Joe Egan – Konkurrenz für die Baker Street


Joe Egan und Gerry Rafferty sind nicht so leicht zu trennen: Vier Jahre nach dem endgültigen Split ihrer gemeinsamen Gruppe Stealers Wheel bevorzugen beide noch immer dieselbe sanfte Rockmusik, und selbst ihre Stimmen ähneln einander zum Verwechseln. Unterschiede gibt’s allerdings auf den Bankkonten der zwei Schotten: Während Gerry Rafferty vor einem Jahr zum Weltstar aufstieg, kehrte Joe Egan erst jetzt mit dem Soloalbum „Out Of Nowhere“ aus der selbstgewählten Isolation zurück. Abzuwarten bleibt, ob er kommerziell mit Rafferty gleichziehen kann. Die kreative Potenz dazu hat er auf jeden Fall.

ßerry Raffertys großes Jahr war 1978. Sein Song „Baker Street“ war monatelang einer der meistgespielten Titel bei Rundfunkstationen in aller Welt (gehässige Zeitgenossen schreiben das einzig der exzellenten Produktion und dem markanten Saxophonpart zu), die LP „City To City“ wurde millionenfach verkauft. Mit einer Verspätung von mehreren Jahren hatte Gerry Rafferty endlich Weltruhm erreicht; einen Status, den nicht wenige Kritiker bereits 1973 prophezeiten, als das erste Album der Gruppe Stealers Wheel erschien.

Stealers Wheel war nicht allein Gerry Raffertys Band. Joe Egan stand neben Rafferty als gleichberechtigter Sänger, Songschreiber, Gitarrist und Keyboardspieler; er war die volle zweite Hälfte von Stealers Wheel, der Band, die wie keine andere das Erbe der Beatles mit den musikalischen Strömungen der frühen 70er Jahre verschmolz.

Egan und Rafferty kommen beide aus der schottischen Kleinstadt Paisley, sie besuchten dieselbe Grundschule und spielten gemeinsam in mehreren lokalen Bands. Es soll sogar Demonbänder der beiden aus dieser Zeit geben, über deren Verbleib Egan jedoch nichts bekannt ist. Rafferty spielte dann mit Billy Connolly (heute ein bekannter Varietekomödiant in England) zwei Alben unter dem Namen The Humblebums ein, bevor er 1972 sein erstes Soloalbum „Can I Have My Money Back?“ veröffentlichte, zu dem er als Backup-Sänger wieder seinen alten Freund Joe Egan ins Studio holte. Ein LP-Titel, „Sign On The Dotted Line“, führt zum ersten Mal das Stealers-Wheel-Komponistenteam Rafferty-Egan an.

Trotz der überdurchschnittlichen Qualität der Songs und der erstaunlichen Ähnlichkeit zur Musik von Paul McCartney wurde das von der kleinen Firma Transatlantic (in Deutschland von der Metronome) vertriebene Album, wie man im Branchenjargon zu sagen pflegt, ein Flop.

A&M kaufte Rafferty anschließend von Transatlantic frei, und Egan und Rafferty gingen mit Paul Pilnick (git), Tony Williams (b) und Rod Coombes (dr) ins Studio, um das Album „Stealers Wheel“ unter der Regie eines der legendärsten Komponisten- und Produzententeams des Rock’n‘ Roll aufzunehmen – Jerry Leiber und Mike Stoller. Zur Erinnerung: Ende der 50er, Anfang der 60er schrieben und produzierten Leiber und Stoller eine immense Reihe von Hits für Elvis Presley („Hound Dog“), für die Coasters („Charlie Brown“, „Poison Ivy“) und die Drifters („On Broadway“).

„Stealers Wheel“ erschien Anfang 1973 und wurde von der Kritik mit Lobeshymnen überschüttet, doch das plattenkaufende Publikum reagierte langsam. Als „Stuck In The Middle With You“ Mitte des Jahres die Hitlisten auf beiden Seiten des Atlantik heraufschoß und als die Folk-Rock-Single des Jahres gefeiert wurde, hatte Gerry Rafferty Stealers Wheel bereits wieder verlassen. Kurzzeitig wurde diese Formation sogar ohne Rafferty und Williams, dafür mit Delisle Harper (b) und ex-Spooky Tooth-Mann Luther Grosvenor auf Promotion-Tour geschickt, und die englische Fachpresse überbot sich mit Gerüchten über wechselnde Stealers-WheelBesetzungen.

Das Durcheinander hatte ein Ende mit der Veröffentlichung der zweiten Stealers-Wheel-LP „Ferguslie Park“, deren Cover deutlich konstatierte: „Stealers Wheel is Gerry Rafferty and Joe Egan“. Wieder von Leiber und Stoller produziert und mit diversen Studiomusikern aufgenommen, konnte das Album den Erfolg des Vorgängers nicht wiederholen, wenngleich Joe Egans „Star“ als Single vielen kaum weniger attraktiv erschien als „Stuck In The Middle“. Auch die alternative, etwas lebhaftere Single-Version des Albumtracks „Everything Will Turn Out Fine“ erreichte nur untere Hitlistenplazierungen.

Interne Probleme mit Managern und Juristen führten schließlich dazu, daß ein drittes Album, jetzt von Mentor Williams produziert, erst anderthalb Jahre nach „Ferguslie Park“ veröffentlicht wurde zu einem Zeitpunkt, als das öffentliche Interesse an Stealers Wheel erlahmt war. Eine letzte Single, „Benediction“, ging sang- und klanglos unter, und Stealers Wheel verschied 1975 in einem Tohuwabohu persönlicher, juristischer und finanzieller Streitereien. Das unrühmliche Ende eines der vielversprechendsten Kapitel englischer Rockmusik.

Inzwischen sind gut 4 Jahre vergangen, und nach Raffertys „City To City“ und „Night Owl“ hat nun auch Joe Egan seine selbstgewählte Einsiedelei verlassen und sein erstes Soloalbum „Out Of Nowhere“ vor einigen Monaten herausgebracht. Die teilweise verblüffende Ähnlichkeit von Egans und Raffertys Musik wird niemanden überraschen, der mit den Stealers-Wheel-Alben vertraut ist, denn bereits damals fiel es außerordentlich schwer, stilistische Unterschiede in der Kompositionstechnik oder im Gesang der beiden festzustellen. Nur zu berechtigt ziert denn auch das Cover der Querschnitt-LP „Stuck In The Middle With You – The Best Of Stealers Wheel“ die Zeichnung eines menschlichen Wesens mit zwei Köpfen…

In den vergangenen 4 Jahren hat Egan, wie er selbst sagt, „nichts besonderes gemacht; er hat etwa 15 Songs geschrieben (von denen elf veröffentlicht wurden, einer davon als Rückseite der Single „Back On The Road“, nicht auf der LP!) und hat versucht, das Theater um die Auflösung von Stealers Wheel zu verwinden. Wieweit ihm das gelungen ist, sei dahingestellt; das Trauma scheint jedenfalls tief zu sitzen, und Egan mag auf das Thema nicht näher eingehen: „Das war alles sehr traurig, und es muß eigentlich jeden beschissen langweilen, jedenfalls langweilt es mich ganz beschissen, darüber zu reden. Solange es lief, hatte ich ’ne dufte Zeit, wir haben Songs geschrieben, mit Freunden Musik gemacht, und das war’s… Ich kann heute nur jedem raten, sich einen Anwalt zu nehmen, bevor er irgendetwas unternimmt…“

Überhaupt wirkt Joe Egan sehr zurückhaltend, verschlossen schon; er weigert sich, präzise Auskünfte über sich und seine Musik zu geben. (Dazu muß erklärend angemerkt werden, daß die Situation, in der ich ihn sprechen konnte, extrem ungeeignet war – drei Interviewer gleichzeitig gegen einen Interviewten, und dank der „Vorsorge“ der Plattenfirma, das alles zu fortgeschrittener Stunde auf der Treppe in einer der verlassenen unteren Regionen eines Betonkomplexes, den die Londoner Royal Albert und Queen Elizabeth Hall bilden).

Verantwortlich für Joe Egans Rückkehr ins Business ist ein A&R-Mann der englischen Ariola, der Egan mehrfach aufforderte, doch Demos seiner Songs zu machen, und der stur genug war, Egans anfängliche Lustlosigkeit zu ignorieren. Wieweit Raffertys Erfolg maßgebend war, ist aus Joe Egan nicht herauszubekommen, man kann nur vermuten…

„Out Of Nowhere“ wurde von David Courtney produziert und fällt stilistisch in diesselbe Kategorie wie Raffertys Alben, hat aber im Vergleich zu „Night Owl“ für meinen Geschmack die besseren Songs. (Hermann Haring hat die Platte im August-Heft rezensiert, und ich stimme mit seinem 5-Sterne-Urteil fast überein: eines der besten und schönsten Soft-Rock-Alben-seit vielen Jahren; ich bin jedoch nicht sicher, ob ich es „City To City“ vorziehe).

Anfang August gab Joe Egan ein einziges Konzert in London, und zwar in der triststerilen Queen Elizabeth Hall, die äußerst bescheiden besucht war, was ich nur damit erklären kann, daß im Londoner Promotionsbüro der Ariola nicht unbedingt die fähigsten Köpfe beschäftigt sind und daß zudem Egans Musik im New-Wave-besessenen England nicht den größten Appeal hat. Die dreiviertel-Stunde mit tags zuvor zusammengesuchten Begleitmusikern, darunter Dave Mattacks (dr) und Phil Pilnick, dem früheren Stealers-Wheel-Gefährten, kann ich denn auch nicht gerade als das Gelbe vom Ei bezeichnen.

Egan brachte zwar das gesammte Repertoire der LP und auch einige Stealers-Wheel-Nummern („You Put Something Better Inside Of Me“, „Monday Morning“), aber alles wirkte, von einigen Ausnahmen abgesehen (besonders „The Last Farewell“) eher bedächtig, etwas zu ruhig für mein Gefühl. Die ausgeklügelte Produktionstechnik des Albums ist schon ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Bewertung von Joe Egans Musik.

Immerhin, es ist gut, einen Musiker vom Formate Joe Egans wieder auf der Szene zu wissen; man sollte abwarten, ob nicht auch bei ihm wie bei Rafferty der Durchbruch über den US-Markt gelingt, und man kann hoffen, daß die Zeilen aus einem seiner Stealers-Wheel-Songs zutreffen:

„IVe been through the hard times / Now l’m winning the fight / I am back on my feet again / And it’s alright.“