Jingo de Lunch
Samstagabend in München: Normalerweise pilgert nur wohlgekleidetes Jungvolk zur Disco-Stunde in die alte Fabrikhalle am Stadtrand, um das Taschengeld zu verprassen. Doch diesmal kam die Revolution aus Berlin und hieß Jingo de Lunch. Und mit der Band kam die Fangemeinde, die jedem Standardmunchner die Frage aufdrängte: „Wo verstecken sich all diese seltsamen Leute, wenn sie nicht im Konzert sind?“
Auch wenn Sängerin Yvonne Ducksworth („Don’t touch my shirl, i’m serious‘.“) im Kleinmädchenrock und Gitarrist Tom Schwoll mit weißem Hemd und Krawatte den lederbejackten Hardcorejüngem im sittsamen Outfit gegenübertraten, war die gemeinsame Wellenlänge vom ersten Riff an unmißverständlich klar. Die fünf Berliner entwickeln sich auf der Bühne zum hochexplosiven Kraftpaket. Extremster Gitarrendruck auf höchster Energiestufe, konsequente 105 Minuten lang, das rechtfertigt eigentlich die Auszeichnung „Beste deutsche Live-Band 1990“.
Die Jungs sollten allerdings dem Himmel dreimal täglich für Yvonne danken. Die dunkelhäutige Sängerin tobt, kreischt und stöhnt und gibt alles, und das ist nicht wenig. Sie hat ihre Stimmbänder im Griff, sie hat verdammt viel Soul im Blut. Vom Rest der Band kommt kompromißlos harte, klare Gitarrenarbeit, gewürzt mit wohldosierten Soli und einem heftig treibenden Schlagzeug. „Wir waren verdammt schnell heute,“ grinst Bassist Henning Menke nach dem Konzert. Und sie waren verdammt gut: Ohne Netz und doppelten Boden, ohne stumpfes Posing oder gewollte Kumpelei kommt diese Band erholsam spontan und ehrlich zur Sache.
Und jeder im Publikum weiß: Denen klebt derselbe Straßendreck an den Schuhen wie uns. Zwei Zugaben bestätigen diese Erkenntnis. Und während das Publikum dem Ausgang zustrebt, wartet vor der Tür bereits die zweite Schicht des Abends. Schnell werden noch die leeren Bierbecher zusammengefegt, bevor sich wieder die ersten Sektgläser in Dancefloor-Rhythmen wiegen. Nach zwei Stunden ist die Welt in München wieder in Ordnung.