000 Dollar hoch, für die Studenten und Hippies wurde er zum Volkshelden, und im Jahr 1969 kassierte er schätzungsweise 2 Millionen Dollar brutto. Die schwarzen Tage hinter sich, war er aus dem Nichts wieder da. Er wurde ein Idol: Johnny Cash Superstar. Und jedem, der es wissen wollte, machte er klar, daß die kleine June ihn aus dem Pillensumpf gerettet habe. Er gab Benefizkonzerte für Strafgefangene und Indianer, wirkte auf Dylans LP Nashville Skyline mit und schwenkte geschickt auf diesen Trend ein, indem er einige folkorientierte Platten machte, die ihm ein neues Publikum einbrachten. Aber die politische Haltung, die für ihn dahintersteht, ist brüchig, denn gleichzeitig trat er für den Vietnam-Krieg ein und haute seinen jungen Verehrern einen Song wie „The one on the right is one on the left“ um die Ohren, in dem er allen Folksängern den Rat gibt, sich aus der Politik herauszuhalten und lieber richtig Banjo oder Gitarre zu lernen.

Heute gibt er weder solche Ratschläge noch kann man ihn musikalisch zu einer Stellungnahme bewegen. Er gospelt, was die Stimme hergibt und seine Gitarre aushält. Er singt von Jesus und Erlösung, davon, daß Gott uns alle liebt, wir müßten nur genügend Vertrauen in seine Liebe haben. Er ist zu einem Prediger geworden, der etwas dick aufträgt, wenn es um seinen Glauben geht. Seine Texte lassen keinen anderen Schluß zu:

„Aus der Schrift hab ich vernommen, Jesus wird bald wiederkommen, Denn die Zeichen weisen ihn schon aus. Auch in den Träumen kann man lesen, Bald wird uns der Herr erlösen, Gleich hinter den Bergen sind wir zu Haus.“

Streitet Johnny Cash damit für eine bessere Gesellschaft? Wohl kaum.