John Lee Hooker: Mit dem Mann aus Mississippi starb der wohl letzte große und stilbildende Bluesmusiker der ersten Generation


Die schwanen, mit silbernen Sternchen verzierten Socken steckten in eleganten, blank geputzten Halbschuhen. Und der Saum der etwas altmodischen Anzughose zitterte, weit oberhalb des Fußknöchels, bei jedem Takt. Bei seinen Konzerten saß der alte Herr auf einem Schemel. Und es spielte ihn. Dieser Takt war es, dieses schamanische Stampfen, das John Lee Hooker auf der Bühne erfasste – und mit ihm alle, die ihn je live sehen und hören konnten. „How how how how“ hieß die Botschaft, und sie erzählte von dem langen Weg, den diese Musik hinter sich hat. Von den düsteren, verrauchten Spelunken der Chicagoer Southside, von den flirrend heißen Baumwollfeldern Mississippis, von den überfüllten Sklavengaleeren und den afrikanischen Buschmännern vor Hunderten von lahren. Dieses wilde Pochen, das so gar nichts hatte von der zimperlichen bpm-Kultur unserer Tage, dem musikalische Regeln wie das 12-Takt-Schema vollkommen gleichgültig schienen, war manisch, unerbittlich, eindringlich bis zur Unerträglichkeit. Und sein Medium war John Lee Hooker. Keiner verkörperte diesen Herzschlag des Blues leidenschaftlicher und kraftvoller als jener Mann, der einst – viele glauben am 22. August 1917, so genau weiß man das jedoch nicht – auf einer Farm in der Nähe eines kleinen Kaffs namens Clarksdale, Mississippi, geboren wurde. Im gleichen Jahr übrigens, in dem die erste kommerzielle Bluesplatte der Musikgeschichte erschien.

Das Gitarrenspiel lernt der schwarze Junge von einem Onkel, die dazugehörige Gitarre bekommt er von einem durchreisenden Wandermusiker geschenkt. John Lees Vater, Prediger und Farmer, hält nichts von den musikalischen Ambitionen des Sohnes. Und so verschwindet der schon bald aus dem Blickfeld des Reverend, geht in den frühen 30ern, während der großen Depression, auf die große Wanderschaft. Weg von der Armut der Baumwollfelder („Ich habe gelernt, den Blues zu spielen, um von dort wegzukommen“, hat Hooker einmal gesagt), hin zu den Metropolen mit ihrem Geld und den vielen lobs. Er folgt dabei der allgemeinen Migration der Schwarzen in den industrialisierten Norden. Sie bringen nicht nur ihr armseliges Hab und Gut mit, sondern auch ihre Kultur, ihre Musik, ihre Träume – und ein Stück Heimat, Herkunft, Afrika. Hooker landet zunächst in Memphis, Tennessee, verdingt sich als Platzanweiser in einem Kino, überquert dann die alles entscheidende Mason-Dixon-Linie, die alle Grenze zwischen Süd- und Nordstaaten, und zieht nach Cincinnati, Ohio. Dort schafft er sich eine bescheidene Existenz als Fabrikarbeiter. Und zieht doch wieder weiter: Anfang der 40er Jahre geht er nach Detroit, wo es nicht nur Jobs satt gibt, sondern auch bessere Auftrittsmöglichkeiten für junge Bluesmusiker. Tagsüber schuftet er als Stahlarbeiter, und abends zieht er durch die Clubs, macht sich einen Namen als Performer. 1948 dann – Hooker ist in dritter Ehe verheiratet und längst ein gestandener Familienvater von 31 Jahren kommt es zur ersten Plattensession im verrauchten Hinterzimmer eines Plattenladens. „Boogie Chillen“ entsteht, Blaupause des Hooker-Stils und purer Voodoo: John Lee, seine tief dröhnende Stimme und seine archaisch geschlagene Gitarre. Nichts sonst. Und nichts sonst braucht es – „Boogie Chillen“ mit primitivem Beat und dringlichem Gesang wird zur Nummer eins der regionalen Jukeboxes, nimmt sich in der Nachbarschaft zum schnittigen Großstadtblues eines Muddy Waters aber aus wie musikalische Höhlenmalerei. Hooker ist der Boogie-Mann, dunkel, bedrohlich, beängstigend, vital, animalisch. In Motor City und Umgebung ist er jetzt wer, lässt sich von jedem aufnehmen, der bezahlt, bringt auf diese Weise 70 Singles bei 21 Labels unter zehn verschiedenen Pseudonymen heraus (ungefähr jedenfalls) – und landet mit „I’m In The Mood“ gar einen Millionenhit in den so genannten Race Charts.

Der Rest ist nachzulesen im großen Buch des weißen Pop: erster Europabesuch mit dem legendären American Folk Blues Festival 1962, initiiert von Horst Lippmann und Fritz Rau, die alle Facetten des Blues vorführen, eine junge Generation von bleichgesichtigen Jungen zu musikalischen Jüngern bekehren; Tourneen mit weißen Bluesbands, Platten mit den Blues-Enzyklopädisten Canned Heat, breite Anerkennung. Und doch bleiben Hooker die materiellen Früchte seines Schaffens versagt – zunächst jedenfalls. Zwar wird er nacheinander vom dogmatischen Folkblues-Publikum und später von den britischen Blues Kids sowie amerikanischen Blues-Hypstern vereinnahmt, Mitte der 70er Jahre jedoch geht es wieder steil bergab. Während diejenigen, die den Blues kommerzialisiert hatten – Rolling Stones, Led Zeppelin und andere – in Privatjets reisen, steht John Lee, inzwischen gut abgehangener Fünfziger, ohne Plattenvertrag da, tingelt durch kleine und kleinste Clubs und steigt in billigen Kaschemmen ab. Auch der Ortwechsel ins gelobte Land der Plattenindustrie jener Tage, nach Kalifornien, wo er sich nördlich von San Francisco niederlässt, kann das nicht ändern. Die 80er Jahre verlaufen so trist wie die Dekade zuvor – unterbrochen allerdings von Hookers Mitwirken im „Blues Brothers“-Film. Von Comeback indes (noch) keine Spur. Wie Charles Murray in seiner brillanten Biografie („Der Boogie-Mann“, Hannibal Verlag) berichtet, erhält John Lee Jahre später, im März 1991, einen Tantiemenscheck für „Blues Brothers“ über die sagenhafte Summe von 13 Dollar – keiner der beiden Hooker-Songs des Film wurde für den millionenfach verkauften Soundtrack verwendet. Erst 1989 die überraschende Wende: Roy Rogers produziert mit dem 72-Jährigen „The Healer“ Das so gefällige wie integre Spätwerk mit der famosen Bonnie Raitt und dem glühenden Verehrer Carlos Santana als Gaststars beschert Hooker überraschend späten Popruhm, Reichtümer, Villen, Autos und Bedienstete, wird gar mit einem Grammy ausgezeichnet. Weitere Alben und noch einmal ausgedehnte Tourneen erschließen Hooker weltweit ein neues Publikum und sichern seinen Status als letzte große Blues-Ikone der ersten Generation. John Lee nimmt’s gelassen, der Baseball-Freak und bekennende Los Angeles Dodgers-Fan lässt es sich gut gehen, genießt sein Glück: „Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet und meinen Erfolg verdient.“

Nun ist der „Endless Boogie“ vorbei der Mann mit der alten Gibson-Halbresonanzgitarre spielt ihn nicht mehr. John Lee Hooker starb in der Nacht des 21. uni im Schlaf in seinem Haus bei San Francisco. Vor einem Jahr noch vermutete der greise Bluesfürst mit dem klobigen Hut und der unvermeidlichen Sonnenbrille in einem Interview: „Es wird auch im Paradies noch genug gute Gründe geben, um den Blues zu spielen.“ Möglich – ein bisschen „how how how how“ dürfte den Engeln da oben nicht schaden.

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