Jon Spencer Blues Explosion
Kaum steht der Support-Act Andre Williams vor dem Mikro, läßt er die Augen blitzen, wackelt obszön mit der Hüfte und legt los. Bellt How-how-how-how. Flüstert obszöne Dinge in eine Flüstertüte. Und nach dem dritten Song liegt die Jacke am Bühnenrand, das Hemd ist bis zum Bauchnabel offen und die Goldkette funkelt auf dem braunen Oberkörper gleich noch viel provokanter. Kein Zweifel: Dieser Mann kommt direkt vom Ludentreffen Downtown New Orleans und hat spontan sein Hobby zum Beruf gemacht. Jede Geste hat soviel ungeballte Kraft, Witz und Stil, daß man sich beinahe Gedanken macht, wie Jon Spencer diese Leistungsschau der Hormone übertreffen wird. Übertroffen hat er sie dann schließlich auch nicht, aber er konnte das Niveau gut halten. Auch Jon Spencer kratzt den Schorf von der Wunde, bis er wieder an der Schnittstelle ankommt, wo aus Rhythm ’n‘ Blues einst Rock ’n‘ Roll wurde. Spencer setzt auf Schärfe und Geschmeidigkeit und ist nicht ganz so roh wie die Combo von Williams. Herausfordernd reckt er das Kinn nach vorne. Hey, come on, während der Sound von zwei Gitarren plus Drums als ungebremster Rückenwind durch die Boxen bläst. Verdammt gut sieht auch er aus in seinem roten Hemd und der Silberhose: Immer wieder tänzelt er vor seinem Drummer auf der Bühne herum, fordert vom Publikum überflüssigerweise „Ladies and Gentlemen, let’s have a party“ – und fällt immer wieder auf die Knie. Die Remix-Experimente seines neuen Albums „Acme“ auf die Bühne zu bringen, das versucht er erst gar nicht. Es hätte diesem impulsiven Derwisch auch sicher zu viel Untätigkeit abverlangt, mal eine Minute auf der Bühne nichts zu tun. Schon bei „Do You Wanna Get Heavy“, bei dem ein Soul-Chor vom Band eingeblendet wird, wankt er mit schmerzverzerrtem Gesicht in Richtung Boxen. Um dann wie der Blitz wieder vors Mikro zu eilen und zu zeigen, daß immer noch er es ist, der die Lunte anzündet, wenn der Blues explodiert.