John McLaughlin – von Gurus und Gitarren
Lange Jahre kultivierte er den zweifelhaften Ruf, "der Welt schnellster Gitarrist" zu sein. Daß er sich obendrein als "Gottes Instrument" bezeichnete und sein Heil bei einem indischen Curu suchte, machte ihn für viele Kollegen und Kritiker noch suspekter. Doch der McLaughlin von 1985 ist ein anderer: Als er unlängst mit seinem neuen Mahavishnu Orchestra auf Tournee kam, war von seiner Arroganz und Profilsucht nichts mehr zu spüren.
Das erste Mahavishnu Orchestra, Anfang der 70er Jahre auf dem kreativen Höhepunkt, ist heute bereits eine Legende. Es war eine der ersten Bands, die Jazz- und Rock-Hörer gleichermaßen begeisterte, vielleicht die Inkarnation des Rock-Jazz schlechthin. Das Quintett, in den neben John McLaughlin der Geiger Jerry Goodman, Keyboarder Jan Hammer, Bassist Rick Laird und Schlagzeuger Billy Cobham mit von der Partie waren, verband in seinen besten Momenten exemplarisch die urwüchsige Kraft der Rockmusik mit der Improvisationstechnik des Jazz, baute gigantische Klangtürme auf, wetteiferte in Soli mit Overdrive. Dreh- und Angelpunkt war John McLaughlin, der seiner Gitarre nicht nur ungeahnte Klänge entlockte; mit enormer Technik und aberwitziger Geschwindigkeit ließ er seine Finger übers Griffbrett gleiten und galt bald als schnellster Gitarrist, als „the one, the killer“ wie ihn Über-Vater Miles Davis einmal bezeichnete.
Kein Geringerer als der Trompeter war es auch, der dem 1942 in Yorkshire geborenen Engländer zum Durchbruch verhalf. Das geschah Ende 1968, als McLaughlin. der zuvor in den Bands von Georgie Farne, Brian Auger, Graham Bond u.a. gespielt hatte, nach Amerika aufbrach, um dort sein Glück zu versuchen.
„13 Jahre lang hatte ich begeistert die Musik von Miles Davis gehört – und dann kam ich in Amerika an, traf ihn am ersten Tag und fand mich am drauffolgenden neben ihm im Studio wieder. Das war etwas, was ich mir nie hätte träumen lassen. Da stand ich also und sollte für den Musiker spielen, den ich lange Jahre vergöttert hatte. Ich zitterte wie Espenlaub und war so aufgeregt wie noch nie in meinem Leben. „
Angesetzt waren die Aufnahmen zu BUCHES BREW, mit dem Miles Davis den Rock-Jazz endgültig aus der Taufe hob. Bei Erscheinen der Platte war der Gitarrist praktisch über Nacht ein Star, zumal Jazz-Pionier Miles ihm darauf ein eigenes Stück gewidmet hatte.
In der Folge spielte McLaughlin abwechselnd bei Davis und der Lifetime-Gruppe von Schlagzeuger Tony Williams, bevor er 1971 das erste Mahavishnu Orchestra ins Leben rief. Zwei grandiose Alben, THE INNER MOUNTING FLAME und BIRDS OF FIRE, enstanden und überwanden auch beim breiten Publikum die Barrieren zur Rockmusik.
McLaughlin selbst schien das Stardasein allerdings von Tag zu Tag immer weniger zu verkraften. Unter Anleitung seines Gurus Sri Chinmoy flüchtete er sich in indische Philosophie und verkündete verklärt: „Gott ist der höchste Musiker, ich bin das Instrument, auf dem er spielt. „
Und als dieses „göttliche Instrument“ immer stärker dominieren wollte, Goodman, Cobham und Co. immer weiter in den Hintergrund gerückt wurden, war das Ende vorprogrammiert. Anfang 1974 zerbrach das hochdotierte Quintett am messianischen Sendungsbewußtsein seines Leaders.
Der freilich machte unverdrossen weiter. Mit Jean-Luc Ponty, Gayle Moran, Michael Waiden, Stu Goldberg u.a. holte er sich neue Musiker für ein neues Mahavishnu Orchestra, das indes nie die Intensität seines Vorgängers erreichte. Zwei Jahre später, die Rock-Jazz-Welle hatte ihren ersten Zenit bereits überschritten, war auch das zweite Orchestra am Ende.
Für McLaughlins Musik sollte dies endlich die Wende zu Besserem bringen. Gleichzeitig mit dem Ende der Band löste sich der Gitarrist von den strengen religiösen Fesseln, verzichtete auf seinen Beinamen Mahavishnu, brach seine Abstinenz mit Genußmitteln wie Nikotin und Alkohol und kam wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Die Tatsache, daß er sich nun entschloß, endlich offen seiner Liebe zur fernöstlichen Musik zu frönen, entpuppte sich als Glücksgriff. Zusammen mit drei indischen Musikern gründete McLaughlin die Formation Shakti, verzichtete auf den ganzen Verstärker-Park und die elektrische Gitarre, setzte stattdessen eines der eigenwilligsten und perfektesten Ensembles der „Jazz meets the World“-Bewegung in Szene.
„Ich liebe indische Musik und was da für manche Hörer leicht und beschwingt klingen mag, ist die komplizierteste Art von Musik, die ich je gespielt habe. Was Shakti macht, ist für mich schwierig, anspruchsvoll und einzigartig. Ich kenne jedenfalls keine andere Gruppe auf dieser Welt, die diese Art von Musik so spielen kann.“
Kommerzieller Erfolg war Shakti nicht beschieden und deshalb beschränkte John McLaughlin seine Aktivitäten auf den fernen Osten.
In Europa und den USA gab er 1978 wieder eine bekanntere Visitenkarte ab. Darauf stand „John McLaughlin – Elextrix Guitarist“ – und geheftet war sie auf das Cover eines gleichnamigen Albums. Unterstützt von der versammelten Rock- und Jazz-Prominenz, von Carlos Santana und Jack Bruce, Tony Williams und Jack DeJohnette, Chick Corea und Stanley Clarke, sogar Jerry Goodman und Billy Cobham aus alten Tagen, schwelgte er wieder im Fusion-Lager, zeigte sich dabei aber in besserer Form als mit dem zweiten Mahavishnu Orchestra.
Aber das Auf und Ab in seiner Karriere sollte trotzdem weitergehen. Mit der One Truth Band und den Soloalben BELO HORIZONTE und MUSIC SPOKEN HERE lieferte er nur biedere Hausmannskost.
Wohl auch deshalb fühlte sich der Meister immer wieder zu Shakti hingezogen. Er plante mit dem Quartett eine ausgedehnte Südostasien-Tournee, die dann aber aus zeitlichen Gründen abgesagt werden mußte. Ein glücklicher Umstand, wie sich nachträglich herausstellen sollte.
„Es brannte mir regelrecht in den Fingern; ich wollte unbedingt wieder akustische Gitarre spielen. Da dachte ich an Paco DeLucia und daran, wie reizvoll es wäre, mit ihm zu spielen. Damit war die Idee für das Gitarren-Trio geboren.“
Zuerst mit Larry Coryell, dann AI DiMeola als drittem Mann, wurde es McLaughlins bislang erfolgreichstes Projekt. Umjubelte Tourneen in Europa und Amerika brachten neue Fans, die dafür sorgten, daß die beiden Trio-Platten FRIDAY NIGHT IN SAN FRANCISCO und PASSION, GRACE & FIRE sich sogar in den Pop-Hitlisten plazieren konnten.
Und die Spielfreude, die diese Drei ausstrahlten, die gitarristischen Parcours-Ritte, mit denen sie sich gegenseitig zu übertreffen suchten, die Gitarren-Kabinettstückchen, die sie voller Charme und Esprit zauberten, waren in der Tat furios.
„Wieviel Arbeit dahintersteckt, ahnen freilich nur die wenigsten. Es ist alles andere als leicht, zwischen drei so unterschiedlichen Musikern Harmonie zu erreichen. AI und Paco spielen in einem gewissen Sinn ganz anders als ich.
Aber das macht unsere Musik erst interessant. Sie ist deshalb immer unvorhergesehenen Wendungen unterworfen.
Nichts ist vorprogrammiert, alles entwickelt sich bei jedem Treffen neu und anders. Und das ist wirklich gut so. Ich wollte nie mit einem Gitarristen zusammenspielen, der etwas Ähnliches macht wie ich. Ich klinge wie John McLaughlin, und das genügt mir.“
Es ist ein gewandelter John McLaughlin, der dies sagt – ein Musiker, der eher noch virtuoser geworden ist, sich selbst aber nicht mehr als Aushängeschild sieht. Seit seinen Erfahrungen mit Shakti, so sagt er, ist er ruhiger geworden, bescheidener auch und umgänglicher. Und als er in der Mitte des vergangenen Jahres wieder eine elektrische Gruppe gründete, wagte er gar, sie wieder Mahavishnu Orchestra zu nennen. Er wußte, daß sein Ego sie nicht erdrücken würde.
McLaughlin, das wurde bei der jüngsten und ersten Deutschland-Tournee dieses neuen Ensembles deutlich, begreift sich als Mitglied einer Gruppe – und nicht deren autoritärer Boß. Und auch Schnelligkeit ist nicht länger Trumpf. Seinen Mitspielern, dem Schlagzeuger Danny Gottlieb, dem Saxofonisten Bill Evans, dem Bassisten Jonas Hellborg und vor allem dem bemerkenswerten Newcomer an den elektronischen Keyboards, Mitchell Forman, räumt er viel Platz für eigene Improvisationen ein, spielt sie nicht gegen die Wand.
Im Gegenteil. An den neuen John McLaughlin, der den Gitarren-Synthesizer entdeckt hat und nunmehr mit den unterschiedlichsten Sounds experimentiert, muß man sich erst einmal gewöhnen. Er klingt mal wie ein Flötist, dann wie ein Pianist, zaubert Klänge, die denen von Pat Metheny nicht unähnlich sind.
Solchermaßen bestärkt ist John McLaughiin anno 1985 aktiv wie nie, tanzt auf einer elektrischen und akustischen Hochzeit, zaubert mit Mahavishnu neue Klänge, will schon bald wieder mit dem Gitarren-Trio zusammenarbeiten und hat feste Pläne, nach einer siebenjährigen Pause mit Shakti auch wieder in unseren Breitengraden aufzutreten.
Mit Miles Davis war er gerade im Studio – und auch sonst, so erklärt er augenzwinkernd, will er noch mit einigen Überraschungen aufwarten. Und auf die darf man wohl mit Recht gespannt sein.