John Lydon
Um ein Haar hatte es sich John Lydon bei allen verschissen: Clinch mit Ex-Produzent Bill Laswell, Alt-Konflikt mit Malcolm McLaren, Krieg mit den Band-Musikern. Und trotz neuer Kapelle, Album und Sound-Spielchen legte er sich auch noch mit ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake an.
Lassen wir diese Geschichte in New York beginnen, in einem schmierigen mexikanischen Restaurant am unteren Ende des Broadway. Es ist Frühstückszeit, hauptsächlich deswegen, weil die letzte Bar gerade zugemacht hat, ein paar Leute aus dem Musikbusiness sind hier wie gestrandete Wale angespült worden, zusammen mit einem weiteren Häuflein erschöpft aussehenden menschlichen Strandguts. Ich spüle einen Teller Chili plus undefinierbare Beilagen mit Unmengen starkem schwarzem Kaffee herunter. Mit am Tisch sitzen Bassist und Produzent Bill Laswell und Robert Musso, Gitarrist von Machine Gun, einer phantastischen neuen US-Band. Ein schmutzigblondes weibliches Überbleibsel aus seligen Punk-Tagen stakst auf Bleistiftabsätzen zur Jukebox und schmeißt eine Münze ein. Kraftvolle Akkorde dröhnen aus der Maschine, es sind die Sex Pistols mit „Pretty Vacant“. Um sechs Uhr morgens in New York. Kaffee und Johnny Rotten schaffen es beinahe, mich wieder aufzuwecken.
„John Lydon hatte schon was, damals“, sagt Musso bewundernd.
„Und jetzt hat er nichts mehr“, schließt Laswell das Thema unwirsch ab.
Laswell hat ALBUM produziert, bis heute immer noch Lydon-Public Images stärkste Platte, und Laswells Idee war es auch, Lydon und Afrika Bambaataa auf Time Zones „World Destruction Time“, einer der erstaunlichsten Singles der 80er, zusammenzubringen. Letztes Jahr war der Produzent mit der derzeitigen PIL-Besetzung (Gitarrist John McGeogh, Schlagzeuger Bruce Smith, Bassist Alan Pins) wieder in einem New Yorker Studio, doch die einstmals beide Seiten stimulierende Beziehung endete mit einem fürchterlichen Krach. Laswell hatte dem Projekt schon nach vier Tagen den Rücken gekehrt. Ich erwähne, daß ich John Lydon nach meiner Rückkehr interviewen soll. Bill sagt: „Frag ihn, warum er ein schlechtes Disco-Album abgeliefert hat.“ Er meint NINE, das PIL-Album, das statt von ihm dann schließlich in London von Eric Thorngren und Stephen Hague produziert und soeben veröffentlicht wurde. Schnitt. Wir befinden uns im Münchner Hilton und John Lydon ist unerschütterlich guter Laune. Er sieht aus wie einer von diesen kalifornischen Strand-Schnorrern, auf unverschämt kumpelhafte Weise charmant, wasserstoffblond, ein vor Gesundheit strotzender, surfender Abzocker. Fast: Er kippt eine Flasche Bier herunter. „Ah, Löwenbräu. Schon wegen diesem Zeug lohnt es sich, nach Deutschland zu kommen… Disco-Album??? Es ist kein Disco-Album. Es ist ein Pop-Album. PIL-Pop. Unser Pop. Gut für jeden. Starke Stücke, inspirierte Musiker, ausgezeichnete Texte. Wenn ich das mal so sagen darf.“
Wir kommen auf die Details des Laswell-Lydon-Duells zu sprechen, hier ist Lydons Version: „Oh, das war wirklich ekelhaft. Ich schäme mich für Bill Laswell. Hmm… laß mich erklären, wie das passiert ist …“
Es folgt eine lange, verwickelte Geschichte. Die Kurzfassung: Lydon sagt, daß Laswell bei Virgin Interesse an einer neuerlichen Zusammenarbeit mit PIL angemeldet hatte (Laswell sagt, daß Lydon nach dem kommerziellen Mißerfolg von HAPPY?, dem Nachfolger von ALBUM, förmlich darum bettelte). „Ich hatte von Anfang an Bedenken, flog aber trotzdem mit einer Cassette unserer Songs nach New York.“ Laut Lydon hörte sich der Produzent das Band nicht einmal an. Nachdem sich PIL ins Studio begeben hatten, „sagte er auf einmal, er hasse unsere Songs, die Band sei unfähig und das Beste sei es, die Musiker zu feuern und mit den Songs zu arbeiten, die er für mich geschrieben habe.“
(Laswell schrieb tatsächlich einen Großteil des Materials für ALBUM und suchte auch die Musiker aus.) „Nach seiner Vorstellung war das Beste für mich so eine Art U2-Album.“ (Laswell: „Ich finde, er sollte ein starkes Rock-Album machen.“ Damit hat er Erfahrung: nachzuprüfen z.B. auf Iggy Pops INSTINCT.) „Also packten wir unsere Sachen“, schließt Lydon ab, „und verschwanden. Ich weiß nicht, was in Laswell gefahren ist. Er scheint ernsthafte Probleme mit seinem Ego zu haben.“
Ähnliches wurde in der Vergangenheit natürlich auch über Lydon gesagt. Seine Streitereien mit Sex Pistols-Manager Malcolm McLaren sind mittlerweile schon Legende und Ex-Mitglieder von PIL wie Gitarrist Keith Levine beklagen sich bitterlich über den Mangel an Anerkennung und (so Levine) Bargeld für ihren Anteil an Sound und Konzept der Gruppe. Gegenüber der aktuellen Band, die nun schon seit drei Jahren besteht, ist Lydon jedoch loyal. Und im Gegensatz zu Laswells angeblichen Einwendungen gibt es an den Fähigkeiten der Musiker eigentlich nichts auszusetzen (obwohl sie auf NINE vielleicht nicht ganz so vorteilhaft herauskommen). Bruce Smith, ehemals bei Rip Rig & Panic, ist wohl der derzeit beste Post-Punk-Schlagzeuger.
Mittlerweile erhalten alle PIL-Mitglieder gleiche Anteile an Tantiemen und Credits, „das Ego ist damit also ausgeschaltet. Endlich habe ich eine feste Band, mit der ich mich wirklich wohl fühle und mit der es sich gut arbeiten läßt. Alle hängen sich voll rein und allen geht es um die Arbeit und nicht darum, viel Geld zu machen. Scheiße, Geld ist schließlich nicht alles.“ Daß es mit früheren PIL-Besetzungen nicht klappte, hatte verschiedene Gründe: „Damals mit Keith Levine und Jeanette Lee (etwa um die Zeit von FLOWERS OF ROMANCE) lag es daran, daß wir im selben Haus lebten, in derselben Küche saßen, dasselbe Wohnzimmer teilten. Das ging allen so auf die Nerven, daß wir uns zum Schluß gegenseitig nicht mehr ausstehen konnten.“
Man hat ihm damals wie heute haufenweise Geld für eine Reunion-Tour der Sex Pistols geboten. „Stimmt“, murmelt er, nicht interessiert an diesem Thema.
Du hast nicht darüber nachgedacht? „Nicht eine Sekunde. Soviel Geld kannst du mir gar nicht anbieten. Das ist Geschichte, Vergangenheit. Und Vergangenheit interessiert mich nicht.“
Zurück zur Gegenwart. Lydon hat eine klare Vorstellung von den Leuten, die heute PIL hören. „Jetzt ist es sehr gemischt. Ein paar Denker, junge Mädels, Rock-Fans, schwarz und weiß, einfach alles. Ich finde das sehr gesund. Und das ist gut so. Es gab Phasen, in denen unser Publikum nur aus einem bestimmten Typus bestand.
Am schlimmsten war es um die Zeit von METAL BOX, als man uns in die intellektuelle Schublade einordnete – totaler Blödsinn – die Leute waren alle… genau! Die Haltung, in der du gerade dasitzt …“
Haltung? Ich habe das Kinn aufgestützt, ein bißchen vornüber gebeugt, wie Rodins „Denker“. Unbewußt, natürlich.
„Genau so. Das waren die schlimmsten Momente meines Lebens – du gehst raus und stehst dreitausend Leuten gegenüber, die so aussehen wie du jetzt gerade. „
Er leert eine weitere Flasche Löwenbräu und rülpst kräftig.